Normen
B-VG Art18 Abs2;
StVO 1960 §43 Abs1;
StVO 1960 §44;
StVO 1960 §52 litc Z24;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §45 Abs1 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020102.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei vom 20. März 2017 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, entgegen dem deutlich sichtbar aufgestellten Vorrangzeichen "HALT" mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug ohne anzuhalten in eine näher bezeichnete Kreuzung ein- und links abbiegend weitergefahren zu sein. Er wurde hierfür wegen Übertretung des § 52 lit. c Z 24 erster Satz, erster Halbsatz StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO zu einer Geldstrafe von EUR 100,- (Ersatzfreiheitsstrafe: l Tag und 22 Stunden) bestraft.
2 Das Verwaltungsgericht behob mit dem angefochtenen Erkenntnis dieses Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ein. Ein Ausspruch gemäß § 25a VwGG über die Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Spruch dieses Erkenntnisses unterblieb.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der von ihm durchgeführte Ortsaugenschein habe ergeben, dass die verfahrensgegenständliche Kreuzung grundsätzlich - also ohne Hinzutreten weiterer (etwa verkehrs- und witterungsbedingter) Umstände - weder als besonders gefährlich zu qualifizieren sei, noch so gestaltet sei, dass Fahrzeuglenker die Verkehrslage nur dann richtig beurteilen könnten, wenn sie anhielten. Während eines ca. zehnminütigen Beobachtungszeitraumes habe kein einziger Fahrzeuglenker das verfahrensgegenständliche Zeichen beachtet, wobei es in keinem Fall zu einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sei. Da auch der Meldungsleger keine solche Gefährdung oder Behinderung durch den Mitbeteiligten wahrgenommen habe, seien für den konkreten Einzelfall die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Mitbeteiligten gering, weshalb das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. l Z 4 VStG einzustellen gewesen sei.
4 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision wird Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend gemacht.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Unzulässigkeit der Revision geltend machte und den geltend gemachten Revisionsgründen entgegentrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Im gegenständlichen Fall enthält das angefochtene Erkenntnis keinen Ausspruch gemäß § 25a Abs. 1 erster Satz VwGG. Gleichwohl ergibt sich aus der Begründung und aus der Rechtsmittelbelehrung, dass das Verwaltungsgericht die Ansicht vertrat, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision lägen nicht vor.
10 In Anbetracht dessen führt die revisionswerbende Partei aus, es werde eine außerordentliche Revision erhoben. In der Folge enthält dieser Schriftsatz in einem eigenen Abschnitt (III.) nähere Ausführungen zur "Zulässigkeit der außerordentlichen Revision", weshalb nach Ansicht der revisionswerbenden Partei die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt seien.
11 Da die Revision ohnedies ein gesondertes Zulässigkeitsvorbringen enthält und das Verwaltungsgericht von der Unzulässigkeit der Revision ausging, ist die Revision als außerordentliche zu behandeln.
12 Zur Zulässigkeit der Revision wird ausgeführt, das Verwaltungsgericht sei von den Erkenntnissen VwGH 20.6.2016, Ra 2016/02/0065 und 20.11.2015, Ra 2015/02/0167, abgewichen, weil das Nichtbeachten des im § 52 lit. c Z 24 StVO normierten Anhaltegebotes ein schwerwiegendes, die Sicherheit des Straßenverkehrs in hohem Maße beeinträchtigendes Delikt darstelle und eine Einstellung nach § 45 Abs. l Z 4 VStG nicht rechtfertigen könne.
13 Die Revision ist aus folgenden Gründen zulässig und berechtigt:
14 Festzuhalten ist, dass es das Verwaltungsgericht als erwiesen ansah, dass der Mitbeteiligte die Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht begangen und subjektiv zu verantworten hat, dass aber die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering seien.
15 Die Einstellung eines Strafverfahrens setzt voraus, dass die in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen.
16 Das Verwaltungsgericht schätzte auf Grund eines zehnminütigen Beobachtungszeitraums - ohne das Datum und die Uhrzeit sowie die Beteiligten des Ortsaugenscheins offenzulegen - die in Rede stehende Kreuzung als nicht besonders gefährlich dergestalt ein, dass Fahrzeuglenker die Verkehrslage nur dann richtig beurteilen könnten, wenn sie anhielten. Damit stellt das Verwaltungsgericht allein auf die an die Behörde für das Aufstellen des Vorschriftszeichens gemäß § 52 lit. c Z 24 StVO gerichteten Pflichten ab.
17 Die Erlassung eines Gebotes oder Verbotes, welches durch entsprechende Verkehrsschilder kenntlich gemacht ist, zieht die Verpflichtung des Verkehrsteilnehmers nach sich, es ohne Rücksicht darauf zu beachten, ob er die behördliche Anordnung zur Sicherheit des Verkehrs für erforderlich hält oder nicht (vgl. VwGH 9.9.2016, Ra 2016/02/0118). Auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darf sich jeder Verkehrsteilnehmer auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen und auf eine ordnungsgemäße Beschilderung vertrauen. Das Anhaltegebot des § 52 lit. c Z 24 StVO ist absoluter Art und besteht unabhängig davon, ob ein anderer Verkehrsteilnehmer vorhanden ist, dem allenfalls Vorrang zu geben wäre (vgl. OGH 9.10.1984, 2 Ob 56/84, sowie RIS-Justiz RS0075190). Die Beachtung eines Stoppschildes gehört zu den wichtigsten Grundregeln des Straßenverkehrs und ist von jedem Kraftfahrer unter allen Umständen mit besonderer Sorgfalt zu beachten (vgl. OGH 11.5.1994, 7 Ob 21/94). Bei dem Verkehrszeichen "Halt vor Kreuzung" muss auch dann angehalten werden, wenn kein Querverkehr vorhanden ist (vgl die bei Pürstl, Straßenverkehrsordnung13 in E 172 zu § 52 StVO zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes). Der Mitbeteiligte war demnach verpflichtet, vor der Kreuzung anzuhalten, weshalb das Erfordernis des bloß geringen Verschuldens im Sinn des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG nicht erfüllt war.
18 Darüber hinaus brachte das Verwaltungsgericht mit der Einschätzung, dass die verfahrensgegenständliche Kreuzung nicht besonders gefährlich sei und ein Anhalten der Fahrzeuglenker zur Beurteilung der Verkehrslage nicht erfordere, die - aus seiner Sicht - geringe Intensität der Beeinträchtigung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes durch die Tat zum Ausdruck. Mit der weiteren Frage der Geringfügigkeit der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes befasste sich das Verwaltungsgericht inhaltlich nicht, ging aber offenbar vom Vorliegen auch dieses Kriteriums aus.
19 Das zu schützende Rechtsgut ist im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der Sicherheit im Straßenverkehr. Dieser kommt erhebliche Bedeutung zu, keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass die Bedeutung dieses strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gering ist.
20 Diese Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes findet ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens, der für entsprechende Zuwiderhandlungen gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO immerhin Geldstrafen bis zu EUR 726,-
und eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen vorsieht (vgl. erneut VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167).
21 Ist aber die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht gering, fehlt es an einer weiteren in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzung für die Einstellung des Strafverfahrens.
22 Da das angefochtene Erkenntnis daher mit Rechtwidrigkeit seines Inhaltes belastet ist, war es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 19. Juni 2018
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