VwGH Ra 2016/21/0121

VwGHRa 2016/21/012130.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A G in I, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 2016, Zl. W111 1430969-3/11E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FrPolG 2005 §52;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FrPolG 2005 §52;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber stellte am 6. Mai 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, somalischer Staatsangehöriger zu sein. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. November 2012 vollumfänglich abgewiesen, und der Revisionswerber wurde nach Somalia ausgewiesen. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. Februar 2013 wurde dieser Bescheid hinsichtlich der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und der Ausweisung nach Somalia gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben und die Angelegenheit insoweit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Das Verfahren wurde schließlich mit Aktenvermerk vom 21. Februar 2013 gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt, weil der Aufenthaltsort des Revisionswerbers wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflicht weder bekannt noch sonst leicht feststellbar gewesen sei.

2 Am 5. April 2013 wurde der Revisionswerber nach der Dublin II-Verordnung von Finnland nach Österreich rücküberstellt. Er stellte einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab nunmehr an, äthiopischer Staatsangehöriger (aber ethnischer Somalier) zu sein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juli 2013 wurde auch dieser Antrag vollumfänglich abgewiesen, und der Revisionswerber wurde nach Äthiopien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde schließlich vom Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2014 als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

3 Mit Bescheid vom 10. März 2015 sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde, und es erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Äthiopien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Darin brachte er unter anderem - wie schon im Verfahren vor dem BFA - vor, Mitglied der ONLF (Ogaden National Liberation Front, einer sezessionistischen Bewegung) zu sein, und legte als Bescheinigung eine Mitgliedschaftsbestätigung vor.

5 Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 22. Februar 2016 als unbegründet ab. Es stellte fest, dass der Revisionswerber über keine familiären Bezugspunkte im Bundesgebiet verfüge und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten habe können. Er habe sich hinsichtlich einer sozialen und beruflichen Integration bemüht gezeigt, eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 absolviert und einige soziale Kontakte geknüpft. Er sei Mitglied eines Fußballvereins und im April, Mai, Juni und August 2014 als Hilfsarbeiter auf einem Gemeindebauhof tätig gewesen. Seine Eltern und sein Bruder lebten in Äthiopien, seine Schwester in Australien. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat seien keine Hinweise auf eine allfällige Gefährdung des Revisionswerbers im Fall seiner Rückkehr ersichtlich; insoweit habe sich auch keine maßgebliche Änderung seit der Erlassung des Erkenntnisses vom 9. Oktober 2014 ergeben. Der vorgelegten Mitgliedschaftsbestätigung der ONLF komme keine Glaubwürdigkeit zu; das Vorbringen des Revisionswerbers betreffend diese Mitgliedschaft sei bereits im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz auf Grund gravierender Widersprüchlichkeiten als unglaubwürdig befunden worden; die nun vorgelegte Bescheinigung könne zu keiner anderen Einschätzung führen, zumal der Revisionswerber im Rahmen seiner vorangegangenen Einvernahmen explizit betont habe, kein Mitglied jener Gruppe gewesen zu sein und nicht gewusst zu haben, dass die Personen, die er mit Lebensmitteln unterstützt hätte, der ONLF angehört hätten. Gegen die Authentizität des vorgelegten Schreibens spreche auch der Umstand, dass es im Verfahrensverlauf zwei Mal mit unterschiedlichen Datierungen vorgelegt worden sei.

6 Auf Basis der genannten Feststellungen kam das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, dass weder ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 noch ein solcher nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen, sondern eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG zu erlassen und die Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch das Bundesverwaltungsgericht und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

8 Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung macht die Revision in erster Linie geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht keine Verhandlung durchgeführt habe. Damit wird zutreffend ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgezeigt:

9 Gemäß dem im vorliegenden Fall anwendbaren § 21 Abs. 7 BFA-VG kann - auch: trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden, "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht." Mit der Auslegung dieser Bestimmung hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, ausführlich befasst; im Punkt 5.12. der Entscheidungsgründe ist er in Bezug auf die Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" zu dem zusammenfassenden Ergebnis gekommen, dass folgende Kriterien beachtlich seien:

"Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen."

10 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in der Beschwerde ein konkretes Vorbringen zu seiner Mitgliedschaft in der ONLF erstattet und dazu ein Beweismittel vorgelegt. Von einem bloß unsubstantiierten Bestreiten der Feststellungen des BFA kann dabei keine Rede sein. Dementsprechend hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch zu einer eigenen Beweiswürdigung in Bezug auf die Glaubwürdigkeit dieser Behauptungen, denen es damit auch Entscheidungswesentlichkeit zugemessen hat, veranlasst gesehen. Dies hätte aber erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck vom Revisionswerber gewonnen werden hätte können, erfolgen dürfen, zumal auch im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz die Durchführung einer Verhandlung unterblieben war. Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesverwaltungsgericht daher in Bezug auf die Mitgliedschaft des Revisionswerbers in der ONLF nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen.

11 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. Juni 2016

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