Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
AuslBG §12b Z1;
AuslBG §12d Abs2;
AuslBG §4 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
NAG 2005 §41 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
AuslBG §12b Z1;
AuslBG §12d Abs2;
AuslBG §4 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
NAG 2005 §41 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2014 versagte die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, das Arbeitsmarktservice Wien, dem Revisionswerber im Hinblick auf seinen Antrag vom 29. Juli 2013 auf Ausstellung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte" die Zulassung als "sonstige Schlüsselkraft" gemäß § 12b Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für die Beschäftigung bei der mitbeteiligten Partei.
Begründet wurde das zusammengefasst damit, dass der Revisionswerber bereits über Beschäftigungsbewilligungen für eine Tätigkeit als Zettelverteiler bzw. Aushilfskraft im Ausmaß von jeweils 10 Wochenstunden bei der mitbeteiligten Partei verfügt habe. Diese habe nicht schlüssig darlegen können, inwiefern sich die beantragte Tätigkeit von der bisher vom Revisionswerber ausgeübten Tätigkeit unterscheide und damit der einer Schlüsselkraft entspreche. Da des Weiteren die von der mitbeteiligten Partei genannte Begründung für die Ablehnung der (im Ersatzkräfteverfahren vermittelten) Bewerber nicht schlüssig gewesen sei, ging die Behörde davon aus, dass für die zu besetzende offene Stelle Inländer oder am Arbeitsmarkt verfügbare Ausländer zur Verfügung stünden, die bereit seien, die beantragte Beschäftigung zu den gesetzlich zulässigen Bedingungen auszuüben.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde wandte sich der Revisionswerber gegen die behördliche Wertung, die Bewerber seien aus unsachlichen Gründen abgewiesen worden und rügte Mängel in der Sachverhaltsfeststellung. Zudem beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.
Nach Darstellung des Verfahrensgangs ging das Bundesverwaltungsgericht von folgendem Sachverhalt aus:
In der Arbeitgebererklärung zum Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels sei der Arbeitsplatz des Revisionswerbers als "Leitung Logistik und Werbemittelbetreuung" mit einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 2.220,-- angegeben und die Tätigkeit mit "Affichierung und Distribution von Werbemitteln, Planung und Durchführung von Marketingkampagnen mit Schwerpunkt Ex-Jugoslawien und Albanien" umschrieben worden.
Das vom Arbeitgeber mit e-Mail bestätigte Anforderungsprofil umfasse an fachlichen Anforderungen eine abgeschlossene "allgemeine höhere Schule" (Gymnasium); Berufserfahrung in Werbung, Marketing und Promotionstätigkeiten von Vorteil; Sprachkenntnisse in Serbisch, Serbo-Kroatisch, Englisch und Deutsch; EDV-Kenntnisse (Windows XP, Microsoft Word, Microsoft Excel und Microsoft PowerPoint).
Im Ersatzkräfteverfahren seien alle acht Bewerberinnen ohne persönlichen Vorstellungstermin mit der Begründung abgelehnt worden, dass "diese Arbeit viel Kraft verlangt". Von den 14 Bewerbern seien neun Ablehnungen mit fehlenden Sprachkenntnissen in Albanisch begründet worden. 17 von 22 Ablehnungsgründe fänden in dem vom Arbeitgeber übermittelten und mit e-Mail bestätigten Anforderungsprofil keine Deckung. Darin würden weder körperliche Kraft noch Albanischkenntnisse gefordert. Der Revisionswerber sei Wunschkandidat des Arbeitgebers.
Beweiswürdigend erklärte das Verwaltungsgericht, der festgestellte Sachverhalt ergebe sich - wie das festgestellte Anforderungsprofil, das überdies unstrittig sei - aus dem Akteninhalt.
Rechtlich beurteilte das Bundesverwaltungsgericht den Sachverhalt nach Wiedergabe von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dahingehend, dass der Behörde nicht entgegengetreten werden könne, wenn sie ihrer Entscheidung eine von vornherein unbegründete Ablehnung der Ersatzkräfte zugrunde gelegt habe, zumal die Ablehnungen wegen im Vermittlungsauftrag nicht bekannt gegebener Gründe vorgenommen worden seien. Die "Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 AuslBG" seien daher zu verneinen und "die beantragte Beschäftigungsbewilligung" nicht zu erteilen gewesen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erachtete das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung, dass durch eine solche im vorliegenden Fall weder dem Grundsatz der materiellen Wahrheit noch der Wahrung des Parteiengehörs besser und effizienter entsprochen werden könne, für nicht erforderlich. Eine mündliche Verhandlung scheine auch im Lichte des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC nicht geboten und der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids aus der Aktenlage geklärt.
Die Unzulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zudem weiche die Entscheidung weder von der bisherigen, nicht uneinheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab noch fehle es an einer solchen.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision aus den Gründen der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie "wegen Verletzung der Verhandlungspflicht".
Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Verhandlungspflicht im Rahmen des Verfahrens nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz.
Zur Begründung führt er dazu weiter aus, dass ein Entfall der Verhandlung nach § 24 Abs. 4 VwGVG dann nicht in Betracht komme, wenn Art. 6 EMRK und § 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sei in seinen Urteilen vom 27. Juli 2006 "Jurisic und Collegium Mehrerau gegen Österreich" und "Coorplan-Jenni GmbH und Hascic gegen Österreich" zum Ergebnis gelangt, dass das Verfahren zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung eine Angelegenheit sei, die zivilrechtliche Ansprüche im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffe, in der auch dem Ausländer Zugang zu einem Gericht zu gewährleisten und für sämtliche Antragsteller eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen sei.
Die Revision ist aus den aufgezeigten Gründen zulässig und berechtigt.
§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG lautet:
"Verhandlung
§ 24 (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."
Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, qualifizierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Urteilen in den Rechtssachen Jurisic und Collegium Mehrerau gegen Österreich, Nr. 62539/00, sowie Coorplan-Jenni GmbH und Hascic gegen Österreich, Nr. 10523/02, jeweils vom 27. Juli 2006, die Beteiligung eines Ausländers am Verfahren über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung als ein durch Art. 6 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht. In einem solchen Verfahren ist dem Ausländer der Zugang zu einem Gericht zu ermöglichen, das über die Sache in merito entscheidet (siehe dazu bereits das in einer Angelegenheit betreffend die Erteilung einer Sicherungsbescheinigung ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Oktober 2011, 2011/09/0134, mwN).
Anders als nach der kurzen fallbezogenen rechtlichen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts vermutet werden könnte, war im vorliegenden Fall jedoch nicht über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach § 4 Abs. 1 AuslBG abzusprechen, sondern über eine Zulassung als Schlüsselkraft nach § 12b Z 1 AuslBG. Das durch einen Antrag des Ausländers auf Ausstellung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte" (§ 41 Abs. 2 NAG) ausgelöste Zulassungsverfahren ist in § 12d Abs. 2 AuslBG dargestellt.
Es kann nun aber nicht zweifelhaft sein, dass es sich auch beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein "civil right" im Sinn der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte handelt, verweist doch etwa § 12b AuslBG auf die Voraussetzungen zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach § 4 Abs. 1 AuslBG, die (mit der hier nicht relevanten Ausnahme des bereits vorliegenden Aufenthaltsrechts nach Z 1 leg. cit.) sinngemäß erfüllt zu sein haben.
Bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen haben die Parteien - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird.
Dementsprechend normiert § 24 Abs. 4 VwGVG, dass ein Entfall einer beantragten Verhandlung dann nicht in Betracht kommt, wenn Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Das wird regelmäßig der Fall sein, wenn es - wie hier - um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (vgl. die Erkenntnisse vom 9. September 2014, Ro 2014/09/0049, und vom 17. Februar 2015, Ra 2014/09/0007, u.a.).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Entfall der nach Art. 6 Abs. 1 EMRK grundsätzlich gebotenen öffentlichen mündlichen Verhandlung dann zulässig, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der Gerichtshof hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände dann angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder hochtechnische Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Er verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige. Weiters kann eine Verhandlung dann nicht geboten sein, wenn etwa keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. April 2015, Ra 2015/09/0009, mwN).
Diese Voraussetzungen für den Entfall einer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung lagen hier nicht vor.
Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ist eine tragfähige fallbezogene Begründung für das Absehen von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen. Weder waren ausschließlich rechtliche noch bloß hochtechnische Fragen zu klären. Schon im Hinblick auf das sachverhaltsbezogene Vorbringen des Revisionswerbers zum Anforderungsprofil und den Gründen für die Ablehnung der im Ersatzkräfteverfahren namhaft gemachten Bewerber - weshalb auch nicht davon gesprochen werden kann, dass der Sachverhalt unstrittig gewesen wäre - hätte das Verwaltungsgericht vielmehr die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt.
Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. Oktober 2015
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