VwGH Ra 2015/11/0090

VwGHRa 2015/11/009014.12.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck in 4840 Vöcklabruck, Sportplatzstraße 1-3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 22. September 2015, Zl. LVwG-650468/2/Bi, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (mitbeteiligte Partei: K H P in F, vertreten durch Mag. Klaus Zorn, Rechtsanwalt in 4053 Haid, Traunuferstraße 257), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z4;
StVO 1960 §99 Abs2e;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z4;
StVO 1960 §99 Abs2e;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid vom 23. Juli 2015 entzog die Revisionswerberin dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für die Klasse AM, A1, A2, A, B, C1, C, BE, C1E, CE und F für die Dauer von zwei Wochen ab Rechtskraft. Unter einem wurde ausgesprochen, dass, sollte der Mitbeteiligte im Besitz einer ausländischen Nicht-EWR Lenkberechtigung oder eines ausländischen EWR-Führerscheines sein, so werde ihm "diese Lenkberechtigung ab Rechtskraft dieses Bescheides entzogen".

Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 22. September 2015 Folge gegeben und der Bescheid der Revisionswerberin gemäß § 28 VwGVG aufgehoben. Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegte Revision.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

1.1. Das FSG idF. der Novelle BGBl. I Nr. 52/2014 lautet (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7)

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder nicht mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs. 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs. 1 oder 2 vorliegt - hat die Entziehungsdauer

  1. 1. zwei Wochen,
  2. 2. wenn die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 60 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 70 km/h überschritten worden ist, sechs Wochen,

    3. wenn die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 80 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 90 km/h überschritten worden ist, drei Monate

    zu betragen. Bei wiederholter Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren hat die Entziehungsdauer, sofern in keinem Fall eine Qualifizierung im Sinne der Z 2 oder 3 gegeben ist sechs Wochen, sonst mindestens sechs Monate zu betragen. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.

    ...

    Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer von ausländischen

    Lenkberechtigungen und Führerscheinen

§ 30.

...

(2) Einem Besitzer einer ausländischen EWR- oder Nicht-EWR-Lenkberechtigung, der einen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, hat die Behörde die Lenkberechtigung unter Anwendung der §§ 24 bis 29 zu entziehen. Der eingezogene Führerschein ist der Ausstellungsbehörde zusammen mit einer Sachverhaltsdarstellung zu übermitteln. Nach Ablauf der Entziehungsdauer hat der Betroffene gegebenenfalls im Fall einer EWR-Lenkberechtigung einen Antrag auf Erteilung einer österreichischen Lenkberechtigung zu stellen. Im Fall einer Nicht-EWR-Lenkberechtigung ist auf Antrag eine österreichische Lenkberechtigung gemäß § 23 zu erteilen; wenn die Entziehungsdauer länger als 18 Monate war, ist in beiden Fällen eine österreichische Lenkberechtigung nach Ablegung einer praktischen Fahrprüfung zu erteilen. Die Behörde hat auch die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR- oder eines Nicht-EWR-Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, zu dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war. In diesem Fall ist die Lenkberechtigung bis zu jenem Zeitpunkt zu entziehen, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet. Eine Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates oder eines Nicht-EWR-Staates ist auszusprechen, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem die Person ihren Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat des Führerscheines hatte.

..."

1.2. § 99 StVO 1960 lautete idF der Novelle BGBl. I Nr. 39/2013 (auszugsweise):

"§ 99. Strafbestimmungen.

...

(2e) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.

..."

2. Die Revision ist zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis, wie im Folgenden zu zeigen ist, auf einer aktenwidrigen Sachverhaltsannahme beruht und die darauf beruhende Beschwerdestattgebung der ständigen hg. Rechtsprechung widerspricht.

3. Die Revision ist begründet.

3.1.1. Das Verwaltungsgericht stützt das angefochtene Erkenntnis auf folgende Sachverhaltsannahmen:

Der Mitbeteiligte sei unter Punkt 2. des Straferkenntnisses der Revisionswerberin vom 4. November 2014 einer Verwaltungsübertretung gemäß § 52 lit. a Z 10a iVm. § 99 Abs. 2e StVO 1960 schuldig erkannt worden, weil er am 1. April 2014 an einer näher bezeichneten Stelle im Gemeindegebiet von Berg im Attergau als Lenker eines näher bezeichneten Pkw in einem Bereich, der außerhalb des Ortsgebietes liegt, die durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 52 km/h überschritten habe. Die Geschwindigkeitsmessung sei mit einem ordnungsgemäß geeichten Laser-Geschwindigkeitsmessgerät erfolgt. Die dagegen erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 12. Mai 2015 abgewiesen und das Straferkenntnis bestätigt worden.

Die Revisionswerberin habe gegen den Mitbeteiligten mit Ladung vom 1. Juli 2015 ein Führerscheinentziehungsverfahren wegen Geschwindigkeitsübertretung eingeleitet und den Mitbeteiligten vorgeladen, der darauf nicht reagiert habe.

3.1.2. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, "eine Übertretung nach § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG" rechtfertige dann nicht mehr die Entziehung der Lenkberechtigung, wenn zwischen der Tat und der Einleitung des Entziehungsverfahrens mehr als ein Jahr verstrichen sei und der Betreffende in dieser Zeit nicht nachteilig in Erscheinung getreten sei. Im Fall des Mitbeteiligten läge zwischen dem Vorfall vom 1. April 2014 und der Einleitung des Entziehungsverfahrens mit der Ladung vom 1. Juli 2015 ein Zeitraum von mehr als einem Jahr, in dem der Mitbeteiligte nicht nachteilig in Erscheinung getreten sei.

3.2. Die Revision erblickt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses in der unrichtigen Annahme, das Entziehungsverfahren sei erst mit der Ladung vom 1. Juli 2015 eingeleitet worden. Das Entziehungsverfahren sei vielmehr bereits mit erster Ladung vom 2. Dezember 2014 bzw. mit Schreiben der Revisionswerberin vom 9. Dezember 2014 fristgerecht eingeleitet worden.

Damit wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufgezeigt.

3.3.1. Unstrittig wurde das Straferkenntnis der Revisionswerberin vom 4. November 2014 mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 12. Mai 2015 bestätigt. Unstrittig ist auch, dass die Geschwindigkeitsmessung am 1. April 2014 mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde. Im Entziehungsverfahren hatte das Verwaltungsgericht folglich vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG auszugehen (vgl. zur Bindung des Verwaltungsgericht an rechtskräftige Straferkenntnisse im Entziehungsverfahren ua. die hg. Beschlüsse vom 8. Juli 2015, Zl. Ra 2015/11/0043, und vom 27. Juli 2015, Zl. Ra 2015/11/0054, mwN.), weshalb grundsätzlich gemäß § 26 Abs. 3 FSG eine Entziehung der Lenkberechtigung geboten wäre, und zwar für die Dauer von zwei Wochen.

Eine Entziehung der Lenkberechtigung wäre trotz Vorliegens einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG wegen einer Übertretung nach § 99 Abs. 2e StVO 1960, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannte, nur dann nicht gerechtfertigt, wenn zwischen der Tat und der Einleitung des Entziehungsverfahrens mehr als ein Jahr verstrichen gewesen und der Mitbeteiligte in dieser Zeit im Verkehr nicht nachteilig in Erscheinung getreten wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. April 2001, Zl. 2001/11/0056, und vom 17. März 2005, Zl. 2005/11/0016, jeweils mwN.).

3.3.2. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Einleitung des Entziehungsverfahrens erst mit Ladung vom 1. Juli 2015 eingeleitet worden sei.

Dabei setzt es sich allerdings in Widerspruch zum unzweifelhaften Inhalt des Verwaltungsaktes. Darin erliegt ua. (OZ 5) ein Schreiben der Revisionswerberin vom 9. Dezember 2014, in welchem dem Mitbeteiligten mitgeteilt wird, dass wegen des Vorfalls vom 1. April 2014 ein Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung eingeleitet werde. Mit Note seines Rechtsvertreters bereits vom 7. Jänner 2015 (OZ 7) hat der Mitbeteiligte darauf auch Bezug genommen. Es trifft daher nicht zu, dass die Einleitung des Entziehungsverfahrens erst mehr als ein Jahr nach dem Vorfall am 1. April 2014 eingeleitet worden wäre. Die unter 3.3.1. umschriebene Ausnahmesituation, in der die Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs. 3 FSG trotz Vorliegens einer Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG zu unterbleiben hat, lag demnach nicht vor. Dies wurde vom Verwaltungsgericht anlässlich der Vorlage der Revision im Übrigen eingeräumt.

3.3.3. Die auf diese - mit der Aktenlage nicht übereinstimmende - Sachverhaltsannahme gestützte Aufhebung des mit Beschwerde angefochtenen Bescheids der Revisionswerberin erweist sich somit als rechtswidrig, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG aufzuheben war.

Wien, am 14. Dezember 2015

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