VwGH Ra 2017/06/0100

VwGHRa 2017/06/010029.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, über die Revision der D GmbH in G, vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 2. März 2017, LVwG- 2017/38/0209-1, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Stadtmagistrat Innsbruck; mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. H S, I,

2. R P, I, 3. Dr. M H, S, 4. Mag. C K, I, 5. Mag. C G in I, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Boznerplatz 1/III, 6. Dr. G R, I, 7. Dr. M A, 8. Dr. S A, 9. B H,

10. P K, die siebent- bis zehntmitbeteiligten Parteien alle in I und vertreten durch Dr. Günther Egger und Dr. Karl Heiss, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kaiserjägerstraße 4/I,

11. Mag. M F und 12. Mag. A F, beide in I und vertreten durch die Tinzl und Frank Rechtsanwälte-Partnerschaft in 6020 Innsbruck, Museumstraße 21; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017060100.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) wurde in Stattgebung der Beschwerden der mitbeteiligten Parteien, die (Mit‑)Eigentümer unmittelbar an den Bauplatz angrenzender Parzellen sind, die von der Revisionswerberin beantragte Baubewilligung für die Aufstockung des Bestandsgebäudes sowie die Errichtung eines Aufzugs im Hof und weitere Umbau- und Sanierungsmaßnahmen auf einem näher bezeichneten Baugrundstück der KG I gemäß § 27 Abs. 3 lit. a Z 2 Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) versagt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

5 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses führte das LVwG aus, die mitbeteiligten Parteien machten mit ihrer Rüge bezüglich der Bauhöhe des gegenständlichen Projekts Einwendungen iSd § 26 Abs. 3 lit. c TBO 2011 geltend. Der vorliegend maßgebliche Bebauungsplan lege die straßenseitige Wandhöhe mit maximal 17 m und die maximale Gesamthöhe des Gebäudes mit 22 m fest. Eine Höhenlage nach § 62 Abs. 4 Tiroler Raumordnungsgesetz 1997 (TROG 1997) sei in diesem Bebauungsplan nicht festgelegt. Enthalte ein im Geltungszeitraum des TROG 1997 idF LGBl. Nr. 21/1998 erlassener Bebauungsplan keine Festlegung über die Höhenlage als Bezugspunkt, müsse die Frage des relevanten unteren Bezugspunktes für die Ermittlung des obersten Punktes des Gebäudes nach der für den Bebauungsplan maßgeblichen Rechtslage beantwortet werden. Mangels Legaldefinition der "Bauhöhe" gemäß § 62 Abs. 1 dritter Satz TROG 1997 sei die Auslegung dieses Begriffes entscheidungsrelevant.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem ähnlich gelagerten Fall (hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2011, 2009/06/0215) sei von der Höhenlage des anschließenden Geländes vor einer allfälligen Veränderung des Geländes durch die Bauführung auszugehen, wenn in einem Bebauungsplan zwar Wandhöhen, nicht aber die zulässige Anzahl der Vollgeschoße und auch keine Höhenlage gemäß § 62 Abs. 4 TROG 1997 festgelegt seien.

Im Sinne dieser Judikatur sei daher bei der Ermittlung der Bauhöhe vom angrenzenden Gelände und nicht von der Fußbodenoberkante des untersten Vollgeschoßes, wie in den vorliegenden Plänen als Punkt 0,00 angegeben, auszugehen. Die Bauhöhe sei nicht von diesem Punkt, sondern vom niedrigsten Punkt des anschließenden Geländes des Hauses, also konkret von der Hofseite, zu bestimmen, weil die Höhe des Gebäudes laut Bebauungsplan in keinem Punkt über 22 m liegen dürfe. Ausgehend von der 1,02 m tiefer liegenden Hofseite seien die mitbeteiligten Parteien mit ihren Einwendungen bezüglich der Bauhöhe im Recht, weil diese - als oberster Punkt des Gebäudes - mit 22 m nicht eingehalten werde. Dem Argument der Revisionswerberin, die Bauhöhe sei nur straßenseitig zu messen, weil Ziel des Bebauungsplanes ein einheitliches Straßenerscheinungsbild sei, sei entgegenzuhalten, dass dieser Effekt gerade durch die Festlegung der straßenseitigen Wandhöhe erreicht werde.

Trotz Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe davon Abstand genommen werden können, weil die als Hauptfrage zu lösende Frage eine Rechtsfrage darstelle.

6 In den zur Zulässigkeit der Revision vorgetragenen Gründen macht die Revisionswerberin geltend, das LVwG habe es unterlassen, ihr die Gelegenheit zur Beantragung einer mündlichen Verhandlung zu geben, und habe eine mündliche Verhandlung weder anberaumt noch durchgeführt. Ob ein Bauansuchen einem Bebauungsplan entspreche, sei sowohl eine Tat- als auch eine Rechtsfrage. Wenn das LVwG eine Bestimmung in einer Verordnung "anders auf einen konkreten Sachverhalt umlegen" wolle, müsse es auch einen Sachverständigen beiziehen. Dass das LVwG vorliegend selbst eine Beurteilung vorgenommen habe, sei verfahrensrechtlich nicht zulässig. Das LVwG habe der Revisionswerberin ihre von der Baubehörde abweichende Rechtsauffassung nicht offenbart und ihr auch nicht die Möglichkeit zur Erörterung bzw. Stellungnahme oder Modifikation des Projekts gegeben. Damit habe sie auch gegen das Überraschungsverbot und das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen. Das LVwG nehme Bezug auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (vom 8. Juni 2011), 2009/06/0215. Die darin vertretene Rechtsansicht sei jedoch im Erkenntnis (vom 7. Dezember 2011), 2011/06/0141, nicht mehr aufrechterhalten worden. Auch habe das LVwG diese Rechtsfrage bereits einmal anders gelöst. Diesbezüglich sei ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof (Anmerkung: Ro 2015/06/0013) anhängig.

7 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:

8 Das LVwG hatte im vorliegenden Fall nur Rechtsfragen zu beurteilen; der Sachverhalt zwischen den Parteien war - Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Revision - unstrittig. Die Revisionswerberin hatte auch entgegen ihrem Vorbringen vor dem LVwG die Möglichkeit, einen Verhandlungsantrag zu stellen (und dies in ihrer Gegenäußerung zur Beschwerde der mitbeteiligten Parteien auch getan).

9 Im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK ist zwar die Dartuung der Relevanz des in der Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne hiefür zureichenden Grund gelegenen Verfahrensmangels nicht erforderlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 2013, 2010/15/0196, und vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0021, und Bumberger, ZVG 2016, 417). Mit dem Revisionsvorbringen wird jedoch nicht dargetan, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, dass im Revisionsfall keine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen sei, von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

10 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seiner Rechtsprechung die Auffassung, dass nach der Judikatur des EGMR insbesondere in Fällen, in denen nur Rechtsfragen und keine Fragen der Beweiswürdigung strittig seien, auch Art. 6 EMRK nicht zwingend die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erfordere.

11 In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. April 2015, Ra 2015/09/0009, mHa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2014, 2013/05/0022, mwN, und Senft, Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte aus grundrechtlicher Perspektive, ZVG 2014, 523, 533ff, sowie vom 29. Jänner 2016, Ra 2015/06/0124).

12 Zur Auslegung der Festlegungen eines Bebauungsplanes wie im vorliegenden Fall liegt, wie dies das LVwG zutreffend dargelegt hat, mit dem Erkenntnis vom 8. Juni 2011, 2009/06/0215, eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, anhand der sich auch der gegenständliche Fall lösen lässt. Das LVwG hat sich bei seiner Entscheidung von diesen höchstgerichtlichen Leitlinien auch nicht entfernt. Gegenstand des hg. Erkenntnisses vom 7. Dezember 2011, 2011/06/0141, war zwar ebenfalls die Auslegung eines Bebauungsplanes, doch ging es dabei - anders als im hier vorliegenden Fall - um die Ermittlung der Anzahl der anzurechnenden Geschoße. Auch mit dem Hinweis auf eine anderslautende Entscheidung des LVwG und ein diesbezüglich anhängiges Revisionsverfahren wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt.

13 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2017

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