VwGH Ra 2015/03/0037

VwGHRa 2015/03/003730.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der revisionswerbenden Partei *****, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2015, Zl W194 2007700- 1/11Z, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit betreffend das ORF-Gesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Kommunikationsbehörde Austria), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332;
VwGG §24 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015030037.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 23. März 2015 wurde die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 15. Jänner 2015 erhobene ordentliche Revision des Revisionswerbers wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 30a Abs 1 VwGG zurückgewiesen.

2. Mit Eingabe vom 24. März 2015 beantragte der Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und erhob (neuerlich) Revision. Seinen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass die in Rede stehende Revision die erste gewesen sei, die in der Kanzlei seiner Rechtsvertreter - nach Freischaltung des VwGH und des BVwG im WebERV - mittels elektronischen Rechtsverkehrs einzubringen gewesen sei. Dementsprechend habe der zuständige Rechtsanwalt diese Einbringung nicht allein einer Kanzleimitarbeiterin übertragen, sondern diese selbst geleitet. Das in der Kanzlei verwendete Softwareprogramm sehe die Wahl zwischen den Eingaben "VwGH-Antrag (VWGHA)" und "BVwG-Antrag (BVWGA)" vor. Der Revisionswerbervertreter sei der Meinung gewesen, dass die gegenständliche Revision als "VWGHA" eingegeben werden müsse, weil es sich um eine "VwGH-Beschwerde" gehandelt habe. Anders als für Eingaben an die Justiz sei es bei Verwendung des angeführten Kürzels "VWGHA" nicht möglich gewesen, im Programm jenes Gericht zu definieren, bei dem der Schriftsatz einzubringen sei. Der Revisionswerbervertreter sei aber davon ausgegangen, dass die Eingabe richtig an das BVwG gesandt werde, weil eine Revision an den VwGH mittels WebERV zum damaligen Zeitpunkt ohnedies nur ein Erkenntnis des BVwG betreffen und daher nur bei diesem eingebracht werden konnte (andere Verwaltungsgerichte seien im WebERV noch nicht freigeschaltet gewesen). Die Leistung sei auf dieser Basis abgeschlossen und der WebERV-Datensatz erstellt worden. Der Revisionswerbervertreter habe noch die "Vorschau" betrachtet, auf der kein Hinweis enthalten gewesen sei, bei welcher Stelle der Schriftsatz eingebracht werden würde. Er habe die Weisung gegeben, den Schriftsatz in dieser Konfiguration einzubringen und die Einbringung zu kontrollieren. Nach Vorliegen des Einbringungsstatus "OK" sei die Angelegenheit für ihn und seine Mitarbeiterin korrekt abgeschlossen gewesen.

Erst später sei in Erfahrung gebracht worden, dass das verwendete Softwareprogramm bei Verwendung des Kürzels "VWGHA" zwingend mit der Einbringungsstelle "Verwaltungsgerichtshof" verknüpfe. Von diesem Irrtum habe der Revisionswerbervertreter erst durch die verfahrensleitende Verfügung des VwGH vom 6. März 2015 (zugestellt am 11. März 2015), mit der die Eingabe an das zuständige BVwG übermittelt worden war, Kenntnis erlangt.

Angesichts der dargelegten Umstände sei der Revisionswerber durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Revisionsfrist gehindert gewesen und es liege jedenfalls nur ein minderer Grad des Versehens (seiner Rechtsvertreter) vor.

3. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und die gleichzeitig erhobene Revision zurück. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.

Begründend führte es aus, es sei den Revisonswerbervertretern zwar gelungen darzutun, dass sie infolge von Abweichungen von der (für den zuständigen Rechtsvertreter und die hierfür zuständige Mitarbeiterin) "üblichen" Struktur des WebERV durch ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs 1 VwGG an der rechtzeitigen Einbringung der verfahrensgegenständlichen Revision beim BVwG gehindert gewesen seien, jedoch könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein minderer Grad des Versehens vorgelegen sei. Gerade im Zusammenhang mit einem im Berufsalltag des rechtskundigen Parteienvertreters "üblichen" Programm wie dem WebERV müssten schon außergewöhnliche Umstände zum Tragen kommen, die auf ein bloß geringfügiges Versehen schließen lassen könnten. Solche Umstände seien aber nicht zu erkennen, weil der zuständige Rechtsanwalt selbst hervorhebe, dass für die Einbringung einer Revision an den VwGH kein Erfahrungspotential in der Kanzlei vorgelegen sei und ihm schon im Zuge der Einbringung der Revision aufgefallen sei, dass nirgendwo die tatsächliche Einbringungsstelle aufgeschienen sei. Angesichts des (zeitkritischen) Umstandes, dass der Einbringungsprozess am letzten Tag der Revisionsfrist vorgenommen worden sei (obwohl es sich um eine erstmalige Revisionseinbringung gehandelt habe), hätte der Rechtsvertreter daher ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, die Revision - um ganz sicher zu gehen - zusätzlich auch postalisch dem BVwG zu übermitteln. Ebenso hätte die Möglichkeit einer Rückfrage beim Software-Anbieter des WebERV bestanden (entsprechende Kontaktdaten seien beim Rechtsvertreter nach den Angaben im Antrag offenbar vorhanden gewesen, die eine solche Rückfrage ohne Schwierigkeiten ermöglicht hätten) und es wäre eine solche Vorgehensweise von einem rechtskundigen Parteienvertreter auch zu erwarten gewesen; dies vor allem unter Bedachtnahme darauf, dass für den Rechtsvertreter im Zusammenhang mit der Einführung des "Revisionssystems" im Zuge der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle nicht ausgeschlossen werden konnte, dass ein solches System entsprechende Veränderungen im WebERV mit sich bringe. Dem Antrag sei daher keine Folge zu geben gewesen; die Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

4. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, ihr Folge zu geben, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache auszusprechen, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der gegenständlichen Revisionsfrist bewilligt werde, hilfsweise das Verfahren an das BVwG zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst ausgeführt, dass die hier in Rede stehende Konstellation mit jenen, für welche der VwGH bereits ausgesprochen habe, dass die Versäumung der Revisionsfrist wegen Einbringung beim falschen Gericht keinen Wiedereinsetzungsgrund bilde, nicht vergleichbar sei. Die Beurteilung des BVwG sei auch in einem Ausmaß verfehlt, dass sie im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifen sei. Es sei nicht in Abrede zu stellen, dass der elektronische Rechtsverkehr eine Fülle von Vorteilen bringe, er führe allerdings gerade in Umstellungsphasen auch zu Problemen, die selbst für versierte Anwender zuweilen kaum lösbar seien. Im bestmöglichen Bemühen, den gesetzlichen Vorgaben zur elektronischen Einbringung nachzukommen, noch ein Verschulden zu erblicken, weil nicht auch sicherheitshalber die postalische Einbringung vorgenommen worden sei, konterkariere das System. Hinzu komme, dass jener äußerst strenge Sorgfaltsmaßstab, den das BVwG anlege, auch dem Gesetz nicht entspreche. Denn nach diesem hindere selbst ein minderer Grad des Versehens die Wiedereinsetzung gerade nicht. Der Revisionswerbervertreter habe keinen Rechtsirrtum zu verantworten, sondern die Rechtslage zutreffend beurteilt, wonach die Revision beim BVwG eingebracht werden musste. Die Revision sei jedoch durch einen nicht erkennbaren Bedienungsfehler des Softwareprogramms unbeabsichtigt und zunächst unerkannt an den VwGH übermittelt worden. Eine (kurzfristige) Nachfrage beim Software-Anbieter hätte entgegen der Mutmaßung des BVwG aus näher dargestellten Gründen kein anderes Ergebnis gebracht.

5. Die Revision ist nicht zulässig.

5.1. Nach Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind diese Bestimmungen gemäß Art 133 Abs 9 B-VG sinngemäß anzuwenden.

Nach § 34 Abs 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revison gemäß Art 133 Abs 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision hat er im Rahmen der in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs 3 VwGG) zu überprüfen.

5.2. Der Revisionswerber begründet seine Rechtsansicht, die Revision sei im vorliegenden Fall entgegen dem Ausspruch des BVwG zulässig, im Wesentlichen damit, dass zur vorliegenden Sachverhaltskonstellation noch keine Rechtsprechung des VwGH vorliege bzw die im angefochtenen Beschluss vertretene Auffassung aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsse.

5.3. Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist ein Verschulden des Vertreters einer Partei dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen; der Machtgeber muss sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen. Dabei wird an die Sorgfaltspflichten bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern ein strengerer Maßstab angelegt als bei anderen (rechtsunkundigen) Personen (vgl etwa Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 44 mwN; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I2 (1998), E 182).

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Frist ausgeschlossen ist. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des VwGH auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von Eingaben im elektronischen Weg vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl etwa zur Kontrolle des Sendeberichts bei der Übermittlung mittels Telefax VwGH vom 8. Juli 2004, 2004/07/0100, mwN, vom 30. März 2004, 2003/06/0043, und vom 15. September 2005, 2005/07/0104; zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen VwGH vom 22. Februar 2006, 2005/09/0015 (VwSlg 16.834 A), vom 15. Dezember 2009, 2009/05/0257, 0258 und vom 23. April 2015, 2012/07/0222).

Diese in der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien, die allgemein dem Umstand Rechnung tragen, dass die Sendung von Eingaben im elektronischen Wege fehleranfällig ist, lassen sich auch auf die Übermittlung von Eingaben im WebERV übertragen (vgl in diesem Sinne auch VfGH vom 21. November 2013, B 629/2013- 11). Die Rechtslage ist daher durch die oben angeführte Judikatur bereits geklärt.

5.4. Das BVwG ist von diesen in der Rechtsprechung des VwGH aufgestellten Leitlinien im Ergebnis auch nicht abgewichen. Nach dem Revisionsvorbringen gestattete das verwendete Software-Programm (anders als bei Eingaben an die ordentlichen Gerichte) keine gesonderte Festlegung der Einbringungsstelle. Warum die Revisionswerbervertreter ungeachtet dessen auf die korrekte Einbringung der Revision beim BVwG vertraut haben, ist angesichts dessen nicht nachvollziehbar. Die nach dem Revisionsvorbringen vorgenommene Eingabe im Programm, nämlich die Festlegung der Leistung als "VwGH-Antrag", hätte vielmehr Zweifel daran aufkommen lassen müssen, dass damit die Einbringung bei der gesetzlich vorgesehenen Stelle sichergestellt wird. Den rechtskundigen Parteienvertretern des Revisionswerbers musste nämlich bekannt sein, dass Schriftsätze (und Anträge) an den VwGH gemäß § 24 Abs 1 VwGG zwar grundsätzlich beim zuständigen Verwaltungsgericht einzubringen sind, es aber auch Fälle gibt, in denen derartige Schriftsätze unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht werden müssen. Das Vertrauen darauf, dass das Software-Programm bei bloßer Eingabe "VwGH-Antrag" die gesetzlich richtige Einbringungsstelle definieren wird, war daher schon deshalb nicht gerechtfertigt.

Die Rechtsvertreter des Revisionswerbers gestehen im Übrigen auch zu, dass selbst nach Fertigstellung des Datensatzes keine zusammenfassende "Vorschau" der folgenden Verfahrensschritte zu erkennen war, aus der sich die korrekte Einbringungsstelle ergeben hätte.

Umso mehr wäre zu erwarten gewesen, dass sie sich nach Übermittlung der Sendung auch vergewissern, dass diese tatsächlich an den richtigen Adressaten (fallbezogen also an das BVwG) abgesendet wurde, und sich - entgegen ihrem Vorbringen - nicht damit begnügen, die korrekte Übermittlung (an irgendeine Einbringungsstelle) durch den Sendevermerk "OK" als ausreichend anzusehen. Ein minderer Grad des Versehens liegt deshalb gegenständlich nicht vor (vgl den schon zitierten Beschluss des VfGH B 629/2013-11).

6. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs 1 VwGG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2015

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