VwGH Ra 2017/08/0070

VwGHRa 2017/08/007012.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des N B in K, vertreten durch Tatiana Urdaneta Wittek, Rechtsanwältin in 3400 Klosterneuburg, Kierlingerstraße 32, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2017, Zl. W228 2123724-1/6E, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §67 Abs10;
GmbHG §18;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017080070.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht ausgesprochen, dass der Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 10 ASVG EUR 10.241,04 s.A. an uneinbringlich gewordenen Beiträgen der von ihm als Geschäftsführer vertretenen F. GmbH an die belangte Behörde zu bezahlen hat. Die vom Revisionswerber (im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Verletzung der Gleichbehandlungspflicht der Gläubiger) behauptete gänzliche Zahlungseinstellung durch die Primärschuldnerin per Ende November 2013 habe nicht festgestellt werden können. Der Revisionswerber habe keine Nachweise betreffend die angebliche Zahlungseinstellung vorgelegt.

5 Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren - soweit für das vorliegende Verfahren bedeutsam - vorbrachte, er habe nach Antritt seiner Geschäftsführertätigkeit im September 2013 festgestellt, dass über sechs Monate lang keine Buchhaltung mehr geführt worden sei, weil die Steuerberatung kein Honorar erhalten habe. Es seien (vorerst) weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch "Meldungen über SV Beiträge" erstattet worden. Die F. GmbH habe über keinerlei liquide Mittel verfügt. Im Oktober 2013 habe der frühere Geschäftsführer Dieter H. widerrechtlich EUR 7.500,-- "vom Konto" behoben.

6 Mit einem - nach Erhebung seiner Beschwerde, aber vor deren Vorlage an das Verwaltungsgericht - an die belangte Behörde gerichteten Schreiben vom 12. Juni 2015 teilte der Revisionswerber mit, "dass im Zeitraum 11/13 - 17.4.2014" die F. GmbH keinerlei Zahlungen geleistet habe. Es sei kein Vermögen vorhanden gewesen ("=negatives Eigenkapital").

"Als Beweis bin ich bemüht eine entsprechende Bestätigung über die Richtigkeit meiner Angaben von unserem Steuerberater zu erhalten. Aufgrund der Feiertags /Urlaubssituation in den letzten Wochen sowie meiner Abwesenheit bis inkl. 19. Juni bitte ich um eine Fristerstreckung bis 6. Juli 2015."

7 Mit Schreiben vom 24. Jänner 2017 forderte das Verwaltungsgericht den Revisionswerber auf, die behauptete gänzliche Zahlungseinstellung durch die F. GmbH per Ende November 2013 binnen vier Wochen mittels geeigneter Unterlagen nachzuweisen.

8 Mit einem am 3. April 2017 an das Verwaltungsgericht gerichteten E-mail übermittelte der Revisionswerber ein mit 3. April 2016 datiertes Schreiben, in dem er u.a. vorbrachte, weder die Bank noch die Steuerberatungskanzlei würden ihm Unterlagen zur Verfügung stellen. Die F. GmbH habe zwar nach Übernahme der Geschäftsführertätigkeit noch eine Geschäftstätigkeit ausgeübt, "jedoch wurden allfällige Zahlungen ausschließlich über Frau H. oder mich privat geleistet" (wofür Zeugen namhaft gemacht wurden). Er habe erfolglos versucht, mit der Masseverwalterin bzw. mit dem Steuerberater Kontakt aufzunehmen.

9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, er habe zu den Fragen der Zahlungseinstellung Stellung genommen und Zeugen (Christina H., Dr. Eva R., Doris K.) dafür namhaft gemacht. Die Vorlage von Urkunden sei ihm nicht möglich gewesen, weil ihm auf Grund seines Eintritts als Geschäftsführer ab 25. September 2013 und des am 18. April 2014 eingeleiteten Insolvenzverfahrens über die Primärschuldnerin keine Urkunden zugänglich gewesen seien. Alle relevanten Geschäftsunterlagen seien der Masseverwalterin Dr. Eva R. übergeben worden. Das Verwaltungsgericht habe ein mit E-mail übermitteltes Schreiben des Revisionswerbers zu Unrecht nicht behandelt und die Durchführung der von ihm beantragten mündlichen Verhandlung unterlassen. Darin liege eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

10 Damit zeigt die Revision keine iSd Art 133 Abs. 4 B-VG bedeutsame Rechtsfrage auf.

11 Die Haftung des Geschäftsführers nach § 67 Abs. 10 ASVG ist ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft (leichte Fahrlässigkeit genügt) verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung kann darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der Gebietskrankenkasse in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (vgl. das zu § 25a BUAG ergangene Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, 2012/08/0227, mwN).

12 Ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt, - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Allerdings darf diese besondere Behauptungslast und Beweislast einerseits nicht überspannt, andererseits nicht so aufgefasst werden, dass die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre. Hat der Geschäftsführer nicht nur ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete, sachbezogene Behauptungen aufgestellt, die nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen unmaßgeblich sind, so hat ihn die Behörde vorerst zu einer solchen Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens und zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die ihr - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung ermöglichen, ob der Geschäftsführer gegen die ihm obliegende Gleichbehandlungspflicht verstoßen hat und ob und in welchem Ausmaß ihn deshalb eine Haftung trifft. Kommt der haftungspflichtige Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur eben angeführten Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Konsequenterweise haftet der Geschäftsführer dann für die (von der Haftung betroffenen) Beitragsschuldigkeiten zur Gänze (vgl. das zu § 25a BUAG ergangene Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, 2002/08/0213, mwN).

13 Abgesehen von der Frage der Beachtlichkeit einer per E-Mail eingebrachten Eingabe hat der Revisionswerber mit seinen Stellungnahmen seiner Mitwirkungspflicht nicht entsprochen. Zu seinem Vorbringen, die Primärschuldnerin habe (bei aufrecht erhaltenem Geschäftsbetrieb) keine Zahlungen geleistet und ihm sei wegen des Fehlens von Buchhaltungsunterlagen das Beibringen einer entsprechenden Liquiditätsaufstellung nicht möglich gewesen, ist er darauf zu verweisen, dass es nicht Aufgabe der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts gewesen ist, die dem Revisionswerber obliegende Darstellung der im Beurteilungszeitraum zu berücksichtigenden Einnahmen und Ausgaben selbst - allenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen aus den Buchhaltungsunterlagen - anzufertigen (vgl. zB das Revisionsvorbringen, wonach die Primärschuldnerin im Oktober 2013 eine Anzahlung von EUR 27.800,-- erhalten habe, die sie an einen Zulieferer weitergeleitet habe). Dieser Verpflichtung konnte sich der Revisionswerber auch durch den - in der Revision wiederholten - Hinweis nicht entziehen, dass sich diese Buchhaltungsunterlagen bei der Masseverwalterin bzw. beim Steuerberater befänden. Es ist nicht ersichtlich, was damit gesagt werden sollte. Ein Vorbringen dahin, dass dem Revisionswerber der Zugang zu diesen Unterlagen verwehrt würde und ihm auch kein prozessuales Mittel offen stünde, diesen Zugang zu erzwingen, wird damit jedenfalls nicht erstattet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2008, 2006/08/0112). Kommt der haftungspflichtige Geschäftsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Der Geschäftsführer haftet dann - wie erwähnt - für die von der Haftung betroffenen Beitragsschuldigkeiten zur Gänze.

14 Der entscheidungsrelevante Sachverhalt war geklärt. Die Entscheidung hing einzig von der Lösung rein rechtlicher Fragestellungen ab. Das Vorbringen der Revisionswerberin war nicht geeignet, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich gemacht hätte (vgl. das Urteil des EGMR vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993, Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41). Da dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen, war das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG berechtigt, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen.

15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2017

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