VwGH 99/20/0332

VwGH99/20/033231.1.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des am 12. Dezember 1971 geborenen O in G, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. April 1999, Zl. 208.468/0-III/09/99 betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 20. November 1998 nach Österreich ein und stellte am 23. November 1998 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27. Jänner 1999 gab er an, sein Großvater sei "das Oberhaupt der Arusii" gewesen. "Arusii" sei eine hölzerne Figur, die angebetet werde. Sein Großvater sei 1970 gestorben und danach seien "Probleme" über seine Familie gekommen, weil niemand mehr etwas für "Arusii" getan habe. Sein Vater habe den Platz des Großvaters entgegen dessen Auftrag nicht eingenommen, weil er ein einflussreiches Mitglied der "CPM-Church" gewesen sei. Der ältere Bruder sei 1990 aus unbekannten Gründen und seine Eltern seien 1998 auf "geheimnisvolle Weise" gestorben. Sie seien von "Arusii" getötet worden. Leute im Dorf hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass bereits viele Familien im Dorf von "Arusii" getötet worden seien. Er müsse die Aufgabe des Großvaters übernehmen, sonst werde er von den Leuten im Dorf getötet. "Die Menschen" hätten gewollt, dass er "der Führer werde bei Arusii". Er sei zum "Reverend-Father" gegangen und dieser habe ihm Geld für die Flucht gegeben. Bei einer Rückkehr in sein Dorf fürchte er, getötet zu werden. "Arusii-Anhänger" gebe es in ganz Nigeria, weshalb sie ihn überall finden würden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 26. Februar 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria fest. Es ging mit näherer Begründung davon aus, dass die Behauptungen des Beschwerdeführers unglaubwürdig seien. Im Übrigen werde vor der angeblichen Verfolgung staatlicher Schutz gewährt und es bestünden inländische Fluchtalternativen. Außerdem sei die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgung nicht auf Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) zurückzuführen.

In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer zunächst die Beweiswürdigung der Erstbehörde. Im erstinstanzlichen Bescheid bezeichne die Behörde seine Aussagen über die ihm drohende Verfolgung durch die "Arusii-Anhänger" als widersprüchlich und realitätsfern, ohne von ihm nähere Informationen zu diesem Beweisthema erfragt zu haben. Weiters trat der Beschwerdeführer der Annahme einer inländischen Fluchtalternative und der staatlichen Schutzgewährung entgegen. Nachdem sein Vater und unmittelbar darauf seine Mutter aus ungeklärten Gründen gestorben seien und er daraufhin Warnungen von Menschen aus seinem Heimatort bekommen habe, dass auch er - wie schon viele andere Dorfbewohner - "von den Arusii" getötet werden würde, fühle er sich auch aufgrund der vielen Anhänger der "Arusii" in ganz Nigeria aktuell bedroht und verfolgt. Ihm sei kein Vorgehen der Polizei gegen "Arusii-Anhänger" bekannt.

Diese Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und sie stellte neuerlich gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit insbesondere der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest. Die belangte Behörde hielt einerseits die Behauptungen des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen für nicht glaubwürdig. "Zum anderen" ergebe sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die von ihm beschriebene "Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung" - wenn sie gegeben wäre - dem Staat zuzurechnen sei. Eine lediglich von Privatpersonen ausgehende Verfolgung vermöge die Flüchtlingseigenschaft aber nicht zu begründen. Eine Verfolgungshandlung, die ausschließlich durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet werde, sei nicht asylrelevant. Derartige Übergriffe, mögen sie auch religiös motiviert sein, seien vielmehr nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher Krimineller bzw. krimineller Organisationen. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal versucht, sich unter den Schutz des Heimatstaates zu stellen. Der belangten Behörde lägen aber weder entsprechende Hinweise für eine Schutzverweigerung vor, noch habe der Beschwerdeführer dies bescheinigt. Unter Bezugnahme auf ein Schreiben der österreichischen Botschaft in Lagos vom 11. September 1997 verwies die belangte Behörde schließlich auf das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative, weil es in Lagos, einer Stadt mit 10 Millionen Einwohnern, "nicht einmal großer Mühe bedürfe", den Mitgliedern einer bestimmten Sekte aus dem Weg zu gehen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Asylantrages nur auf § 6 Z 2 AsylG. Nach dem Einleitungssatz dieser Bestimmung sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z 2 leg. cit. der Fall, wenn - ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der FlKonv genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) zurückzuführen ist. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, ist demnach von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der FlKonv genannten Gründen offensichtlich nicht entnehmen lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294). Die Einbeziehung von Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers und von Tatsachenfeststellungen kommt daher bei der Beurteilung nach § 6 Z 2 AsylG schon vom Ansatz her nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer brachte vor, er fürchte wegen seiner Weigerung, das Oberhaupt der "Arusii" zu werden, von den Leuten im Dorf bzw. von den Anhängern der "Arusii" - von der belangten Behörde mit Mitgliedern einer Sekte gleichgesetzt - getötet zu werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, dem ein mit dem vorliegenden vergleichbarer Sachverhalt einer behaupteten Verfolgung wegen der Weigerung, die Wahl zur Schreinspriesterin anzunehmen, zugrunde lag, zur Verfolgung aus Gründen der Religion - unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei, bei der die Verfolgung an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung, aufgrund derer sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hatte, anknüpft (Erkenntnisse vom 26. November 1998, Zlen. 98/20/0309, 0310, und vom 15. Februar 2001, Zl. 99/20/0103) -

Stellung genommen und dazu mit Beziehung auf § 6 Z 2 AsylG ausgeführt:

"Dass eine religiösen Zwecken (der Besänftigung der Götter) dienende Verfolgung (Opferung) wegen der Weigerung, die Nachfolge in einem Priesteramt anzutreten, 'offensichtlich nicht' auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der FlKonv genannten Gründe zurückzuführen sei, lässt sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall nicht behaupten (vgl. in diesem Zusammenhang auch das bereits mehrfach zitierte Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 99/01/0273, zu einem vom Opfer bloß vermuteten Zusammenhang zwischen seiner Vergewaltigung und seiner Religionszugehörigkeit)."

Davon ausgehend kann auch im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, die behauptete Verfolgung knüpfe an den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv erwähnten Grund "Religion" im Sinne des § 6 Z 2 AsylG offensichtlich nicht an. In diesem Zusammenhang ist (gemäß § 43 Abs. 2 VwGG) auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0557, zu verweisen, das zur Asylrelevanz der (behaupteten) Verfolgung wegen des Austritts aus der Ogboni-Geheimgesellschaft in Nigeria unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung aus religiösen Gründen grundlegende, auch für den vorliegenden Fall gültige Ausführungen enthält. Demnach lässt sich eine Verfolgung aus Gründen der Religion bei Vorliegen der dort näher dargestellten Voraussetzungen in Fällen dieser Art selbst bei einer Prüfung des Asylantrages nach § 7 AsylG - für die es auf den Maßstab der "Offensichtlichkeit" nicht ankommt - nicht verneinen. Inbesondere lasse sich ein Zusammenhang zwischen dem Umstand, dass die Verfolgungshandlung "durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet" werde - das nimmt die belangte Behörde im vorliegenden Fall auch für die Anhänger der "Arusii" an -, und der (maßgeblichen) Anknüpfung der darauf zurückzuführenden Verfolgungshandlungen an asylrelevante Merkmale des Asylwerbers nicht nachvollziehbar verneinen, wenn die Ursache der Verfolgung auf der dem Verfolgten (zumindest) unterstellten Ablehnung der religiösen Überzeugung des Verfolgers beruht. Das kann aber im vorliegenden Fall nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit ausgeschlossen werden, sodass eine Beurteilung dahin gerechtfertigt wäre, die behauptete Verfolgungsgefahr sei im Sinne des § 6 Z 2 AsylG offensichtlich nicht auf die in der FlKonv genannten Gründe zurückzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0169).

Soweit die belangte Behörde von einer ausreichenden staatlichen Schutzgewährung gegen die behauptete (Privat)Verfolgung und vom Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative ausgeht, vermag dies eine Abweisung nach § 6 AsylG nicht zu rechtfertigen. Diese Begründungsteile können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung erlangen (vgl. das Erkenntnis vom 7. Juni 2001, Zl. 99/20/0429, und das bereits erwähnte Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mwN).

Abgesehen davon, dass die belangte Behörde darüber hinaus ihrer wegen des oben zusammengefasst dargestellten Berufungsinhaltes gegebenen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und die daran anschließende Rechtsprechung) und im Hinblick auf die Ermittlungen im Berufungsverfahren und die darauf gegründeten Feststellungen zur allgemeinen Lage in Nigeria ausgelösten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 2000, Zl. 99/20/0002) Verhandlungspflicht in Ansehung des Ausspruches nach § 8 AsylG (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0111 bis 0113) nicht entsprochen hat, war der angefochtene Bescheid aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 31. Jänner 2002

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