VwGH Ra 2016/21/0252

VwGHRa 2016/21/025220.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision der B P, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. August 2016, Zl. L507 2129146- 1/2E, betreffend Abweisung einer Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach § 56 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §22 Abs1 idF 2016/I/024;
AsylG 2005 §56;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
VwGVG 2014 §8;
VwRallg;
AsylG 2005 §22 Abs1 idF 2016/I/024;
AsylG 2005 §56;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
VwGVG 2014 §8;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, brachte am 24. Juni 2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 ein. Am 24. Juni 2016 erhob sie (nachdem eine Anfrage betreffend den Stand des Verfahrens unbeantwortet geblieben war) Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das BFA.

2 Das BFA legte die Säumnisbeschwerde mit Schreiben vom 27. Juni 2016 dem Bundesverwaltungsgericht vor und erklärte - ohne auf die Gründe für die bisherige Säumnis mit der Erledigung einzugehen -, dass "nach individueller Prüfung des Verwaltungsaktes" eine Erledigung innerhalb der 3-Monatsfrist gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG nicht erfolgen könne.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde ab. Begründend führte es aus, dass die Verzögerung der Erledigung des Antrages der Revisionswerberin nicht (im Sinn des § 8 Abs. 2 letzter Satz VwGVG) auf ein überwiegendes Verschulden des BFA zurückzuführen sei. Dabei berief sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004; in diesem Erkenntnis habe der Verwaltungsgerichtshof anerkannt, dass die seit dem Jahr 2015 extrem hohe Zahl an beim BFA anhängigen Verfahren bei der Verschuldensbeurteilung als exzeptionelle Belastungssituation ins Kalkül gezogen werden dürfe und berücksichtigt werden könne, dass die Versäumung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese Belastungssituation zurückzuführen sei. Im Licht der (näher dargestellten) Belastung des BFA und der von Anfang an getroffenen personellen und organisatorischen Maßnahmen könne nicht davon ausgegangen werden, dass das BFA die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlassen oder mit diesen grundlos zugewartet habe bzw. nicht die organisatorischen Vorkehrungen für eine möglichst rasche Erledigung der Parteianbringen getroffen hätte. Dem BFA sei daher kein Verschulden an der nicht fristgereichten Erledigung des Antrages der Revisionswerberin "auf internationalen Schutz" vorzuwerfen.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

5 Die Revisionswerberin wirft unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG die Frage auf, ob die Überlegungen in dem vom Bundesverwaltungsgericht für seinen Standpunkt vor allem ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, nur bei Säumnis mit der Erledigung von Anträgen auf internationalen Schutz oder auch für Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 gelten. Zu dieser Frage fehlt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichsthofes.

6 Die Revision ist daher zulässig. Sie ist - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - auch berechtigt.

7 Mit der insoweit am 1. Juni 2016 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 24/2016 wurde - befristet bis 31. Mai 2018 - in § 22 AsylG 2005 ein neuer Abs. 1 eingefügt, wonach über einen Antrag auf internationalen Schutz abweichend von § 73 Abs. 1 AVG längstens binnen 15 Monaten zu entscheiden ist. In den Gesetzesmaterialien (AB 1097 BlgNR 25. GP  7) wurde dies mit der wie folgt beschriebenen Belastungssituation des BFA begründet:

"Im Jahr 2015 hat sich die Anzahl an Anträgen auf internationalen Schutz im Vergleich zum Vorjahr mit rund 90.000 Anträgen verdreifacht. Insbesondere im zweiten Halbjahr 2015 hat die Anzahl der Anträge pro Monat oftmals deutlich über 10.000 betragen; im Jahr 2014 schwankten die monatlichen Antragszahlen hingegen zwischen 1.500 bis - zu Jahresende - maximal rund 4.200. Im Jahr 2015 traf das Bundesamt mit 36.227 Statusentscheidungen nach dem Asylgesetz bereits doppelt so viele Entscheidungen wie im Jahr 2014. Dies konnte insbesondere durch eine Personalaufstockung von 206 neuen Mitarbeitern ermöglicht werden. Unbeschadet dieser Personalaufstockung hat sich aufgrund des starken Zustroms Schutzsuchender im Jahr 2015 die Anzahl an offenen Verfahren mehr als verdoppelt (31.000 offene Asylverfahren zu Beginn des Jahres 2015 im Vergleich zu 80.000 offene Asylverfahren Ende Februar 2016). Die Abarbeitung dieser Verfahren bedarf daher trotz der erfolgten Personalaufstockung bereits aus derzeitiger Sicht jahrelanger Arbeit, weshalb ein erneuter Zustrom Schutzsuchender in einem vergleichbaren Ausmaß den bestehenden ‚Rückstau' an Asylverfahren weiter verstärken würde. Vor diesem Hintergrund und den allgemeinen organisatorischen Rahmenbedingungen wie etwa die Personalausstattung und die zur Verfügung stehenden nichtamtlichen Dolmetscher kann daher eine Entscheidung innerhalb von sechs Monaten nicht gewährleistet werden."

8 Im Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, hat der Verwaltungsgerichtshof diese besondere, letztlich auch vom Gesetzgeber anerkannte Belastungssituation schon vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 24/2016 als ausreichenden Grund für das Vorliegen von unüberwindlichen, einer im Sinn des § 8 VwGVG iVm

§ 73 Abs. 1 AVG fristgerechten Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz entgegen stehenden Hindernissen gewertet.

9 Bei Einbringung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde war

§ 22 Abs. 1 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 bereits in Kraft getreten. Diese Bestimmung gilt jedoch angesichts ihres Wortlauts und ihrer Stellung im 4. Hauptstück "Asylverfahrensrecht" unzweifelhaft nur für Anträge auf internationalen Schutz und nicht auch für andere vom BFA zu erledigende Anträge. Sie war daher schon deswegen auf die vorliegende, einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 betreffende Säumnisbeschwerde nicht anzuwenden. Dementsprechend wurde die Säumnisbeschwerde vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist zurückgewiesen, sondern mangels überwiegenden Verschuldens des BFA gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG abgewiesen.

10 Der diesbezüglichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes kann aber nicht gefolgt werden. Es ist zwar einzuräumen, dass die Gesamtbelastungssituation des BFA im hier maßgeblichen Zeitraum außerordentlich hoch war. Der Gesetzgeber hat aber die Entscheidung getroffen, dieser Situation dadurch Rechnung zu tragen, dass die dem BFA zur Verfügung stehende Entscheidungsfrist (nur) im Hinblick auf Anträge auf internationalen Schutz verlängert wird. Hinsichtlich der - notorischer Weise bei weitem nicht die Zahl der Anträge auf internationalen Schutz erreichenden - Anträge auf Aufenthaltstitel nach dem AsylG 2005 ist der Gesetzgeber hingegen davon ausgegangen, dass sie - allenfalls in Verbindung mit geeigneten organisatorischen Maßnahmen innerhalb des BFA - grundsätzlich (weiterhin) innerhalb der gesetzlichen Entscheidungsfrist von sechs Monaten erledigt werden können. Die Ausnahmesituation, die der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, bei der Beurteilung des behördlichen Verschuldens im Hinblick auf ab dem Jahr 2015 anhängig gewordene Asylverfahren anerkannt hat, kann daher nicht auch in Bezug auf Verfahren über Anträge auf Aufenthaltstitel nach dem AsylG 2005 ohne weiteres ein überwiegendes behördliches Verschulden an der Säumnis ausschließen. Insoweit hätte das Bundesverwaltungsgericht vielmehr auf den konkreten Fall bezogen - insbesondere im Hinblick auf vom BFA mitzuteilende Umstände - prüfen müssen, ob einer Entscheidung innerhalb des bei Einbringung der Säumnisbeschwerde bereits zwölfmonatigen Zeitraums seit der Antragstellung unüberwindliche Hindernisse entgegengestanden waren (vgl. zu diesem Maßstab etwa das hg. Erkenntnis vom 16. März 2016, Ra 2015/10/0063, mwN; für ein schuldhaftes Verhalten der Revisionswerberin bestehen im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte). Dabei wäre - gerade im Hinblick auf die Dringlichkeit des Antrages der Revisionswerberin, die (bis zur Versäumung eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages) acht Jahre lang rechtmäßig in Österreich aufhältig und in den Arbeitsmarkt integriert war - auch die Möglichkeit innerbehördlicher (Umverteilungs‑)Maßnahmen in Betracht zu ziehen gewesen.

11 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Oktober 2016

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