Normen
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1. Die revisionswerbenden Parteien, alle somalische Staatsangehörige und Angehörige des Minderheitenclans der Bantu/Jareer, sind Mitglieder einer Familie (Eltern und minderjährige Kinder). Der Zweitrevisionswerber stellte am 14. Juli 2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 2. Juli 2010 wurde ihm seitens des Bundesasylamts nicht den Status eines Asylberechtigten zuerkannt, ihm aber subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gewährt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Im Rahmen eines Familienverfahrens gemäß §§ 34 f AsylG 2005 reisten die erst- sowie die dritt- bis viertrevisionswerbenden Parteien nach Österreich ein. Sie stellten jeweils am 2. Jänner 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 28. September 2013 wurde der Fünftrevisionswerber in Österreich geboren und stellte am 22. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 19. April 2013 (erst- und dritt- bis viertrevisionswerbende Parteien) und vom 30. Oktober 2013 (Fünftrevisionswerber) wurde ihnen ebenfalls nicht der Status von Asylberechtigten zuerkannt, ihnen aber subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewährt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Der Zweitrevisionswerber begründete sein Schutzbegehren im Wesentlichen damit, dass er als Angehöriger des Minderheitenclans der Bantu/Jareer durch Angehörige des Clans der Abgaal verfolgt würde. Diese hätten bereits seinem Vater das Grundstück gestohlen und ihn umgebracht. Auch den Zweitrevisionswerber hätten sie gesucht und mit dem Umbringen bedroht; nach seiner Flucht sei die vorerst in Somalia verbliebene Erstrevisionswerberin regelmäßig von Angehörigen der Abgaal geschlagen, bedroht und zu Zahlungen genötigt worden.
Die Erstrevisionswerberin begründete ihren Antrag sowie den Antrag des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin im Wesentlichen damit, dass sie nach Österreich gekommen seien, um Sicherheit zu finden und mit ihrem Mann bzw. Vater zu leben.
Mit - nach Zurückverweisung des Spruchpunktes betreffend die abweisende Entscheidung betreffend die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten durch ein Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 5. September 2011 - im zweiten Rechtsgang ergangenem Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. April 2013 wurde der Antrag des Zweitrevisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen; die Anträge der übrigen revisionswerbenden Parteien wurden mit den bereits angesprochenen Bescheiden vom 19. April 2013 und vom 30. Oktober 2013 ebenfalls gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen. Im Wesentlichen begründete das Bundesasylamt die Entscheidungen damit, dass schon bei Wahrunterstellung des Vorbringens eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu bestünde. Darüber hinaus sei die vorgebrachte Verfolgungsgefahr nicht als glaubwürdig einzustufen. So habe die Erstrevisionswerberin - im Gegensatz zum Zweitrevisionswerber - keine Angaben dahingehend gemacht, dass sie im Zeitraum zwischen der Flucht ihres Ehegatten und ihrer eigenen Flucht regelmäßig durch Angehörige der Abgaal geschlagen, bedroht und genötigt worden sei. Zudem habe der Zweitrevisionswerber den von seinem Vater gestohlenen Landbesitz zurückerhalten, und Angehörige der revisionswerbenden Parteien lebten nach wie vor in Somalia, ohne verfolgt zu werden. Schließlich habe der Zweitrevisionswerber widersprüchliche Angaben darüber getätigt, wie viele Männer ihn verfolgt hätten.
2. In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wandten sich die revisionswerbenden Parteien gegen das Ermittlungsverfahren und die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde. So sei - ohne dass die Erstrevisionswerberin mit den vermeintlich über ihr Vorbringen hinausgehenden Aussagen des Zweitrevisionswerbers Konfrontiert worden wäre - ohne weiteres von einer Aussagedivergenz zwischen den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien ausgegangen worden. Die Erstrevisionswerberin sei tatsächlich regelmäßigen Schutzgeldforderungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Die Täter seien dieselben Männer gewesen, die bereits den Vater des Zweitrevisionswerbers ermordet hätten.
Die Bezugnahme auf die seitens der erstinstanzlichen Behörde herangezogenen Länderberichte sei selektiv erfolgt. Es sei zwar festgestellt worden, dass die Bantu/Janteer als ethnische Minderheit schweren Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen ausgesetzt seien. Die erstinstanzliche Behörde habe aber keine Feststellungen zum Vorbringen getroffen, wonach Angehörige dieser Minderheit infolge des fehlenden Clanschutzes Übergriffen wie den von den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien geschilderten schutzlos ausgeliefert seien; diese Übergriffe seien insofern ethnisch motiviert und damit asylrelevant.
Die Annahme, die in Somalia verbliebenen Angehörigen der revisionswerbenden Parteien könnten dort ohne Gefahr leben, sei nicht weiter begründet. Die in Johwar verbliebenen Angehörigen hätten Schutzgeldzahlungen an die Miliz eines dort aktiven Warlords (eines Abgaal) zu zahlen. Ohne diese Schutzgeldzahlungen (insbesondere aus Erträgen aus der Ernte) liefen sie Gefahr, abermals enteignet zu werden.
Auch dem dem Zweitrevisionswerber vorgeworfenen Widerspruch bei der Benennung der Täter wurde in der Beschwerde konkret entgegengetreten.
Hinsichtlich der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers wurde vorgebracht, dass auch sie als Angehörige der Bantu/Jateer in Somalia asylrelevant gefährdet seien; verstärkt werde diese Gefährdung durch die Verfolgungsgefahr, der ihr Vater, der Zweitrevisionswerber, ausgesetzt sei.
Schließlich habe hinsichtlich des Antrags des Fünftrevisionswerbers zu Unrecht keine Einvernahme stattgefunden; auch er sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Bantu/Jareer in Somalia von asylrelevanter Verfolgung bedroht.
3. Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden als unbegründet ab. Die Revisionen wurden nicht zugelassen.
In der Begründung der Erkenntnisse schloss sich das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen den Erwägungen der erstinstanzlichen Behörde an. So sei dieser in ihrer Beurteilung beizupflichten, wonach der Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu zur Verfügung stünde. Abgesehen davon sei deshalb keine Asylrelevanz des Vorbringens gegeben, weil der Wahrheitsgehalt der durch den Zweitrevisionswerber vorgebrachten Verfolgungshandlungen aufgrund der Aussagedivergenzen im Verhältnis zur Erstrevisionswerberin zu bezweifeln sei. Darüber hinaus habe die Familie ihren Besitz zurückerhalten und die in Somalia verbliebenen Angehörigen könnten von den Erträgen leben. Die erst- und dritt- bis fünftrevisionswerbenden Parteien hätten keine eigenständigen Fluchtgründe geltend gemacht. Es könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass die revisionswerbenden Parteien aktuellen Bedrohungen ausgesetzt seien.
4. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die sich unter anderem gegen den Entfall der mündlichen Verhandlung und die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wenden.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beantragte die Abweisung der Revision, ohne eine inhaltliche Revisionsbeantwortung zu erstatten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionsverfahren wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
- 2. Die außerordentlichen Revisionen sind zulässig und begründet.
- 3. Mit Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das BVwG nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen geklärten Sachverhalts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben, das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
4. Von diesen in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen ist das BVwG im vorliegenden Fall abgewichen. Sämtliche revisionswerbenden Parteien haben die erstinstanzliche Beweiswürdigung in ihrer Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert bestritten, sondern sind den beweiswürdigenden Erwägungen konkret und im Einzelnen entgegen getreten. Entgegen den Ausführungen des BVwG haben die erst- und dritt- bis fünftrevisionswerbenden Parteien in den Beschwerden eigenständige Fluchtgründe vorgebracht; ein allfälliger Verstoß gegen das Neuerungsverbot wurde nicht ins Treffen geführt. Schon aus diesen Gründen setzte die Entscheidung über die Beschwerde eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG voraus, von der zu Unrecht Abstand genommen wurde (vgl. etwa auch das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0056, 0057).
5. Soweit das BVwG schließlich hilfsweise eine innerstaatliche Fluchtalternative für die Familie in Mogadischu angenommen hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz steht, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
6. Im Übrigen weist der Verwaltungsgerichtshof zu dem sehr allgemein gehaltenen Verweis im Erkenntnis des BVwG auf die Länderfeststellungen im vor ihm angefochtenen Bescheid auf die hg. Rechtsprechung hin, wonach sich die die Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben müssen (vgl. VwGH vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/18/0097, mwH).
7. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
8. Kosten waren nicht zuzusprechen, weil die revisionswerbenden Parteien keine Kostenanträge gestellt haben.
Wien, am 29. Juni 2015
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