Normen
VStG §21 Abs1;
VStG §21;
VStG §45 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2013/I/033;
VwRallg;
VStG §21 Abs1;
VStG §21;
VStG §45 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2013/I/033;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
Mit zwei Bescheiden der revisionswerbenden Behörde vom 7. Jänner 2014 wurden die Mitbeteiligten jeweils der Übertretung des § 135 Abs. 1 der Bauordnung für Wien (BO) iVm § 129 Abs. 10, § 79 Abs. 6 und § 82 Abs. 3 leg. cit. für schuldig erkannt und über sie jeweils eine Geldstrafe von EUR 1.440,00 (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag) verhängt, weil sie es in der Zeit vom 13. Dezember 2010 bis 12. April 2013 unterlassen hatten, ein näher beschriebenes, im Vorgarten ihrer Liegenschaft entgegen den Bauvorschriften und Bebauungsvorschriften errichtetes und somit vorschriftswidriges Flugdach zu beseitigen.
Dazu führte der Magistrat jeweils aus, die Vorschriftswidrigkeit des Flugdaches ergebe sich auf Grund dessen Situierung auf einer laut Plandokument die Widmung Gartensiedlungsgebiet aufweisenden, gärtnerisch auszugestaltenden Fläche, die nicht unmittelbar bebaubar sei, wobei eine Anwendung des § 62 Abs. 1 Z 13 BO nicht in Betracht komme und das Flugdach daher der Bewilligungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 lit. a leg. cit. unterliege. Mit Bescheid vom 12. Jänner 2011 sei den Mitbeteiligten der Auftrag erteilt worden, das Flugdach binnen einer Frist von 12 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides zu entfernen.
Gegen die genannten Strafbescheide erhoben die Mitbeteiligten jeweils Beschwerde.
In der am 8. Mai 2014 über beide Beschwerden gemeinsam durchgeführten Beschwerdeverhandlung schränkte dem diesbezüglichen Verhandlungsprotokoll zufolge der Rechtsvertreter der Mitbeteiligten die Beschwerden jeweils auf die Bekämpfung der Strafhöhe ein. Der Magistrat erhob mit Schriftsatz vom 27. Juni 2014 gegen die Verhandlungsniederschrift mit der Behauptung Einwendungen, dass die Niederschrift (u.a.) in Bezug auf die Protokollierung der Beschwerdeeinschränkung unrichtig sei.
Mit den nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnissen vom 11. Juni 2014 sprach das Verwaltungsgericht jeweils aus, dass gemäß § 50 VwGVG der in der öffentlichen Verhandlung am 8. Mai 2014 auf die ausschließliche Bekämpfung der Strafhöhe eingeschränkten Beschwerde dahingehend Folge gegeben werde, dass gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG und § 45 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. von der Verhängung einer Strafe abgesehen und den Mitbeteiligten (jeweils) eine Ermahnung erteilt werde. Ferner sprach das Verwaltungsgericht aus, dass gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision unzulässig sei.
In den im Wesentlichen gleichlautenden Entscheidungsgründen führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2014 ihre Rechtsmittel auf die Bekämpfung der Strafhöhe eingeschränkt und das Absehen von der Verhängung einer Strafe aus den Gründen des § 45 Abs. 1 letzter Satz und Z 4 VStG mit Hinweis auf einen Bewilligungsbescheid des Magistrates vom 20. September 2004, aus welchem sie die erfolgte Bewilligung des inkriminierten Flugdaches hätten ableiten können, begehrt hätten. Die angefochtenen Strafbescheide seien im Schuldspruch daher in Rechtskraft erwachsen, sodass die Strafzumessung zu überprüfen sei. Vor dem Hintergrund des eher geringfügigen Ausmaßes der angelasteten Konsenswidrigkeit habe der Magistrat zu Recht jeweils eine Geldstrafe im unteren Bereich des bis zu EUR 21.000,-- reichenden Strafsatzes gemäß § 135 Abs. 1 BO verhängt. Die Geldstrafe orientiere sich jedoch, unabhängig von den tatsächlichen Strafzumessungsgründen, keinesfalls an der "Notwendigkeit, mehr als ein Jahrzehnt nach der in Österreich erfolgten Währungsumstellung die Geldstrafen in einer Weise festzusetzen, die sowohl für die Verfahrensparteien überschaubar als auch für die involvierten Behörden und Gerichte (z.B. auch die Auswirkungen auf den Kostenanspruch betreffend) nach den gesetzlichen Vorgaben administrierbar" sei. Jedenfalls rechtswidrig wäre eine Strafzumessung auf Grund einer generellen, schematisierten Weisung, deren Erteilung im vorliegenden Fall auf Grund der Sachlage als gegeben erscheine.
Im konkreten Fall habe der Zweitmitbeteiligte in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig dargelegt, dass die Eigentümer (Mitbeteiligten) nach Erwerb der Liegenschaft die vollständige Herstellung eines konsensgemäßen Zustandes angestrebt und in der Folge auf den genannten Bewilligungsbescheid vom 20. September 2004, der sich auf ein "Flugdach zum bestehenden Kleinhaus" beziehe, vertraut hätten. Auf Grund der Verfahrensergebnisse stehe fest, dass sich diese Bewilligung nicht auf das nunmehr inkriminierte Flachdach bezogen habe. Worauf die Bewilligung allerdings tatsächlich gerichtet gewesen sei, habe weder der vor dem Verwaltungsgericht vernommene Zeuge S. noch die Vertreterin des Magistrates darlegen können. Den Mitbeteiligten sei daher vorzuwerfen, dass sie während des angelasteten Tatzeitraumes nach Kenntnisnahme von der Konsenswidrigkeit des Flugdaches nicht alles in ihren Kräften Stehende unternommen hätten, diesen Zustand zu beseitigen.
Die vorliegende Tat habe zwar grundsätzlich das öffentliche Interesse an der raschen Beseitigung von Konsenswidrigkeiten geschädigt, jedoch seien die Folgen der Übertretung im Vergleich zu einer überwiegenden Zahl solcher Verstöße als eher unbedeutend anzusehen, zumal die Konsenswidrigkeit vor der erfolgten Beanstandung durch die Baubehörde bereits über mehrere Jahre hinweg bestanden habe und zunächst von den Mitbeteiligten auf Grund des Bescheides vom 20. September 2004 als nicht gegeben habe erachtet werden können sowie vielmehr bis zum behördlichen Einschreiten in diesem Verfahren von einer (nachträglichen) Bewilligung des Flugdaches habe ausgegangen werden können. Dazu komme, dass in Bezug auf das inkriminierte Flugdach, welches überdies zwischenzeitlich in eine bewilligungsfreie Pergola umgebaut worden sei, naturgemäß keine Gefährdung von Personen oder Sachen festzustellen gewesen sei.
Im Lichte des genannten Bescheides vom 20. September 2004 sei das Verschulden der Mitbeteiligten als geringfügig zu erachten, weil sie die erforderliche Sorgfalt keinesfalls in ungewöhnlicher und darum auffallender Weise vernachlässigt hätten. In diesem Zusammenhang sei ihnen lediglich vorzuwerfen, sie hätten sich während des Tatzeitraumes nicht effektiv damit auseinandergesetzt, dass sie angesichts der später bekanntgegebenen, anderslautenden und letztendlich als rechtsrichtig erkannten Auffassung der Behörde nicht weiterhin auf den teilweise missverständlich formulierten Bewilligungsbescheid vom 20. September 2004 hätten vertrauen dürfen.
Auf Grund der geschilderten Umstände sei das tatbildmäßige Verhalten der Mitbeteiligten hinter dem in der betreffenden Strafdrohung kritisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückgeblieben, weshalb gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG von der Verhängung einer Strafe habe abgesehen werden können und gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. aus spezialpräventiver Sicht eine Ermahnung auszusprechen gewesen sei, um in Hinkunft die lückenlose Einhaltung der Bauvorschriften durch die Mitbeteiligten zu gewährleisten.
Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden, im Wesentlichen gleichlautenden Revisionen des Magistrates mit den Begehren, die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, in eventu in der Sache selbst zu entscheiden.
Das Verwaltungsgericht legte in beiden Revisionsverfahren jeweils die Akten des Verwaltungsverfahrens und seine Akten vor.
Die Mitbeteiligten erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revisionen jeweils als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG in der für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 33/2013 hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind. Nach § 45 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. kann die Behörde, anstatt die Einstellung zu verfügen, dem Beschuldigten im Fall des § 45 Abs. 1 Z 4 leg. cit. unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
Wie im hg. Beschluss vom 5. Mai 2014, Zl. Ro 2014/03/0052, unter Hinweis auf die diesbezüglichen Gesetzesmaterialien ausgeführt wurde, sollten mit dem durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33, neu formulierten § 45 Abs. 1 VStG insbesondere die bisher in § 21 Abs. 1 leg. cit. enthaltenen Bestimmungen an systematisch richtiger Stelle zusammengeführt werden und entsprechen § 45 Abs. 1 Z 4 leg. cit. sowie der neue Schlusssatz dieses Absatzes im Wesentlichen dem (mit der genannten Novelle aufgehobenen) § 21 Abs. 1 VStG. Es kann daher in Bezug auf den Einstellungstatbestand des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG und auf § 45 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. (jeweils in der novellierten Fassung) auf die gesicherte, zu § 21 Abs. 1 leg. cit. ergangene hg. Judikatur zurückgegriffen werden.
Nach dieser Rechtsprechung kann dann, wenn einem Beschuldigten bewusst sein musste, mit seinem Verhalten einem ihm rechtskräftig erteilten behördlichen Auftrag zuwiderzuhandeln und damit (weiterhin) die Rechtsordnung zu übertreten, von einem bloß geringfügigen Verschulden im Sinn des § 21 Abs. 1 VStG (nunmehr § 45 Abs. 1 leg. cit.) keine Rede sein. Insbesondere ist das Vorliegen eines bloß geringfügigen Verschuldens dann auszuschließen, wenn der Beschuldigte durch vorangegangene Beanstandungen von der Rechtswidrigkeit eines Zustandes oder seines Verhaltens Kenntnis erlangen konnte und dennoch keine Änderung herbeiführte (vgl. dazu etwa die in Raschauer/Wessely, VStG (2010) zu § 21 auf S. 327/328 zitierte Rechtsprechung).
In Anbetracht des zur Begründung der Zulässigkeit der vorliegenden Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG (gesondert) erstatteten Vorbringens, dass ein bloß geringfügiges Verschulden im Sinn des (früheren) § 21 VStG bzw. § 45 Abs. 1 Z 4 VStG (in der novellierten Fassung) dann auszuschließen sei, wenn der Beschuldigte durch vorangegangene (behördliche) Beanstandungen von der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens bzw. eines Zustandes Kenntnis erlangt habe, so wenn er einen behördlichen Auftrag (z.B. einen Beseitigungsauftrag) nicht beachtet habe, und daher die angefochtenen Erkenntnisse von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtes abwichen, sodass - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes - eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege, erweisen sich die vorliegenden Revisionen als zulässig.
Ihnen kommt auch Berechtigung zu.
Mit dem in den Revisionen ins Treffen geführten Bescheid des Magistrates vom 12. Jänner 2011, der nach Ausweis der Verwaltungsakten den Mitbeteiligten am 21. Jänner 2011 zugestellt wurde, ist diesen gemäß § 129 Abs. 10 BO (u.a.) der Auftrag erteilt worden, das ohne Baubewilligung auf ihrer Liegenschaft im Vorgarten errichtete Flugdach abtragen zu lassen. Daraus ergibt sich, dass sich die Mitbeteiligten zumindest ab der Zustellung dieses baupolizeilichen Bescheides am 21. Jänner 2011 der Rechtswidrigkeit des Bestandes ihres Flugdaches im Vorgarten ihrer Liegenschaft bewusst sein mussten. Dennoch haben sie es in der Zeit bis zum 12. April 2013 unterlassen, dem behördlichen Auftrag zu folgen und das Flugdach zu beseitigen.
Auf dem Boden der oben genannten hg. Judikatur kann somit für den weitaus überwiegenden Tatzeitraum ab 21. Jänner 2011 bis 12. April 2013 keine Rede davon sein, dass ein derartiges Verhalten eines Beschuldigten als im Sinn des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG (lediglich) gering zu beurteilen ist.
Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt, sodass die angefochtenen Erkenntnisse bereits deshalb - ohne dass noch auf das Revisionsvorbringen, es sei auf Grund der (von der revisionswerbenden Behörde in den Beschwerdeverfahren mit dem oben genannten Schriftsatz vom 27. Juni 2014 in Abrede gestellten) Einschränkung der Beschwerden auf die Bekämpfung der Strafhöhe und der dadurch bewirkten Teilrechtskraft der Schuldaussprüche ein Absehen von der Strafe in Verbindung mit einer Ermahnung nicht zulässig (vgl. allerdings zur Frage der Trennbarkeit des Schuldspruches und des Ausspruches der Ermahnung etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 1993, Zl. 92/09/0031, und vom 10. November 2011, Zl. 2010/07/0001), eingegangen zu werden brauchte - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben waren.
Wien, am 18. November 2014
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