VwGH Ra 2016/01/0096

VwGHRa 2016/01/009613.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision des Z S in K, vertreten durch Dr. Mario Züger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. April 2016, Zl. W220 2114233- 1/4E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §75 Abs20;
AsylG 2005 §8;
MRK Art3;
AsylG 2005 §75 Abs20;
AsylG 2005 §8;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 16. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte er als Fluchtgrund im Wesentlichen vor, mit seiner Familie illegal in Pakistan gelebt und dort ständig Probleme mit der Polizei gehabt zu haben. Seinen Herkunftsstaat habe der Revisionswerber bereits im Alter von sieben Jahren verlassen und sein bisheriges Leben in Pakistan verbracht. Nach Afghanistan könne und wolle er nicht zurückkehren, weil die Lage dort schlecht sei und es überall Probleme mit den Taliban gebe. Zudem verfüge er lediglich über einen Onkel in seinem Herkunftsstaat, zu dem er jedoch keinen Kontakt pflege.

2 Mit Bescheid vom 26. August 2015 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II) ab. Gleichzeitig wurde dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 leg. cit. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III).

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 1. September 2015 richtete sich der Revisionswerber gegen sämtliche Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides und brachte unter anderem vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, genauere Untersuchungen zu seinem Vorbringen hinsichtlich des (Nicht‑)Vorliegens familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte in seinem Heimatland anzustellen, wodurch das Ermittlungsverfahren mit schweren Mängeln belastet sei. Wäre das BFA seiner Ermittlungspflicht nachgekommen, hätte der Revisionswerber konkretisieren können, warum er keinen Kontakt zu seinem in Afghanistan lebenden Onkel habe. Konkret seien sein Vater und Onkel aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten verfeindet, weshalb er auch keine Hilfe von Letzterem erwarten könne.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 5. April 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - in vollem Umfang als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und sprach aus, dass die Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B). Begründend hielt das BVwG fest, der Revisionswerber sei in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und es seien von ihm keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates glaubhaft gemacht worden. Im Falle einer Verbringung in seinen Herkunftsstaat drohe dem Revisionswerber auch kein Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention, zumal diesem eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Kabul zur Verfügung stehe.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision bringt als Zulässigkeitsgrund vor, das BVwG weiche von der hg. Rechtsprechung zu dem "der innerstaatlichen Fluchtalternative innewohnenden Zumutbarkeitskalkül" ab, wenn es davon ausgehe, dass auch ohne Bestehen eines familiären Netzes in Kabul die Möglichkeit für eine den durchschnittlichen afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2016, Ra 2015/20/0233, mwN). Zudem weiche es von hg. Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht ab, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht mehr die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweise (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018). Dieser Verfahrensmangel sei deshalb relevant, weil der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung aktuelle Beweismittel vorgelegt hätte, denen zufolge eine Fluchtalternative in Kabul ohne Vorhandensein von sozialen oder familiären Anknüpfungspunkten aktuell nicht offenstehe, zumal diesem diesbezüglich auch kein schriftliches Parteiengehör eingeräumt worden sei.

9 In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Februar 2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 5. September 2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09).

In dem zitierten Beschluss Ra 2015/01/0134 hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (vgl. die Urteile des EGMR jeweils vom 12. Jänner 2016, jeweils gegen Niederlande: S. D. M., Nr. 8161/07; A. G. R., Nr. 13 442/08; A. W. Q. und D. H., Nr. 25 077/06; S. S., Nr. 39 575/06; M. R. A. u. a., Nr. 46 856/07; vgl. zum Ganzen auch den hg. Beschluss vom 18. März 2016, Ra 2015/01/0255).

10 Im vorliegenden Fall hat das BVwG festgestellt, dass der Revisionswerber gesund und arbeitsfähig ist, sowie keine individuellen Umstände glaubhaft machen konnte, die im Falle einer Rückkehr nach Kabul die reale Gefahr einer Verletzung der dem Revisionswerber aus Art. 3 EMRK entspringenden Rechte für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, und er daher einen geeigneten Nachweis wie oben dargestellt nicht erbracht hat (vgl. hierzu auch das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2016, Ra 2016/19/0036). Eine diesbezügliche krasse Fehlbeurteilung durch das BVwG wird durch die Revision nicht aufgezeigt.

11 Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt damit geklärt war, stellt sich die Frage der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht.

12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2016

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