VwGH Ra 2016/08/0064

VwGHRa 2016/08/006428.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der W GmbH in S, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Falkestraße 6, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. März 2016, L510 2104487-1/28E, betreffend Einstellung des Verfahrens (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Salzburger Gebietskrankenkasse; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Stubenring 1, 1010 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §4 Abs2;
ASVG §410 Abs1;
AVG §13 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z2;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §410 Abs1;
AVG §13 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Salzburger Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Bei den Verwaltungsakten befinden sich acht gleichlautende, jeweils auf § 410 Abs. 1 ASVG gestützte Feststellungsanträge der revisionswerbenden Partei vom 29. August 2014 (betreffend G. D., N. I., R. A. und S. D.), vom 2. September 2014 (betreffend M. S.), vom 3. September 2014 (betreffend S. E.), vom 5. September (betreffend G. J.) und vom 8. September 2014 (betreffend T. N.), die an die Salzburger Gebietskrankenkasse gerichtet sind. Sie lauten jeweils wie folgt (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Die Antragstellerin (revisionswerbende Partei) stellt den Antrag, festzustellen, dass Herr/Frau xx, geboren am xx xx xxxx, wohnhaft in xxxx, als Handelsvertreter(in) nicht gemäß § 4 Abs. 2 ASVG der Voll- (Kranken-, Unfall- und Pensions-) und Arbeitslosenversicherung unterliegt."

Eine formelle Zurückziehung dieser Anträge gemäß § 13 Abs. 7 AVG ist in den Verwaltungsakten nicht dokumentiert.

2 Mit an die Salzburger Gebietskrankenkasse gerichtetem, mit "Bekanntgabe und Antrag" titulierten Schriftsatz vom 5. Februar 2015, der den Betreff "Feststellungsanträge gemäß § 410 ASVG betreffend J. G., D. G., S. M., E. S., N. T., D. S., A. R. und I. N." enthält, führte die revisionswerbende Partei im Wesentlichen Folgendes aus:

Die von ihr gestellten Feststellungsanträge (vom August bzw. September 2014) beträfen einzelne Handelsvertreter. Die Salzburger Gebietskrankenkasse werde daher für jeden einzelnen dieser Handelsvertreter über den diesen betreffenden Feststellungsantrag zu entscheiden haben. Demgemäß könne Gegenstand jedes einzelnen Ermittlungsverfahrens nur die Tätigkeit des betreffenden Handelsvertreters sein. Die Feststellungsanträge seien im August bzw. September 2014 gestellt worden. Das Verfahren und die Entscheidung der Salzburger Gebietskrankenkasse habe sich daher auf die Zeit ab Antragstellung zu beziehen.

3 Das Ermittlungsverfahren über die Feststellungsanträge, soweit es sich auf die jeweils antragsgegenständlichen Handelsvertreter beziehe, sei abgeschlossen. Insbesondere liege der Salzburger Gebietskrankenkasse der Handelsvertretervertrag aus dem Jahr 2011 und der vom jeweiligen Handelsvertreter unbeeinflusst ausgefüllte Fragebogen vor. Die antragsgegenständlichen Handelsvertreter seien vernommen worden. Die revisionswerbende Partei stelle daher den Antrag, über ihre Feststellungsanträge ohne weiteren Verzug zu entscheiden.

4 In der Folge erhob die revisionswerbende Partei Säumnisbeschwerden.

5 Mit hg. Erkenntnis vom 25. November 2015, Ra 2015/08/0102, hat der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2015, mit dem dieses acht Beschwerden der revisionswerbenden Partei (betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung der genannten Personen aufgrund einer jeweils bei ihr ausgeübten Beschäftigung) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG abgewiesen hatte, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Er sprach darin aus, dass das Bundesverwaltungsgericht im fortzusetzenden Verfahren aufgrund der der Salzburger Gebietskrankenkasse als belangter Behörde iSd § 9 Abs. 1 Z 2 VwGVG anzulastenden Säumnis inhaltlich zu entscheiden haben wird.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hat das Bundesverwaltungsgericht die Verfahren betreffend die jeweils gleichlautenden Anträge der revisionswerbenden Partei vom 1. und 10. September 2014 auf Feststellung, dass die Tätigkeit der acht Genannten als Handelsvertreter für die revisionswerbende Partei nicht gemäß § 4 Abs. 2 ASVG der Sozialversicherung unterliege, gemäß § 31 iVm § 28 Abs. 1 VwGVG infolge Antragsrückziehung eingestellt (Spruchpunkt A). In Spruchpunkt B erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7 Das Bundesverwaltungsgericht traf folgende Feststellungen:

Die revisionswerbende Partei habe während einer laufenden GPLA-Prüfung am 1. September 2014 Anträge in Bezug auf N. I., R. A., S. D. und G. D., am 5. September 2014 in Bezug auf M. S., S. E. und G. J. sowie am 10. September 2014 einen Antrag in Bezug auf T. N. gestellt, jeweils gerichtet auf Feststellung dahingehend, dass die Tätigkeit der betreffenden Personen als Handelsvertreter für die revisionswerbende Partei nicht gemäß § 4 Abs. 2 ASVG der Sozialversicherung unterliege. Diesen Anträgen seien jeweils der unterzeichnete Handelsvertretervertrag, unterzeichnet im Jänner bzw. Februar 2011, und ein jeweils durch die betreffende Person ausgefüllter Fragenkatalog über ihre Tätigkeit bei der revisionswerbenden Partei in der Vergangenheit beigefügt worden. Mit Schreiben vom 5. Februar 2015 habe die revisionswerbende Partei weitere Anträge (bezeichnet als Bekanntgabe und Antrag) dahingehend eingebracht, dass sich das Verfahren und die Entscheidung der Gebietskrankenkasse in Bezug auf die acht Personen auf die Zeit ab Antragstellung zu beziehen habe. Mit Schreiben vom 1. März 2016 an das BVwG habe die revisionswerbende Partei bestätigt, dass sich die gegenständlichen Feststellungsanträge auf die Zeit ab der jeweiligen Antragstellung zu beziehen hätten.

8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass gemäß § 13 Abs. 8 AVG der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden könne. Durch die Antragsänderung dürfe die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden. Eine Änderung eines verfahrenseinleitenden Antrags nach § 13 Abs. 8 AVG sei somit (u.a.) dann unzulässig, wenn dadurch die Sache ihrem Wesen nach geändert werde. Liege eine wesentliche Änderung vor, so sei dies als Zurückziehung des ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren. Die im gegenständlichen Fall entscheidende Frage sei daher zunächst, ob es sich bei den aufeinanderfolgenden Anträgen der Antragstellerin um wesentliche oder unwesentliche Änderungen gehandelt habe. Betrachte man die im Spruch bezeichneten Feststellungsanträge, so komme hervor, dass sich diese jeweils darauf bezogen hätten, festzustellen, dass die jeweiligen Handelsvertreter in der Vergangenheit nicht gemäß § 4 Abs. 2 ASVG der Voll- und Arbeitslosenversicherung unterlegen seien. Dies ergebe sich schon aus den Beilagen zu den jeweiligen Anträgen in Form des jeweils unterzeichneten Handelsvertrages vom Jänner bzw. Februar 2011 und insbesondere den jeweils ausgearbeiteten Fragenkatalogen der betreffenden Personen. Die darin enthaltenen Fragen würden sich auf deren Tätigkeit stets in der Vergangenheit beziehen und beinhalteten Fragen wie: "Konnten Sie selbständig Termine vereinbaren?" oder "Haben Sie auch tatsächlich Eigenbucher akquiriert?" Zudem enthielten die Anträge jeweils den Hinweis, dass das Handelsvertreterverhältnis iSd § 539a ASVG so "gelebt" werde, wie dies im Handelsvertretervertrag sowie im vorliegenden Fragebogen festgehalten sei. Es ergäben sich keine Hinweise darauf, dass sich die Anträge auf die Prüfung des Zeitraumes ab Antragstellung, also in Bezug auf die Zukunft hin, beziehen würden. Derartiges sei selbst durch die revisionswerbende Partei in ihrem Schreiben vom 1. März 2016 nicht behauptet worden. Mit Schreiben vom 5. Februar 2015 habe die revisionswerbende Partei unter Punkt 3 weitere Anträge (bezeichnet als Bekanntgabe und Antrag, u. a. mit Stellungnahmen zu Beilagen, welche anlässlich der Einvernahme eines namentlich genannten Zeugen berücksichtigt worden seien) dahingehend eingebracht, dass sich das Verfahren und die Entscheidung der Gebietskrankenkasse in Bezug auf die genannten Personen auf die Zeit ab Antragstellung zu beziehen habe. Dass sich die Feststellungsanträge nunmehr auf die Zeiträume ab der jeweiligen Antragstellung zu beziehen hätten, sei auch nochmals im Schreiben vom 1. März 2016 durch die revisionswerbende Partei bekräftigt worden.

Da im ASVG-Verfahren nach der Rechtsprechung des VwGH der Abspruch über die Versicherungspflicht stets zeitraumbezogen zu beurteilen sei und es schon im Hinblick auf die Ermittlung der wahren wirtschaftlichen Verhältnisse, welche sich je nach zu prüfendem Zeitraum ändern könnten, einen erheblichen Unterschied im Verfahren darstelle, ob die verfahrensgegenständlichen Tätigkeiten der Handelsvertreter in Bezug auf die Vergangenheit oder in Bezug auf die Zeitpunkte ab Antragstellung zu prüfen seien, erscheine es sachgerecht, in einer derart beantragten Änderung der Feststellungszeiträume eine wesentliche Antragsänderung zu erblicken. Durch die mit Schreiben vom 5. Februar 2015 gestellten Anträge sei im Verhältnis zu den ursprünglichen Feststellungsanträgen somit eine Antragsänderung in der Weise erfolgt, dass dadurch die Sache ihrem Wesen nach geändert worden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien diese Anträge vom 5. Februar 2015 somit als konkludente Zurückziehung der ursprünglichen Feststellungsanträge und als Stellung neuer Anträge zu werten. Da sich die gegenständlichen Verfahren nur auf die im Spruch genannten Feststellungsanträge beziehen würden und diese Anträge als zurückgezogen festzustellen gewesen seien, seien die diesbezüglichen Verfahren einzustellen gewesen.

Festgestellt werde, dass seitens der Gebietskrankenkasse über die Anträge vom 5. Februar 2015 noch nicht entschieden worden sei.

9 Die Revision sei gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Weder weiche die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung; weiters sei die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lägen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Salzburger Gebietskrankenkasse in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

11 Seit diesem Erkenntnis ist weder eine Änderung der Sachlage noch der Rechtslage eingetreten. Dadurch, dass das Verwaltungsgericht die zugrundeliegenden Feststellungsanträge als (konkludent) zurückgezogen behandelt und eine inhaltliche Entscheidung über diese (neuerlich) verweigert hat, hat es gegen die sich aus der Rechtskraft des genannten Erkenntnisses ergebende Bindungswirkung i.S.d. § 63 VwGG verstoßen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Verwaltungsgericht mit den Parteien eine allfällige Einschränkung oder Änderung der Feststellungsanträge zu erörtern haben. Den bisherigen Prozesserklärungen ist eine Einschränkung oder Änderung jedenfalls nicht zu entnehmen.

12 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

13 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) war die Eingabegebühr nicht zu ersetzen.

Wien, am 28. April 2016

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