VwGH Ra 2015/06/0126

VwGHRa 2015/06/01261.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, über die Revision 1. des J F (protokolliert zu Ra 2015/06/0126) und 2. der V F (protokolliert zu Ra 2015/06/0129), beide in T und beide vertreten durch Mag. Anton Wurzinger, Rechtsanwalt in 8403 Lebring, Schloss Eybesfeld, Glyzinienhof, Jöß 2a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 2. November 2015, LVwG 50.21-1532/2015-18, betreffend eine Bauangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Gemeinde Tillmitsch; mitbeteiligte Partei: Ing. J H in K; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Gemeinde Tillmitsch hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 13. November 2014 wies der Gemeinderat der Gemeinde T. (im Folgenden: Baubehörde) auf Grund seines Beschlusses vom selben Tag die Anträge der Revisionswerber vom 16. November 2012 und vom 6. Februar 2013 sowie das Schreiben vom 3. November 2014 betreffend Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages hinsichtlich des auf der näher bezeichneten Nachbarliegenschaft des Mitbeteiligten befindlichen Kellerbauwerkes als unbegründet ab. In der Begründung wurde im Wesentlichen festgestellt, für die Feststellung des rechtmäßigen Bestandes habe der Mitbeteiligte einen Lageplan, einen von ihm verfassten Bestandsplan, zwei Fotos vom gegenständlichen Kellerbauwerk und eine eidesstattliche Erklärung, dass das Kellerbauwerk bereits vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden sei, abgegeben, womit nunmehr gemäß § 40 Abs. 1 Steiermärkisches Baugesetz 1995 (im Folgenden: BauG) von einem rechtmäßigen Bestand auszugehen sei. Die von den Revisionswerbern beanstandeten Überflutungen stammten nicht vom nunmehr rechtmäßig bestehenden Kellerbauwerk, sondern vom angrenzenden, abfallenden Gelände. Es sei denkunmöglich, dass vom gegenständlichen Kellerbauwerk diese Überflutungen, wie sie auf den von den Revisionswerbern übermittelten Fotos dargestellt seien, ausgelöst worden seien. In der Beweiswürdigung wurde ausgeführt, dass sich der festgestellte Sachverhalt auf die Ergebnisse des Ortsaugenscheines im Beisein des Bausachverständigen Dipl.-Ing. K. gründe.

2 In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde bestritten die Revisionswerber die im Bescheid der Baubehörde enthaltene Feststellung, wonach das gegenständliche Kellerbauwerk vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden sei, und verwiesen dazu auf diverse Luftbilder, aus welchen sich ergebe, dass das Kellerbauwerk im Jahr 1978 errichtet worden sei. Es handle sich daher nicht um einen rechtmäßigen Bestand im Sinn des § 40 Abs. 1 BauG. Weiters legten sie mehrere Fotos zum Beweis für die beanstandete Durchnässung und Beeinträchtigung ihres Gemüseanbaues vor. Abschließend beantragten sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3 Mit E-Mail vom 11. August 2015 übermittelte die Baubehörde einen nicht unterfertigten Aktenvermerk vom 2. Juli 2013, in welchem festgehalten wurde, dass dem Mitbeteiligten nach örtlicher Besichtigung mit Dipl.-Ing. K mitgeteilt worden sei, dass alle offenen Stellen sofort abgedeckt werden müssten, und dass er für den Fall, dass der Keller vor 1969 erbaut worden sei, eidesstattliche Erklärungen und eine planliche Darstellung einreichen müsse. Weiters übermittelte die Baubehörde mit E-Mail vom 26. August 2015 unter anderem die im Verwaltungsakt zunächst nicht aufliegende eidesstattliche Erklärung des Herrn R. vom 29. Oktober 2014 sowie mit einem weiteren E-Mail vom 7. Oktober 2015 weitere eidesstattliche Erklärungen des Herrn S.

und des Herrn L., beide datiert mit 6. Oktober 2015.

4 Mit Schreiben vom 7. September 2015 legten die

Revisionswerber die in ihrer Beschwerde erwähnten Luftbilder vor.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des

Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (im Folgenden:

Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass es die vorliegenden eidesstattlichen Erklärungen als Beweis dafür erachte, dass das gegenständliche Kellerrohbauwerk vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden und daher als rechtmäßiger Bestand zu betrachten sei. Die von den Revisionswerbern aufgestellten Behauptungen, welche durch die vorgelegte Fotodokumentationen belegt werden sollten, seien für eine Widerlegung der eidesstattlichen Erklärungen unzureichend gewesen, zumal diese Bilder nicht geeignet seien, Beweis dafür zu liefern, dass der Kellerrohbau nicht vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden sei; dem stünden die eidesstattlichen Erklärungen entgegen. Da es sich beim gegenständlichen Kellerrohbauwerk um einen rechtmäßigen Bestand und keine bauliche Anlage im Sinn des § 41 Abs. 3 BauG handle, liege ein unter § 41 Abs. 6 BauG subsumierbarer Anwendungsfall nicht vor. Dies ergebe sich bereits aus der Aktenlage; eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung sei nicht zu erwarten gewesen, weshalb unter Hinweis auf § 24 Abs. 4 VwGVG die beantragte mündliche Verhandlung habe unterbleiben können.

7 Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Weder weiche die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung. Weiters sei die vorliegende Rechtsprechung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch läge kein sonstiger Hinweis auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, es kostenpflichtig aufzuheben.

9 Das Verwaltungsgericht legte die Revision unter Anschluss der Verfahrensakten vor. Die Baubehörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie die Zurückweisung der Revision beantragte.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung zum Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung als zulässig.

11 § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

...

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

...

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

..."

12 Das Verwaltungsgericht begründete die ohne Durchführung einer Verhandlung erfolgte Abweisung des Antrages der Revisionswerber auf Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages damit, dass das gegenständliche Kellerrohbauwerk vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden sei und es sich somit um einen rechtmäßigen Bestand im Sinn des § 40 Abs. 1 BauG handle. Diese Feststellung gründete es auf die eidesstattlichen Erklärungen des Herrn R. vom 29. Oktober 2014 - welche dem Akteninhalt zufolge den Revisionswerbern überhaupt erst anlässlich einer nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vorgenommenen Akteneinsicht vorgelegt wurden - sowie des Herrn S. und des Herrn L., beide vom 6. Oktober 2015, welche den Revisionswerbern ebenfalls nicht vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zur Kenntnis gebracht wurden; gleichzeitig würdigte das Verwaltungsgericht die von den Revisionswerbern zur Untermauerung ihres Beschwerdevorbringens, wonach das Kellerrohbauwerk erst im Jahr 1978 und somit nicht vor dem 1. Jänner 1969 errichtet worden sei, vorgelegten Luftaufnahmen - ohne nähere Begründung - als zum Beweis dieser Behauptung nicht geeignet.

13 Nachbarrechte im Baubewilligungsverfahren stehen in so engem Zusammenhang mit Auswirkungen des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück und dessen Wert bzw. auf den ungestörten Genuss des Eigentums am Nachbargrundstück, dass sie als "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK anzusehen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Ro 2015/05/0004, mwH auf die Judikatur des EGMR). Dies gilt auch für Nachbarrechte in dem dem Revisionsfall zugrunde liegenden Bauauftragsverfahren hinsichtlich einer allenfalls vorschriftswidrigen baulichen Anlage.

14 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei maßgeblichem sachverhaltsbezogenen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 29. März 2017, Ra 2015/05/0051, mwN).

15 Vor diesem Hintergrund wäre im Revisionsfall eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen gewesen, weil der von der Baubehörde angenommene Sachverhalt von den Revisionswerbern in ihrer Beschwerde konkret bestritten wurde und das Verwaltungsgericht darüber hinaus seine Entscheidung auch auf Umstände gestützt hat, die nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens waren und die den Revisionswerbern nicht bekannt waren. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. auch dazu das oben zitierte hg. Erkenntnis vom 29. März 2017, mwN).

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014. Wien, am 1. August 2017

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