VwGH Ra 2016/08/0173

VwGHRa 2016/08/017319.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des F T in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Oktober 2016, Zl. W209 2124284- 1/8E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Weiterbildungsgeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel (im Folgenden: AMS) vom 11. Dezember 2015 wurde gegenüber dem Revisionswerber die Zuerkennung von Weiterbildungsgeld für die Zeit vom 1. Jänner 2014 bis zum 27. Februar 2014 widerrufen, und er wurde zum Rückersatz des zu Unrecht Empfangenen in Höhe von EUR 1.504,52 verpflichtet, weil festgestellt worden sei, dass er im Jahr 2014 ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt habe.

2 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und bestritt, dass er während des Bezugs des Weiterbildungsgeldes einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Das AMS habe den Fehler gemacht, das Einkommen des Jahres 2014 auch auf die Monate Jänner und Februar aufzuteilen, in denen er aber nicht gearbeitet habe. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3 Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 3. März 2016 als unbegründet ab. Es führte insbesondere aus, dass der Revisionswerber "laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger" ab 1. Jänner 2014 "GSVGpflichtversichert" sei; diese Pflichtversicherung schließe Arbeitslosigkeit, die auch als Grundvoraussetzung für den Bezug von Weiterbildungsgeld gelte, aus.

4 Der Revisionswerber stellte einen näher begründeten Vorlageantrag.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber vom 1. März 2013 bis zum 27. Februar 2014 Weiterbildungsgeld bezogen habe. Der rechtskräftige Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 weise Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von EUR 7.821,30 aus. Der Revisionswerber habe trotz Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht keinen Nachweis erbracht, dass er im Zeitraum 1. Jänner 2014 bis 27. Februar 2014 keine oder die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigende Einkünfte aus einer klar abgrenzbaren Tätigkeit erzielt habe.

7 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe ein Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) vorgelegt, wonach diese auf Grund der von ihm vorgelegten Unterlagen davon ausgehe, dass im Jänner und Februar 2014 keine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestanden habe. Es würde aber - so das Bundesverwaltungsgericht - auch eine nicht die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG im beschwerdegegenständlichen Zeitraum den Bezug von Leistungen nach dem AlVG ausschließen. Den Nachweis, dass der Revisionswerber keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, vermöge das Schreiben der SVA jedenfalls nicht zu erbringen, zumal es lediglich auf vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen beruhe. Das Vorbringen des Revisionswerbers, er könne die Diskrepanz hinsichtlich des im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkommens und der von ihm vorgelegten Honorarnoten nicht nachvollziehen, sei nicht glaubwürdig, weil die Angaben in der Steuererklärung, die zweifellos von ihm stammten, betriebliche Einkünfte in Höhe von EUR 8.990,-- auswiesen und nicht davon auszugehen sei, dass er höhere als die tatsächlich erzielten Einkünfte angegeben habe. Auch ein Irrtum sei ausgeschlossen, weil der genannte Betrag in der Steuererklärung insgesamt sechs Mal aufscheine. Die Bescheinigung der N. Architekten GmbH betreffend seine Tätigkeit auf Honorarbasis von Mai bis Oktober 2014 vermöge auch keinen Aufschluss darüber zu geben, in welchem Zeitraum er die übrigen in der Steuererklärung angegebenen Einkünfte erzielt habe. Ebenso habe die vorgelegte eidesstattliche Erklärung des Revisionswerbers das Ergebnis der Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen vermocht, zumal damit nur bestätigt werde, dass er im beschwerdegegenständlichen Zeitraum keine anderen Einkünfte als das Weiterbildungsgeld bezogen habe und ihm somit keine darüber hinausgehenden Einkünfte zugeflossen seien; das Nichtvorliegen einer allenfalls später bezahlten selbständigen Tätigkeit werde damit nicht bestätigt. Dementsprechend sei von einer durchgehenden selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahr 2014 auszugehen.

8 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit als monatliches Einkommen ein Zwölftel des Jahreseinkommens gelte. Daraus ergebe sich für die Monate Jänner und Februar 2014 jeweils ein Einkommen von EUR 646,76, womit die Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von EUR 395,31 überschritten werde und der Bezug von Weiterbildungsgeld ausgeschlossen sei. Die Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG sei gerechtfertigt, weil der Revisionswerber die Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit nicht gemeldet habe.

9 Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe entfallen können, weil der Revisionswerber trotz mehrmaliger Aufforderung nicht nachweisen habe können, dass er im beschwerdegegenständlichen Zeitraum keine bzw. lediglich geringfügige Einkünfte aus einer klar abgrenzbaren Tätigkeit erzielt habe. Da somit zu erwarten sei, dass der Revisionswerber auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweise für sein Vorbringen vorlegen könne, sei die Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen gewesen.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

11 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

12 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt:

13 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 der Grundrechtecharta entgegenstehen.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat das Unterbleiben der vom Revisionswerber ausdrücklich beantragten Verhandlung damit begründet, dass er (auch) im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erwartungsgemäß keine entsprechenden Beweise für sein Vorbringen vorlegen könnte. Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht zum einen, dass den Revisionswerber keine Beweislast traf, sondern das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen - wenn auch unter besonderer Mitwirkung des Revisionswerbers - den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen hatte. Zum anderen ist es nicht zulässig, das erwartete Verhalten einer Partei im Rahmen einer Verhandlung vorwegzunehmen und damit - vergleichbar einer antizipierenden Beweiswürdigung - ihre Entbehrlichkeit zu begründen. Vielmehr gehört es gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, sich - auch im Sinn des u.a. in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzips - einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 2016, Ra 2016/08/0034, mwN). Die Voraussetzungen für das Absehen von der Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG lagen daher nicht vor, zumal der Widerruf und die Rückforderung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK fallen (vgl. in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom 7. April 2016, Ra 2016/08/0037).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Jänner 2017

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