VwGH Ra 2015/18/0197

VwGHRa 2015/18/01971.3.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des A S O in S, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juli 2015, Zl. W205 2108128-1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §33 Abs1;
VwGG §33 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 17. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Aufgrund einer Eurodac-Abfrage, derzufolge der Revisionswerber vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn erkennungsdienstlich erfasst worden war und dort ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 24. April 2015 ein Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige ungarische Asylbehörde. Mit Schreiben vom 6. Mai 2015 stimmte diese der Wiederaufnahme des Revisionswerbers gestützt auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-Verordnung zu.

2 Mit Bescheid vom 25. Mai 2015 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass Ungarn für die Prüfung des Antrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-Verordnung zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit dem angefochtenen Erkenntnis abgewiesen wurde.

4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, zu der das BFA eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in der es beantragt, die Revision als gegenstandslos geworden zu erklären, das Verfahren einzustellen und dem Revisionswerber keinen Kostenersatz zuzuerkennen.

Begründend führte das BFA aus, der Revisionswerber habe am 17. November 2015 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Da die Frist für die Überstellung des Revisionswerbers nach Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung bereits abgelaufen gewesen sei und Österreich jedenfalls für die Führung eines inhaltlichen Asylverfahrens zuständig sei, habe das BFA am 19. Dezember 2015 entschieden, das zweite Asylverfahren des Revisionswerbers zuzulassen. Dem Revisionswerber sei die Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 am 13. Jänner 2016 zugestellt worden. Durch diese Vorgangsweise sei der Revisionswerber in Bezug auf das gegenständliche Revisionsverfahren materiell klaglos gestellt worden.

5 Der Revisionswerber erklärte in einer Äußerung vom 8. Februar 2016, er sei durch die Zulassung des Asylverfahrens über den Folgeantrag nicht klaglos gestellt worden. Ungarn führe eine höchst repressive Flüchtlingspolitik, sodass nicht auszuschließen sei, dass trotz abgelaufener Überstellungsfrist Ungarn der Wiederaufnahme des Revisionswerbers zustimmen werde. Für diesen Fall bestimme § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005, dass die Zulassung des Verfahrens einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegenstehe, sodass die Gefahr der Rückverbringung des Revisionswerbers nach Ungarn nach wie vor bestehe.

6 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde.

7 Unter einer "Klaglosstellung" in diesem Sinne ist eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung eingetreten ist.

§ 33 Abs. 1 VwGG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein (analoger) Einstellungsfall liegt auch dann vor, wenn beim Revisionswerber - objektiv - an der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes kein rechtliches Interesse mehr besteht (vgl. etwa VwGH vom 28. April 2015, Ra 2014/18/0137, mwN).

8 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber nach dem insoweit unbestrittenen Vorbringen des BFA in der Revisionsbeantwortung am 17. November 2015 einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, über den das BFA das Verfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen hat. Diese Vorgangsweise wurde vom BFA zutreffend damit begründet, dass eine Überstellung nach Ungarn nach Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Ungarn hätte durchgeführt werden müssen. Gründe, die zu einer Verlängerung der Frist hätten führen können, liegen fallbezogen nicht vor. Ungarn ist daher zur Wiederaufnahme des Revisionswerbers nicht mehr verpflichtet und die Zuständigkeit zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz ist gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung auf Österreich übergegangen. Gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Revisionswerber, dessen Asylverfahren in Österreich zugelassen worden ist, auch zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.

9 Ausgehend davon ist ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an einer Entscheidung über die vorliegende Revision nicht (mehr) zu erkennen. Das angefochtene Erkenntnis steht einer inhaltlichen Prüfung seines (neuen) Antrags auf internationalen Schutz in Österreich auch nicht entgegen, weil aufgrund des geänderten Sachverhalts, nämlich des mittlerweile erfolgten Zuständigkeitsübergangs nach Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung, eine Zurückweisung des Folgeantrags wegen entschiedener Sache nicht in Betracht kommt.

10 Der Einwand des Revisionswerbers, die Asylbehörden könnten - entgegen dem Vorbringen des BFA in der Revisionsbeantwortung und entgegen der mittlerweile gegebenen Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz nach der Dublin III-Verordnung - dennoch eine Zurückweisung des Folgeantrags vornehmen und den Revisionswerber nach Ungarn überstellen, ist rein hypothetisch. Dementsprechend spielt es auch keine Rolle, dass nach § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 die Zulassung des Verfahrens einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegenstünde, weil eine solche Entscheidung nach dem bisher Gesagten fallbezogen nicht zu erwarten ist. Sie wäre im Übrigen als rechtswidrig bekämpfbar.

11 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren in sinngemäßer Anwendung von § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Die Kostenentscheidung richtet sich im vorliegenden Fall nach § 58 Abs. 2 VwGG (vgl. auch dazu VwGH vom 28. April 2015, Ra 2014/18/0137). Der Umstand, dass das Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers nachträglich weggefallen ist, hat daher bei der Kostenentscheidung außer Betracht zu bleiben. Da der Revisionsfall wegen der vom BVwG herangezogenen, aber nicht mehr aktuellen Länderberichte zu Ungarn jenem gleicht, der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0113 bis 0120, entschieden worden ist, und das angefochtene Erkenntnis deshalb keinen Bestand hätte haben können, wäre die Revision zulässig und begründet gewesen. Dem Revisionswerber steht daher - entgegen dem Antrag des BFA in der Revisionsbeantwortung - Aufwandersatz zu.

Wien, am 1. März 2016

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