VwGH 99/20/0562

VwGH99/20/056216.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des EK in Graz, geboren am 13. Februar 1980, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. November 1999, Zl. 212.957/0- V/15/99, betreffend §§ 6 Z 2 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6 Z4;
AsylG 1997 §6 Z5;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6 Z4;
AsylG 1997 §6 Z5;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 10. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Zu diesem Antrag gab er vor dem Bundesasylamt an, er werde in Nigeria von Mitgliedern der Ogboni-Sekte verfolgt, weil er sich geweigert habe, dieser Sekte beizutreten. Nach dem Tod seines Vaters hätten Sektenmitglieder dem Beschwerdeführer mitgeteilt, sein verstorbener Vater hätte viele Seelen getötet und einen Eid abgelegt, dass ihm der Beschwerdeführer in der Sekte nachfolgen werde. Der Beschwerdeführer habe den Beitritt jedoch abgelehnt und gesagt, er würde sich "nicht anschließen, ich bin Christ", worauf man ihm eine Alternative zur Mitgliedschaft angeboten hätte. Um frei (von der Ogboni-Sekte) zu sein, müsse der Beschwerdeführer drei junge Männer, drei Kinder unter zehn Jahren, drei schwangere Frauen und einen alten Mann töten, deren Blut die Sektenmitglieder opfern würden. Für die Ermordung dieser Leute sei dem Beschwerdeführer eine Frist von 21 Tagen gegeben und ihm angedroht worden, sein Leben zu opfern, wenn er sich weigere, die genannten Personen zu töten. Der Beschwerdeführer habe danach zu Gott gebetet, denn er habe niemanden töten können. Befragt, weshalb er nicht zur Polizei gegangen sei, um Anzeige zu erstatten, gab der Beschwerdeführer an, "diese Ogboni haben Verbindung zur Polizei und zum Militär". Die Sekte habe auch in ganz Nigeria Büros, sodass sie den Beschwerdeführer in seiner Heimat überall finden würde. Die Sache könne von der Polizei nicht geregelt werden, weil dies eben keine Sache der Polizei sei. Wenn er von Mitgliedern der Ogboni-Sekte getötet worden wäre, dann hätte niemand etwas gesagt.

Mit Bescheid vom 10. September 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Nach der zusammengefassten Begründung dieses Bescheides sei das Vorbringen des Beschwerdeführers absolut unglaubwürdig, weil viele "Reisende" aus Nigeria dieselben Fluchtgründe behaupteten und es absolut unwahrscheinlich sei, dass derart viele Mitglieder einer Sekte annähernd zum gleichen Zeitpunkt sterben würden. Überdies sei die "Ogboni-Society" eine "Wirtschaftsorganisation", wohingegen es eine auf religiöser bzw. ritueller Basis bestehende Ogboni-Society seit längerer Zeit nicht mehr gebe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, wendete die unterlassene Prüfung seines Einzelfalles ein und brachte vor, dass das Wissen "um solche secret cults" in Österreich und Europa sehr gering sei. Tatsächlich sei die Organisation der Ogboni-Sekte streng hierarchisch, Austritte aus der Sekte würden nicht geduldet, da sie die Grundstruktur derselben in Frage stellen würden. Durchbreche ein Mitglied diesen Kreis, trete es also aus der Gemeinschaft aus bzw. weigere es sich, den ihm angedachten Platz einzunehmen, werde dies sanktioniert. Da auch höhere Beamte nigerianischer Behörden der Ogboni-Gesellschaft angehörten, könne der Beschwerdeführer staatlichen Schutz vor deren Verfolgung nicht in Anspruch nehmen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers - und zwar gemäß § 6 Z 2 AsylG - ab und stellte erneut gemäß § 8 leg. cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Dies begründete sie zum einen damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Person seines Vaters und betreffend die Regeln der Ogboni- "Geheimgesellschaft", insbesondere hinsichtlich der Nachfolge verstorbener Mitglieder, mangels Vorliegens entsprechender Unterlagen einer Objektivierung nicht zugänglich seien. Die Angaben des Beschwerdeführers stellten "bloße Behauptungen" dar, die nicht geeignet seien, eine aktuelle Bedrohungssituation des Beschwerdeführers "glaubhaft zu machen". Selbst wenn die Bedrohung des Beschwerdeführers allerdings glaubhaft wäre, so die belangte Behörde weiter, sei sie nicht unter die Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren. Voraussetzung einer Verfolgungsgefahr im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sei, dass die direkte oder indirekte staatliche Verfolgung auf Grund bestimmter Eigenschaften des Asylwerbers erfolge. Werde jedoch die Verfolgungshandlung ungeachtet der Eigenschaften des Asylwerbers "etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet", so könne dies nicht als asylrelevant erkannt werden. Vielmehr seien "derartige Übergriffe - mögen sie auch religiös motiviert sein - nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher Krimineller bzw. krimineller Organisationen".

Im Übrigen lägen der belangten Behörde hinsichtlich der Behauptung des Beschwerdeführers, er könne in seinem Heimatstaat keinen staatlichen Schutz vor der genannten Verfolgung finden, weder entsprechende Hinweise vor, noch sei diese Behauptung vom Beschwerdeführer bescheinigt worden. Auch wäre es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen, sich in einen anderen Landesteil, z.B. nach Lagos, zu begeben, um dort vor Verfolgung durch Dritte sicher zu sein.

Zur Entscheidung nach § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf ihre Ausführungen über die dem Beschwerdeführer nicht gelungene Glaubhaftmachung einer aktuellen Bedrohungssituation.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde macht zusammengefasst geltend, im angefochtenen Bescheid würden die Voraussetzungen des § 6 AsylG falsch beurteilt und ihr Vorliegen daher unrichtigerweise bejaht.

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung, anders als die Erstbehörde, auf § 6 Z 2 AsylG und begründete dies (dennoch) zunächst damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers einer Objektivierung nicht zugänglich seien und "bloße Behauptungen" seinerseits darstellten, die nicht geeignet seien, eine aktuelle Bedrohungssituation glaubhaft zu machen. Damit übersieht die belangte Behörde, dass bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und - auf deren Grundlage - zu beurteilen ist, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen entnehmen lässt. Fragen nach der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers stellen sich bei Beurteilung des Asylantrages nach § 6 Z 2 AsylG daher nicht (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294, und vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0233).

Im Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Vorjudikatur ausgeführt, dass eine Entscheidung nach § 6 AsylG u.a. wegen der taxativen Aufzählung der in Z 1 bis 5 dieser Bestimmung genannten Fälle nicht mit der Annahme einer "innerstaatlichen Fluchtalternative" oder mit dem Bestehen ausreichenden staatlichen Schutzes vor einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgungsgefahr begründet werden kann.

Damit verbleibt von den Begründungsteilen des angefochtenen Bescheides nur mehr die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr gehe "offensichtlich" nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurück, weil die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Eigenschaften im vorliegenden Fall nicht beim Beschwerdeführer, sondern (allenfalls) "etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters" nur auf Seiten der verfolgenden Person(en) vorlägen. Diese Argumentation übergeht zunächst das dargestellte Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte sich der Ogboni-Sekte nicht angeschlossen, weil er Christ sei. Im Übrigen gleicht der vorliegende Fall in der hier entscheidenden Frage, ob es auszuschließen ist (vgl. § 6 Z 2 AsylG: "offensichtlich nicht ... zurückzuführen ist"), dass die behauptete Verfolgung durch Mitglieder der Ogboni-Sekte auf den in Rede stehenden Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention beruht, jenem Beschwerdefall, der dem hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0169, zu Grunde lag. Aus den in diesem Erkenntnis und dem dort zitierten hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0557, genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, vermag der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung durch Mitglieder der Ogboni-Sekte sei offensichtlich nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen, nicht zu teilen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. Mai 2002

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