VwGH Ra 2016/22/0059

VwGHRa 2016/22/005917.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 4-5, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 26. April 2016, LVwG-AV-805/001-2014 (hg. Ra 2016/22/0059), und vom 11. April 2016, LVwG-AV-804/001-2014 (hg. Ra 2016/22/0060), jeweils betreffend Antrag auf Niederlassungsbewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. C M (Ra 2016/22/0059) und 2. M M (Ra 2016/22/0060), beide in L, beide vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
NAG 2005 §43 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016220059.L00

 

Spruch:

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

Begründung

Die Revisionswerberin wies mit Bescheiden vom 21. März 2014 die Anträge der Mitbeteiligten (zweier miteinander verheirateter Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina) jeweils auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung" gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 iVm. § 43 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG - idF vor dem Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 87/2012) mit der wesentlichen Begründung zurück, es könne ein seit den Ausweisungsentscheidungen maßgeblich geänderter Sachverhalt jeweils nicht erkannt werden.

Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden der Mitbeteiligten gegen die angeführten Bescheide der Revisionswerberin statt und erteilte den Mitbeteiligten jeweils die beantragte Niederlassungsbewilligung für die Dauer von zwölf Monaten. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.

Gegen diese Erkenntnisse wenden sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach; die Mitbeteiligten erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Mit dem Hinweis, das Verwaltungsgericht habe durch die Entscheidung in der Sache seine Befugnis überschritten, zeigt die Revisionswerberin zutreffend eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Erkenntnisse auf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zu der durch das VwGVG neu geschaffenen Rechtslage ausgesprochen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 18. Dezember 2014, Ra 2014/07/0002 bis 0003, vom 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0152 bis 0153, und vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0040; vgl. weiters die Beschlüsse vom 16. September 2015, Ra 2015/22/0082 bis 0083, und vom 12. Oktober 2015, Ra 2015/22/0115), dass - wenn die Behörde in erster Instanz den Antrag zurückgewiesen hat - das Verwaltungsgericht lediglich befugt ist, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist, dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Auf die Entscheidungsgründe der angeführten Erkenntnisse kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden.

Die aufgezeigte Rechtsprechung steht - entgegen der Auffassung der Mitbeteiligten - auch mit den Grundsätzen des Art. 47 GRC nicht im Widerspruch. Der Beschränkung der Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts auf eine angefochtene Zurückweisungsentscheidung der Behörde liegen vielmehr Rechtsschutzerwägungen zugrunde, würde doch - wenn es dem Verwaltungsgericht möglich wäre, eine sofortige Entscheidung in der Sache unter Umgehung der zuständigen Behörde zu treffen - der Prüfung eines gestellten Antrags in der Sache selbst und damit den Parteien eine Instanz genommen werden (vgl. das schon zitierte hg. Erkenntnis Ra 2014/07/0002 bis 0003). Für ein (von der Mitbeteiligten angeregtes) Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht keinerlei Anlass.

Insgesamt ergibt sich daher, dass das Verwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen die ihm im Beschwerdeverfahren gesetzten Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis überschritten hat und damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist. Die Revisionen erweisen sich deshalb als zulässig und berechtigt.

Die angefochtenen Erkenntnisse waren wegen der aufgezeigten inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis kam ein Kostenzuspruch an die Mitbeteiligten nicht in Betracht.

Wien, am 17. Oktober 2016

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