VwGH Ra 2014/18/0090

VwGHRa 2014/18/009028.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des S A in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Maria Paumgartner, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Pfeifergasse 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2014, Zl. W118 1420575- 1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der begehrten Zuerkennung des Asylstatus) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 18. März 2011 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban geflüchtet zu sein. Er sei drei Mal innerhalb weniger Tage von den Taliban dazu aufgefordert worden, sich diesen anzuschließen. Da er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei er aus Angst um sein Leben geflüchtet.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2011 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab und wies den Revisionswerber nach Afghanistan aus.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch aufgrund der Lage in seiner Heimatprovinz den Status des subsidiär Schutzberechtigen zu. Zudem erteilte es eine befristete Aufenthaltsberechtigung und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Das BVwG stellte fest, dass die Taliban versucht hätten, den Revisionswerber anzuwerben. Der Revisionswerber sei dem Anwerbungsversuch nicht nachgekommen, weil er von seiner Mutter erfahren habe, dass dies lebensgefährlich sei. Insgesamt erachtete das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers als glaubwürdig. Jedoch sei keine konkrete Bedrohung des Revisionswerbers behauptet worden, sondern habe dieser beschrieben, dass "(mehrfach) um seine Mitwirkung bei den Taliban geworben wurde und er diesem Angebot beinahe nachgekommen wäre in der Hoffnung, damit sein Leben zu verbessern."

Zwangsrekrutierungen stellten zwar per se keinen asylrelevanten Sachverhalt dar, es könne jedoch einer Person, die zur Teilnahme am Heiligen Krieg aufgefordert werde und dieser Aufforderung nicht nachkomme, eine entsprechende pro-westliche politische Gesinnung unterstellt werden. Diese könne ein die Verfolgung der betreffenden Person auslösendes Moment darstellen. Die Verfolgung müsse jedoch konkret und der Staat dürfe nicht in der Lage sein, Schutz zu gewährleisten. Diese Voraussetzungen träfen gegenständlich jedoch nicht zu, weil es lediglich zu einem Werben um die Mitwirkung des Revisionswerbers gekommen sei, wobei sich dieses Werben auch an andere Personen gerichtet habe. Der Revisionswerber selbst sei weder verbal noch mit Waffengewalt bedroht worden. Die Handlungen hätten weder eine Intensität erreicht, die für die Annahme eines Asylgrundes erforderlich sei, noch seien sie nach der Darstellung des Revisionswerbers konkret genug gewesen, um die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung zu rechtfertigen.

Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG zusammengefasst aus, dass der Revisionswerber aus der Provinz Wardak stamme, die "eine der gefährlichsten Provinzen Afghanistans mit vergleichsweise hoher zu erwartender Präsenz der Taliban gerade entlang der Hauptverkehrsverbindung nach Kabul" sei. Der Revisionswerber verfüge über kein familiäres Netzwerk in Kabul oder in einer der anderen größeren Städte. Es müsse damit gerechnet werden, dass er in seinem Heimatdorf sein Auskommen nicht finden werde. Nachdem sich der Revisionswerber der Einflusssphäre der Taliban entzogen habe, "könnte nunmehr im Fall der Rückkehr tatsächlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Taliban dem (Revisionswerber) eine feindliche Gesinnung unterstellen könnten".

Die Revision gegen das Erkenntnis sei mangels Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Gegen dieses Erkenntnis im Umfang seines Spruchpunktes I (Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der begehrten Zuerkennung des Asylstatus) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der in der Zulässigkeitsbegründung vorgebracht wird, dass das BVwG in Bezug auf die Asylrelevanz von versuchter Zwangsrekrutierung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Sie führt unter anderem aus, dass die "Intensität des Anwerbevorgangs und (die) Tatsache, dass der Revisionswerber geflüchtet ist, den Schluss befürchten lässt, dass der Revisionswerber von den Taliban getötet wird, sofern dieser nach Afghanistan zurückkehren müsste".

Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die außerordentliche Revision ist zulässig und begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass einer (versuchten) Zwangsrekrutierung dann Asylrelevanz zukommt, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist, mit welchen Reaktionen der Taliban der Revisionswerber aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0103-0106, mwN).

Im vorliegenden Fall bezweifelte das BVwG nicht, dass die Taliban um den Revisionswerber geworben hätten. Allerdings stellte es fest, dass die Rekrutierungsversuche in einem bloßen "Werben" um den Revisionswerber ohne verbale Drohungen oder Androhung von Waffengewalt durchgeführt worden seien. Auch wenn eine Asylrelevanz eines Rekrutierungsversuches bei Unterstellung einer feindlichen politischen Gesinnung durch die rekrutierende Gruppe - infolge der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen - grundsätzlich gegeben sein könne, würde diese mangels ausreichender Intensität der Anwerbungshandlungen im gegenständlichen Fall nicht vorliegen. Gleichzeitig wurde dem Revisionswerber jedoch mit der Begründung subsidiärer Schutz gewährt, es "könnte nunmehr im Fall der Rückkehr tatsächlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Taliban dem (Revisionswerber) eine feindliche Gesinnung unterstellen könnten".

Ausgehend von dieser zuletzt genannten Erwägung hätte sich das BVwG auch im Hinblick auf sein Asylansuchen damit beschäftigen müssen, ob der Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung durch die Taliban befürchten müsste.

Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung liegt die für eine Asylrelevanz wesentliche Verfolgungshandlung nämlich gerade in den Folgen, die dem Revisionswerber aufgrund der Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, drohen. Zu diesen Folgen und zum Einfluss der Taliban in der Heimatprovinz des Revisionswerbers hat das BVwG jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Weder führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer es ein näheres Vorbringen des Revisionswerbers zu Bedrohungsszenarien in der Rückkehrphase entsprechend hätte würdigen können, noch zog es zu dieser Frage einen Sachverständigen bei oder wertete die Berichtslage spezifisch dahingehend aus. Erst anhand dieser Tatsachengrundlage ließen sich Rückschlüsse auf die den Betroffenen von den Verfolgern allenfalls auch nur unterstellte politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung und deren Asylrelevanz ziehen (vgl. das soeben zitierte hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, mwN).

Das angefochtene Erkenntnis war daher im Anfechtungsumfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Jänner 2015

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