VwGH Ra 2015/02/0226

VwGHRa 2015/02/022615.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Dr. Köller, Dr. Lehofer, Dr. N. Bachler und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 30. September 2015, Zl. LVwG-601056/4/Br, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: B in F, vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 9), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
StGB §81 Abs1 Z2;
StGB §88 Abs1;
StGB §88 Abs4;
StPO 1975 §259;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
VStG §22 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Das Land Oberösterreich hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (in weiterer Folge: revisionswerbende BH) vom 21. August 2015 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe am 25. Juli 2014 um 19:50 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (1,16 mg/l Atemluftalkoholgehalt) gelenkt. Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen; über ihn wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.600,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Tage) verhängt.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (in weiterer Folge: LVwG), in der er im Wesentlichen geltend machte, dass die Bestrafung mit Straferkenntnis vom 21. August 2015 gegen das Doppelbestrafungsverbot der EMRK verstoße. Dem Mitbeteiligten sei unstrittig mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft W. das Vergehen der schweren Körperverletzung mit der Qualifikation nach § 81 Abs. 1 Z 2 StGB (Alkoholisierungsvorwurf) zur Last gelegt worden. Der Straftatbestand des StGB sei so gestaltet, dass die Strafbarkeit in qualifizierter Form wegen Alkoholisierung dann vorliege, wenn sich der Täter vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt habe, obwohl er vorhergesehen habe oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei. Da letztere Voraussetzungen der Vorhersehbarkeit nicht gegeben gewesen seien und der Mitbeteiligte Alkohol im Bewusstsein konsumiert habe, an diesem Abend kein Kraftfahrzeug mehr lenken zu müssen, sei der Qualifikationstatbestand nach § 81 Abs. 1 Z 2 StGB nicht erfüllt gewesen und der Mitbeteiligte mit Urteil des Landesgerichtes W. vom 23. Februar 2015 lediglich wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auch wenn die Alkoholisierung des Mitbeteiligten nicht zu einer Verurteilung im Sinne einer weiteren Qualifikation geführt habe, sei (notwendigerweise) schon aufgrund des Strafantrages im gerichtlichen Verfahren darauf Bedacht genommen worden, sodass zwei Verfahren abgeführt worden seien, die auf denselben bzw. im Wesentlichen selben Sachverhaltselementen beruhten.

3 Das LVwG gab der Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. September 2015 unter Spruchpunkt I. gemäß § 50 VwGVG Folge, hob das Straferkenntnis der revisionswerbenden BH vom 21. August 2015 auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Unter Spruchpunkt III. erklärte es die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

4 Begründend gab das LVwG - nach Wiedergabe der Begründung des Straferkenntnisses vom 21. August 2015 und des Beschwerdevorbringens - zunächst den Inhalt des Strafantrages der Staatsanwaltschaft W. vom 16. Jänner 2015 wie folgt wieder (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Gemäß dem oben bezeichneten Strafantrag der Staatsanwaltschaft W. sei der Beschwerdeführer (Anm.: der Mitbeteiligte) am 25.07.2014 in F., indem er unter Einhaltung einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit (60 km/h), oder unter Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit (35 km/h), verbunden mit einem Überholvorgang trotz unklarer Verkehrssituation oder unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt und Aufmerksamkeit und somit dem Übersehen des vom Opfer durchgeführten Abbiegevorganges, auf der O.-Straße von F. kommend mit dem von ihm gelenkten Pritschenwagen mit der mit ihrem Fahrrad in die gleiche Richtung fahrende, jedoch nach links in die B.- Straße einbiegende B. D. kollidiert. Diese habe dadurch ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, eine Orbitadach-Fraktur linksseitig, eine occipitale Schädelfraktur linksseitig, eine Fraktur des Ramus mandibulae linksseitig, eine Einblutung in die Stirnhöhle und Nasenhöhle linksseitig, eine Wunde an der Stirn sowie einen Strecksehnenausriss am Mittelfinger links erlitten. Er habe sie daher fahrlässig schwer am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe (§ 84 Abs. 1 StGB). Er habe sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (1,16 mg/l AAK) versetzt gehabt, obwohl er vorhergesehen habe oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen, oder zu vergrößern geeignet sei, nämlich das Lenken des eigenen Firmen-Pritschenwagens am Nachhauseweg. Hierdurch habe der Beschwerdeführer (Mitbeteiligte) das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB begangen und sei hierfür nach dem zweiter Strafsatz des § 88 Abs. 4 StGB zu bestrafen."

5 Der Mitbeteiligte sei - so das LVwG weiter - mit Urteil des Landesgerichtes W. vom 23. Februar 2015 nach einer durchgeführten Hauptverhandlung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen (Bemessung EUR 19,00), demnach zu einer Geldstrafe von EUR 3.420,00 verurteilt worden. Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit des Mitbeteiligten sowie sein Geständnis, die Führerscheinabnahme und das erhebliche Mitverschulden der beim Unfall schwer verletzten Radfahrerin gewertet worden. Die revisionswerbende BH scheine von einer unterbliebenen Verfolgung des Alkoholisierungsaspektes ausgegangen zu sein. Dies sei jedoch offenkundig nicht der Fall, zumal einerseits auch bereits aus der Begründung der gekürzten Ausfertigung (die Führerscheinabnahme sei bei den Strafzumessungsgründen gewertet worden) die Alkoholisierung (zumindest indirekt) aus dem Urteil, aber insbesondere aus dem Strafantrag klar hervorgegangen sei. Andererseits deute auch das verhängte Strafausmaß darauf hin. Im angefochtenen Straferkenntnis vom 21. August 2015 werde dieser Inhalt (abermals) als Verwaltungsstrafe vorgeworfen und hierfür eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.600,00 und im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen ausgesprochen.

6 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das LVwG unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR vom 10. Februar 2009, Zolotukhin gegen Russland, Nr. 14939/03, aus, dass dasselbe Verhalten desselben Beschuldigten im selben zeitlichen Rahmen betroffen sei. Deshalb komme es darauf an, ob die Tatsachen der strafbaren Handlung, wegen der der Mitbeteiligte bereits angeklagt und verurteilt worden sei, identisch oder im Wesentlichen dieselben gewesen seien. Die revisionswerbende BH scheine dies "mit Blick auf die im Gerichtsurteil nicht dezidiert in der Begründung hervorgehobenen - ‚besonders gefährlichen Verhältnisse iSd § 81 Abs. 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen' - zu verneinen."

Ziel von Art. 4 des 7. Zusatzprotokolles zur Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: ZPEMRK) sei die Wiederholung eines Strafverfahrens zu verbieten, das durch eine endgültige Entscheidung abgeschlossen worden sei. Dies sei im oben zitierten Gerichtsurteil begründet. Art. 4 7. ZPEMRK beschränke sich nicht nur auf das Recht, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern gewähre auch ein Recht, nicht zweimal verfolgt oder vor Gericht gestellt zu werden. Das Straferkenntnis vom 21. August 2015 sei daher mit Blick auf das Doppelbestrafungsverbot zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen. Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung unzulässig.

7 Gegen dieses Erkenntnis erhob die revisionswerbende BH eine Amtsrevision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge eine mündliche Verhandlung durchführen und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die revisionswerbende BH begründet die Zulässigkeit der Revision mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2009, B 559/08, und führt dazu aus:

"Eine (zwei- oder mehrfache) Verfolgung (und/oder Bestrafung) wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen ist (im Hinblick auf Art. 4 7. ZPEMRK) dann zulässig, wenn sich die Straftatbestände in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden, wie etwa wegen fahrlässiger Körperverletzung (ohne Berücksichtigung der Alkoholisierung, § 88 Abs. 1 StGB) und wegen Lenkens eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand (§ 99 Abs. 1a StVO) (...). Die zu lösende Rechtsfrage ist in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet und widerspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Deren Lösung kommt demnach grundsätzliche Bedeutung zu."

11 Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich aber aus

nachstehenden Gründen als unbegründet:

12 § 5 Abs. 1 und § 99 Abs. 1 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960, lauten in der vorliegend maßgeblichen Fassung wie folgt:

"§ 5. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol.

(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt."

"§ 99. Strafbestimmungen.

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1600 Euro bis 5900 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt," ...

13 § 88 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010, lautet auszugsweise:

"Fahrlässige Körperverletzung

§ 88. (1) Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

(...)

(3) In den im § 81 Abs. 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(4) Hat die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, in den im § 81 Abs. 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen aber mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen."

14 § 81 Abs. 1 Z 2 StGB in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2001 lautet:

"Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen

§ 81. (1) Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt

(...)

2. nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei, oder

(...)

ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen."

15 Der Mitbeteiligte wurde mit Urteil des Landesgerichtes W. vom 23. Februar 2015 gemäß § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. Wie aus der gekürzten Urteilsausfertigung hervorgeht, nahm das Landesgericht W. dabei folgende Tatsachen als erwiesen an (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"T. B. hat am 25.07.2014 in F., indem er unter Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit (35 km/h), verbunden mit einem Reaktionsverzug und mit einem Überholvorgang trotz unklarer Verkehrssituation bzw. unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt und Aufmerksamkeit und somit dem Übersehen des vom Opfer bereits durchgeführten Abbiegevorganges, auf der O.-Straße von F. kommend mit dem von ihm gelenkten Pritschenwagen mit der mit ihrem Fahrrad in die gleiche Richtung fahrenden, jedoch nach links in die B.-Straße einbiegenden B. D. kollidiert ist, diese in Form eines Schädel-Hirn-Traumas ersten Grades, einer Orbitadach-Fraktur linksseitig, einer occipitalen Schädelfraktur linksseitig, einer Fraktur des Ramus mandibulae linksseitig, einer Einblutung in die Stirnhöhle und Nasenhöhle linksseitig, einer Wunde an der Stirn sowie eines Strecksehnenausrisses am Mittelfinger links, fahrlässig an sich schwer am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt hat (§ 84 Abs. 1 StGB)."

16 Unstrittig ist, dass das Landesgericht W. die dem Mitbeteiligten von der Staatsanwaltschaft W. mit Strafantrag zur Last gelegte Qualifikation gemäß § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB - der Mitbeteiligte habe sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (1,16 mg/l AKK) versetzt, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen geeignet sei, nämlich das Lenken des eigenen Firmen-Pritschenwagens am Nachhauseweg - nicht als verwirklicht erachtete. Nach dem Vorbringen des Mitbeteiligten im verwaltungsbehördlichen Verfahren habe dieser Alkohol im Bewusstsein konsumiert, am Abend von der Freundin abgeholt zu werden und nicht mehr ein Fahrzeug lenken zu müssen. Erst nach dem Alkoholkonsum habe er erfahren, dass ihn seine Freundin nicht abholen werde, weshalb er selbst mit dem Fahrzeug fahren habe müssen. Demnach sei der Tatbestand des § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB nicht erfüllt gewesen.

17 Aus dem Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichtes W. gehen die Gründe, warum das Landesgericht die Strafbarkeitserfordernisse des § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB nicht als verwirklicht erachtete, nicht hervor. Die revisionswerbende BH selbst bringt in der Revision vor, es sei in der Urteilsausfertigung weder tatsächlich noch rechtlich auf eine Alkoholisierungsproblematik Bezug genommen worden, weil die Alkoholisierung aus Gründen der fehlenden inneren Tatseite (subjektive Vorhersehbarkeit) zu keiner rechtlichen Verwertung durch das Gericht geführt habe. Die revisionswerbende BH vertritt die Ansicht, dass im Gerichtsverfahren die fahrlässige Körperverletzung als Folge einer fahrlässigen Berauschung trotz Vorhersehbarkeit einer gefährlichen Tätigkeit, wie des Lenkens eines Kraftfahrzeuges, relevant sei, während der gesonderte, ausschließlich verwaltungsstrafrechtlich relevante Tatentschluss, im alkoholisierten Zustand ein Kraftfahrzeug auf einer öffentlichen Verkehrsfläche zu lenken, einen wesentlich anderen Straftatbestand darstelle. Durch die unrichtige Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des Doppelverfolgungs- und -bestrafungsverbotes des Art. 4 7. ZPEMRK werde das Recht des Staates auf gesetzmäßige Bestrafung von Verwaltungsübertretungen nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verletzt.

18 Gemäß Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Schon der Wortlaut der Bestimmung macht deutlich, dass Art. 4 7. ZPEMRK nicht nur eine doppelte Bestrafung verbietet, sondern auch die doppelte Verfolgung einer strafbaren Handlung (vgl. EGMR vom 3. Oktober 2002, Zigarella gegen Italien, Nr. 48154/99 und vom 10. Februar 2009, Zolotukhin gegen Russland, Nr. 14939/03; vgl. auch das Erkenntnis des VfGH vom 29. Juni 2001, G 108/01).

19 Für die Beurteilung der Frage, ob das LVwG das Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf Art. 4 7. ZPEMRK zu Recht eingestellt hat, ist zunächst zu klären, ob die besonderen Umstände des § 81 Abs. 1 Z 2 StGB und die verwaltungsstrafrechtliche Übertretungshandlung nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 überhaupt dieselbe strafbare Handlung (idem) betreffen.

20 Im Fall Gradinger (EGMR vom 23. Oktober 1995, Gradinger gegen Österreich, Nr. 15963/90) hat der EGMR zu den Bestimmungen des § 81 Abs. 1 Z 2 StGB (im vom EGMR zu entscheidenden Fall: § 81 Z 2 StGB idF BGBl. 60/1974) und des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 festgehalten:

"Der Gerichtshof ist sich völlig bewusst, dass die in Rede stehenden Bestimmungen verschieden sind, nicht nur was die Bezeichnung der strafbaren Handlung betrifft, sondern was wichtiger ist, auch was ihre Art und ihren Zweck anlangt. Er bemerkt weiters, dass die in § 5 StVO vorgesehene Strafbestimmung nur einen der Gesichtspunkte (‚aspect') der gemäß § 81 Z 2 StGB strafbaren Handlung widerspiegelt."

Im konkreten Fall stellte der EGMR eine Verletzung von Art. 4 7. ZPEMRK fest, weil sich die Entscheidungen der Verwaltungsbehörde - über den Beschwerdeführer wurde gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe verhängt - und des Strafgerichtes - es verneinte eine Alkoholisierung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Unfalles - auf dasselbe Verhalten gründeten.

21 Im Fall Franz Fischer (EGMR vom 29. Mai 2001, Franz Fischer gegen Österreich, Nr. 37950/97) hatte der EGMR zu entscheiden, ob die verwaltungsbehördliche Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Verletzung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 sowie die gerichtliche Bestrafung wegen Verletzung des § 81 Z 2 StGB (idF BGBl. 60/1974), nachdem der Beschwerdeführer im alkoholisierten Zustand eine Radfahrerin niedergefahren und tödlich verletzt hatte, eine Verletzung von Art. 4 7. ZPEMRK darstellt. Im Unterschied zum Fall Gradinger wurde der Beschwerdeführer in diesem Fall zuerst von der Verwaltungsbehörde wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 bestraft; das gerichtliche Strafverfahren wurde im Anschluss daran abgeführt.

Der EGMR nahm zunächst auf seine Entscheidung im Fall Gradinger Bezug und merkte an:

"Im Fall Gradinger unterschieden sich die wesentlichen Elemente der Verwaltungsübertretung des Fahrens unter Alkoholeinfluss nicht von denen, die die speziellen Umstände nach § 81 Z 2 StGB konstituieren, nämlich das Fahren eines Fahrzeuges mit einem Blutalkoholwert von 0,8 g/l oder mehr."

Sodann führte der EGMR weiter aus:

"Wie bereits oben erwähnt, betrifft die Frage, ob der Grundsatz des ne bis in idem verletzt ist, die Verwandtschaft zwischen den beiden in Rede stehenden strafbaren Handlungen und kann daher nicht von der Reihenfolge abhängen, in welcher die betreffenden Verfahren geführt werden. Was den Umstand anlangt, dass Herr Gradinger von der besonderen Qualifikation des § 81 Z 2 StGB freigesprochen, aber wegen alkoholisierten Fahrens schuldig gesprochen wurde, während der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall wegen beider strafbarer Handlungen schuldig erkannt wurde, wiederholt der Gerichtshof, dass Art. 4 7. ZPEMRK nicht nur das Recht beinhaltet, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern auch das Recht, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden. Entscheidend für den vorliegenden Fall ist, dass der Beschwerdeführer auf Grundlage einer Handlung zweimal vor Gericht gestellt und bestraft wurde, da die Verwaltungsstraftat des alkoholisierten Fahrens nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO und die besondere Qualifikation nach § 81 Z 2 StGB so wie sie von den Gerichten ausgelegt wird, sich in ihren wesentlichen Elementen nicht unterscheiden."

22 Aus den Urteilen in den Fällen Gradinger und Franz Fischer wird deutlich, dass der Straftatbestand des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 nach Ansicht des EGMR zwar nur einen der Gesichtspunkte nach § 81 Abs. 1 Z 2 StGB widerspiegelt, es sich bei diesem Teil aber um den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") dieses Straftatbestandes handelt, sodass sich die Bestimmung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und die besonderen Umstände des § 81 Abs. 1 Z 2 StGB in ihren wesentlichen Elementen nicht unterscheiden. Dementsprechend schließt eine Verfolgung oder Bestrafung nach § 81 Abs. 1 Z 2 StGB eine neuerliche Beurteilung oder Bestrafung nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 aus.

23 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesem Ergebnis an. Die strafrechtliche Anklage gemäß § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB umfasst die Fakten der Verwaltungsstraftat des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960. Es kann auch nicht in Abrede gestellt werden, dass der Straftatbestand der Qualifikation nach § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 vollständig erschöpft. Somit wäre eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung bzw. Verurteilung nach rechtskräftig beendetem Strafverfahren eine Verletzung des Art. 4

7. ZPEMRK und damit unzulässig.

24 Vor diesem Hintergrund gilt es in einem nächsten Schritt zu klären, ob auch das Urteil des Landesgerichtes W. in der konkreten Konstellation des vorliegenden Falles - gegen den Mitbeteiligten wurde Anklage gemäß § 88 Abs. 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB erhoben, eine Verurteilung erfolgte gemäß § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB - Sperrwirkung im Sinne von "ne bis in idem" für eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 entfaltet. Nur in diesem Fall wäre die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch das LVwG zur Hintanhaltung einer Verletzung von Art. 4

7. ZPEMRK zu Recht erfolgt.

25 Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK verbietet die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Eine Entscheidung - Freispruch oder Verurteilung - ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicata erlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, d.h. wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind. Wann eine Entscheidung als rechtskräftig anzusehen ist, ist nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen, wiewohl dabei von einem autonomen Verständnis des Begriffes "Rechtskraft", welches sich am traditionellen Begriffsbild im Sinne von Unwiderruflichkeit orientiert, auszugehen ist. Die Möglichkeit der Erhebung außerordentlicher Rechtsmittel - wie einer Wiederaufnahme - ändert hingegen nichts an der Rechtskraft einer Entscheidung. Art. 4

7. ZPEMRK verbietet nicht die gleichzeitige Führung mehrerer Strafverfahren, wenn das zweite Verfahren nach endgültiger Beendigung des ersten Verfahrens eingestellt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2015, 2012/02/0238, mit Hinweisen auf die Urteile des EGMR vom 10. Februar 2009, Zolotukhin gegen Russland, Nr. 14939/03 und vom 17. Februar 2015, Boman gegen Finnland, Nr. 41604/11, das Erkenntnis des VfGH vom 2. Juli 2009,

B 559/08 sowie Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches "ne bis in idem" und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004,153 ff.).

26 Allerdings kommt nicht jeder endgültigen Entscheidung die Fähigkeit zu, ein Wiederholungsverbot im Sinne des Art. 4

7. ZPEMRK zu bewirken. Zu prüfen ist, auf welcher inhaltlichen Basis und aufgrund welcher Prüfungstiefe diese Entscheidung ergangen ist. Eine Sperrwirkung wird nur hinsichtlich jener Fakten anzunehmen sein, die im Strafverfahren herangezogen und geprüft wurden (vgl. das zuvor zitierte hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2015, 2012/02/0238, hier in Bezug auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 35/2012; allgemein Thienel/Hauenschild, aaO, 156, wonach maßgeblich sei, dass die jeweilige Entscheidung einen mit einem Sachurteil vergleichbaren Inhalt besitze und der Beschuldigte in ähnlicher Intensität verfolgt worden sei; vgl. auch Birklbauer in Fuchs/Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung, Rz 38 zu § 17 StPO).

27 So stellte der EGMR im Fall Bachmaier (EGMR vom 2. September 2004, Bachmaier gegen Österreich, Nr. 77413/01) trotz rechtskräftigen Freispruches des Beschwerdeführers vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 80, § 81 Z 2 StGB) und der nachfolgenden Bestrafung wegen der Verwaltungsübertretung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 keine Verletzung des Art. 4 7. ZPEMRK fest. Er begründete dies damit, dass der Erschwerungsgrund der Alkoholisierung vom Strafgericht nicht geprüft worden sei, weil nicht festgestellt werden habe können, ob der Beschwerdeführer den tödlichen Verkehrsunfall überhaupt verursacht habe. Für das Strafgericht sei deshalb nur das wesentliche Element der "fahrlässigen Tötung" relevant gewesen, während das zusätzliche Element des "Fahrens im Zustand der Trunkenheit" ausschließlich Gegenstand im Verwaltungsstrafverfahren gewesen sei.

28 Auch in dem von der revisionswerbenden BH in der Begründung der Zulässigkeit der Revision zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2009, B 559/08, verneinte dieser das Vorliegen einer Verletzung von Art. 4 7. ZPEMRK. In dem vom Verfassungsgerichtshof zu beurteilenden Fall wurde das strafgerichtliche Verfahren gegen den Beschwerdeführer betreffend das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 3 iVm § 81 Abs. 1 Z 2 StGB nach Zurückziehung des Nachtragsstrafantrages durch die Staatsanwaltschaft aus dem Grund des § 34 Abs. 2 Z 1 StPO idF BGBl. I Nr. 153/1998, gemäß § 227 Abs. 1 StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 eingestellt, weil die Verfolgung weder auf die Strafe noch die mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen wesentlichen Einfluss gehabt hätte. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge u.a. wegen Verletzung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verwaltungsstrafrechtlich belangt. Der Verfassungsgerichtshof wertete die Einstellung des Strafverfahrens aufgrund des Anklagerücktrittes als rechtskräftige Entscheidung (Freispruch) im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK, zumal eine Fortsetzung des Strafverfahrens, außer durch Erhebung einer Subsidiarklage, nur unter den Voraussetzungen des § 352 Abs. 1 StPO (Wiederaufnahme) möglich war. Mit Hinweis auf die Entscheidung des EGMR im Fall Bachmaier verneinte der Verfassungsgerichtshof das Vorliegen einer Verletzung von Art. 4 7. ZPEMRK. Nach Zurückziehung des Nachtragsstrafantrages sei es für das Strafgericht nicht mehr von Bedeutung gewesen, ob der Beschwerdeführer ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe; es habe die Alkoholisierung des Beschwerdeführers daher nicht geprüft. Das Landesgericht habe das Verfahren ohne Bezugnahme auf das Element der Alkoholisierung eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung aus dem Grund zurückgetreten sei, dass dies weder auf die Strafen noch auf die mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen wesentlichen Einfluss habe.

29 Anders gestaltete sich die Ausgangslage in dem dem hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2015, 2012/02/0238, zugrunde liegenden Fall. Hier stellte die Staatsanwaltschaft das wegen Verdachtes der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 1 StPO idF BGBl. I Nr. 35/2012 ein, weil ein sorgfaltswidriges Verhalten des Beschuldigten nicht ausgemacht werden konnte. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete im konkreten Fall alle Voraussetzungen für die Sperrwirkung dieser Entscheidung im Sinne des "ne bis in idem-Prinzips" als erfüllt. Zum einen sei die Einstellung des Verfahrens rechtskräftig im Sinne von unwiderruflich geworden - der Beschuldigte wurde einvernommen (§ 193 Abs. 2 Z 1 StPO), nach der Aktenlage erfolgte keine Anordnung der Fortführung des Verfahrens gemäß § 193 Abs. 2 Z 2 StPO, die Frist für einen Fortführungsantrag des Opfers war bereits abgelaufen (§ 195 Abs. 2 StPO) und auch in dieser Hinsicht erfolgte keine Anordnung der Fortführung durch die Staatsanwaltschaft nach § 195 Abs. 3 StPO -, zum anderen habe im Ermittlungsverfahren eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den wesentlichen Tatbestandselementen stattgefunden und sei das Verschulden des Angeklagten mit ausführlicher Begründung verneint worden. Somit sei eine inhaltliche Entscheidung erfolgt, welche die Qualität eines Freispruches im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK erreiche.

30 Im vorliegend zu beurteilenden Fall wurde der Mitbeteiligte mit Urteil des Landesgerichtes W. vom 23. Februar 2015 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen verurteilt. Aus der Aktenlage ergibt sich, dass das Landesgericht W. die dem Mitbeteiligten mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft W. ausdrücklich zur Last gelegte Qualifikation des § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB nicht als verwirklicht erachtete, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt des Alkoholgenusses vorhersah oder hätte vorhersehen können, später noch ein Fahrzeug lenken zu müssen. Damit ergibt sich aber bereits aus dem Vorbringen der Parteien, dass das Landesgericht die Alkoholisierung des Mitbeteiligten - anders als in dem von der revisionswerbenden BH zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2009, B 559/08 - prüfte. Auch der vom Landesgericht bei der Strafbemessung angenommene Erschwerungsgrund - "die Alternative nach Hause zu gehen, wobei der Heimweg nur 2 km betragen hätte" - ist ein Indiz dafür, dass die Alkoholisierung im strafgerichtlichen Verfahren sehr wohl von Bedeutung war.

31 Geht das Gericht abweichend von dem erhobenen Anklagevorwurf von der Erfüllung einer zusätzlichen Qualifikation nicht aus, kommt ein formeller Freispruch des Beschuldigten von der Qualifikation nicht in Frage (vgl. RIS-Justiz RS 0120128; Lendl in Fuchs/Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung, Rz 1 zu § 259 StPO). Aus diesem Grund geht auch das Vorbringen der revisionswerbenden BH, das Landesgericht W. habe hinsichtlich der Alkoholisierung keinen Freispruch wegen "§ 88 Abs. 3 iVm § 81 Abs. 1 Z 2 StGB" gefällt, ins Leere. Vielmehr ist im vorliegenden Fall die Beurteilung des Gerichtes, das dem Mitbeteiligten angelastete Verhalten unter § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu subsumieren und nicht unter die Qualifikation nach § 88 Abs. 4 zweiter Fall (§ 81 Abs. 1 Z 2) StGB, als Freispruch vom Aspekt der Alkoholisierung im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK zu werten. Da gegen das Urteil des Landesgerichtes W. nach der Aktenlage kein Rechtsmittel erhoben wurde und die Möglichkeit der Erhebung eines ordentlichen Rechtsmittels nicht mehr besteht, liegt auch eine endgültige Entscheidung im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK vor.

32 Dem Urteil des Landesgerichtes W. kommt somit (auch) im Hinblick auf die Alkoholisierung Sperrwirkung für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren zu, weshalb eine Verfolgung nach § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 unzulässig war. Das LVwG hat das Straferkenntnis der revisionswerbenden BH daher im Ergebnis zu Recht aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten zu Recht eingestellt.

33 Nach dem Gesagten erweist sich die Revision als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

34 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

35 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff., insbesondere § 48 Abs. 3 Z 2 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. April 2016

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