VwGH Ra 2016/21/0270

VwGHRa 2016/21/027017.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Juni 2016, W190 2101550-2/13E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: C O, unbekannten Aufenthalts), zu Recht erkannt:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art2 litc;
32013R0604 Dublin-III Art28;
AsylG 2005 §4a idF 2012/I/087;
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
EURallg;
FNG 2014;
FrPolG 2005 §61 Abs1 Z1 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §61 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkte A.I. bis A.III.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Dem Mitbeteiligten, einem Staatsangehörigen von Nigeria (alias Ghana), wurde von der Republik Italien internationaler Schutz gewährt und dem entsprechend wurde ihm auch ein Aufenthaltstitel als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

2 Mit unbekämpft gebliebenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 9. Juni 2015 wurde der vom Mitbeteiligten am 6. November 2014 in Österreich gestellte Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, weil ihm iSd ersten Satzes der genannten Bestimmung in einem anderen EWR-Staat der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Unter einem wurde (gemäß § 4a zweiter Satz AsylG 2005) festgestellt, dass sich der Mitbeteiligte nach Italien zurückzubegeben habe, und demzufolge wurde gemäß § 61 (Abs. 1 Z 1) FPG seine Außerlandesbringung (nach Italien) angeordnet. Weiters wurde iSd § 61 Abs. 2 erster Satz FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig sei.

3 Gegen den dann im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle in Wien festgenommenen Mitbeteiligten wurde mit Bescheid des BFA vom 10. Juli 2015 gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung seiner Abschiebung (nach Italien) angeordnet. Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen. Die Schubhaft wurde unmittelbar anschließend im Polizeianhaltezentrum Wien vollzogen.

4 Über die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zunächst mit Erkenntnis vom 29. Juli 2015 dahin entschieden, dass gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, zum Zeitpunkt der Entscheidung lägen die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vor.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juni 2016 gab das BVwG der Beschwerde "gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO" statt und es behob den Schubhaftbescheid des BFA vom 10. Juli 2015 ersatzlos. "Gleichzeitig" wurde die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft im Zeitraum vom 10. Juli 2015 bis 28. Juli 2015 für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt A.I.) Demzufolge verpflichtete das BVwG den Bund gemäß § 35 VwGG zum Aufwandersatz und es wies das Kostenersatzbegehren des BFA ab (Spruchpunkte A.II. und III.). Schließlich wies das BVwG den Antrag des Mitbeteiligten auf Befreiung von der Eingabengebühr als unzulässig zurück (Spruchpunkt A.IV.). In Bezug auf Spruchpunkt A.IV. erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, hinsichtlich der anderen Spruchpunkte jedoch für nicht zulässig (Spruchpunkt B.I. und II.).

6 Gegen die Spruchpunkte A.I. bis A.III. richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde seitens des Mitbeteiligten nicht erstattet - erwogen hat:

7 Das BVwG begründete die Beschwerdestattgebung und die Behebung des Schubhaftbescheides sowie die daraus folgende Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ausschließlich mit der für die vorliegende Konstellation unterstellten Anwendbarkeit der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)).

Dazu führte das BVwG näher aus, der Mitbeteiligte sei zur Sicherung der Durchführung der gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordneten Außerlandesbringung nach Italien in Schubhaft genommen worden. Dabei handle es sich um eine Überstellung im Dublin-Verfahren gemäß Art. 29 Dublin III-VO; deren Art. 28 sei daher auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Schubhaft zur Sicherstellung einer Überstellung nach der Dublin III-VO wäre demnach nur auf der Grundlage von Art. 28 dieser Verordnung, der autonome Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat enthalte, in Betracht gekommen. Demzufolge sei - so sind die Ausführungen des BVwG zu verstehen - der nur auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Schubhaftbescheid rechtswidrig; das müsse auch für die gesamte Zeit der auf ihn gegründeten Anhaltung gelten. Bereits aus diesem Grund seien der Bescheid des BFA vom 10. Juli 2015 und die darauf basierende Anhaltung des Mitbeteiligten bis 28. Juli 2015 rechtswidrig.

8 Richtig ist, dass Schubhaft zur Sicherstellung einer Überstellung nach der Dublin III-VO nur auf Grundlage von Art. 28 dieser Verordnung, der autonome Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat enthält, in Betracht kommt. In diesen Fällen ist daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Bezugnahme auf Art. 28 der Dublin III-VO (sowohl im Spruch als auch in der Begründung) erforderlich; fehlt sie zur Gänze, dann ist die Entscheidung schon deshalb rechtswidrig (vgl. zu Fällen des § 76 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2015 das Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0002, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 24. März 2015, Ro 2014/21/0080).

9 In der Amtsrevision wird jedoch bestritten, dass es sich bei der gegenständlich zu vollziehenden Anordnung der Außerlandesbringung um eine Überstellung nach der Dublin III-VO handelt. In diesem Zusammenhang beruft sich das BFA auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 2016, Ra 2016/18/0049 (Rz 11), und vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072 (Rz 32). und macht ein Abweichen von dieser Rechtsprechung geltend.

10 Das trifft zu, weshalb sich die Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.

11 In den vom revisionsführenden BFA genannten Erkenntnissen brachte der Verwaltungsgerichtshof nämlich bereits zum Ausdruck, dass es sich bei einer Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG 2005 um eine Entscheidung außerhalb des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO handelt. Demzufolge ist auch der Vollzug einer darauf gegründeten Anordnung zur Außerlandesbringung iSd § 61 Abs. 1 Z 1 erster Fall FPG nicht als Überstellung nach der Dublin III-VO zu qualifizieren. Das ergibt sich evident aus Art. 18 Abs. 1 iVm Art. 2 lit. c) dieser Verordnung, der einen Fall wie den vorliegenden, in dem über einen Antrag auf internationalen Schutz in Form von dessen Gewährung durch einen anderen Mitgliedstaat bereits endgültig entschieden wurde, nicht erfasst.

12 In diesem Sinn führen auch die ErläutRV zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG) betreffend § 4a AsylG 2005 (1803 BlgNR 24. GP  36) aus, in diesen Fällen sei die Führung von "Dublin-Konsultationen" nach den Bestimmungen der Dublin III-VO ausgeschlossen, weil die Verordnung auf Personen, welchen der Status des Asylberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat bereits zuerkannt wurde, nicht anwendbar sei (so auch Schrefler-König in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht II, Anm. 3 zu § 4a AsylG 2005). Das gilt auch für subsidiär Schutzberechtigte, außer ihr Antrag ist in Bezug auf die Gewährung von Asyl in diesem Mitgliedstaat noch anhängig (vgl. idS Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, K 22 zu Art. 2, und Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, K 4 zu § 4a AsylG 2005), wofür im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte bestehen. Damit steht im Einklang, dass der Gesetzgeber auch in den Materialien zu § 61 FPG (aaO. 68) bei der Umschreibung des Personenkreises, gegen den eine Anordnung zur Außerlandesbringung ergehen könne, zwischen Drittstaatsangehörigen, die eine zurückweisende Entscheidung über ihren Antrag bzw. Folgeantrag auf internationalen Schutz im Dublin-Verfahren erhalten haben, einerseits und Drittstaatsangehörigen, die bereits Schutz in einem sicheren EWR-Staat genießen, andererseits unterscheidet.

13 Dem entsprechend teilte die Dublin-Abteilung des italienischen Innenministeriums dem BFA - den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zufolge - mit Schreiben vom 26. Februar 2015 im vorliegenden Fall auch mit, dass einer Übernahme des Revisionswerbers nicht zugestimmt werden könne, weil im Hinblick auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz keine Zuständigkeit der "dortigen Dublin-Behörden" (mehr) bestehe. Eine mögliche Überstellung nach Italien habe daher allenfalls auf der Grundlage "zwischenstaatlicher Polizeiabkommen" zu erfolgen. Damit wurde offenbar auf das Abkommen zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Italienischen Republik über die Übernahme von Personen an der Grenze, BGBl. III Nr. 160/1998, Bezug genommen. Dessen Art. 2 Abs. 3 normiert nämlich, dass jede Vertragspartei auf Ersuchen der anderen Vertragspartei Drittstaatsangehörige auf ihr Gebiet übernimmt, welche nicht oder nicht mehr die auf dem Gebiet der ersuchenden Vertragspartei gültigen Bedingungen zur Einreise oder zum Aufenthalt erfüllen, wenn diese Staatsangehörigen über einen Sichtvermerk oder über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen, die von der ersuchten Vertragspartei erteilt worden und noch gültig ist. Das trifft im Fall des Mitbeteiligten, dem im Hinblick auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von Seiten Italiens ein entsprechender Aufenthaltstitel erteilt worden war, zu.

14 Demnach erweist sich die Ansicht des BVwG, gegen den Mitbeteiligten hätte Schubhaft nur nach Maßgabe des Art. 28 Dublin III-VO angeordnet werden dürfen, als nicht zutreffend und somit dessen Begründung für Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses und die darauf aufbauenden Kostenentscheidungen in den Spruchpunkten A.II. und III. als nicht tragfähig. Das angefochtene Erkenntnis war daher im bekämpften Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 17. November 2016

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