VwGH 99/20/0105

VwGH99/20/010531.5.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des HC in Wien, vertreten durch Dr. Maximilian Eiselsberg, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, dieser vertreten durch Dr. Elisabeth Rech, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7/21, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 22. Jänner 1999, Zl. 432.118/100-V.6/1998, betreffend Angelegenheiten des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Normen

StVG §103 Abs1;
StVG §103 Abs4;
StVG §103 Abs5;
StVG §103 Abs1;
StVG §103 Abs4;
StVG §103 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch über die Anlegung von Handfesseln während der Überstellung des Beschwerdeführers nach Wien am 6. Juli 1998 (Punkt 3. der Administrativbeschwerde vom 15. Juli 1998) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde zur Verbüßung einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe von 1993 bis zum 6. Juli 1998 in der Justizanstalt S angehalten und befindet sich seither in der Justizanstalt W.

Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über drei Punkte der vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15. Juli 1998 "wegen fortgesetzt vorsätzlich rechtsbrecherischen Verhaltens" des Anstaltsleiters erhobenen, Vorfälle während der letzten Wochen vor der Überstellung des Beschwerdeführers nach Wien und im Zusammenhang mit dieser Überstellung betreffenden Administrativbeschwerde gegen den Leiter der Justizanstalt S.

Sie wies die Administrativbeschwerde in ihrem Punkt 5. (Bekanntmachung einer schon am 18. Juni 1998 beschlossenen Bewilligung von Telefongesprächen erst am 30. Juni 1998) als unzulässig zurück und in den Punkten 3. (Anlegung von Handfesseln während der Überstellung am 6. Juli 1998) und 4. (behauptete Öffnung und Zensur danach noch in der Justizanstalt S für den Beschwerdeführer einlangender Briefe durch den Leiter der Justizanstalt S) als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Ihre Entscheidung über Punkt 5. der Administrativbeschwerde vom 15. Juli 1998 hat die belangte Behörde im Wesentlichen damit begründet, dass das Gesetz einem Strafgefangenen kein subjektives Recht auf Entscheidung über ein Ansuchen vor Ablauf der in § 73 AVG normierten Entscheidungsfrist von sechs Monaten einräume. Die Beschwerde begegnet dem nur mit allgemein gehaltenen Ausführungen darüber, dass das in § 120 StVG normierte Beschwerderecht damit ad absurdum geführt werde und der Strafzweck der Resozialisierung eine unverzügliche Entscheidung über den Kontakt mit der Außenwelt betreffende Ansuchen erfordere. Eine mögliche Verletzung des Beschwerdeführers in einem subjektiven Recht wird damit schon mangels eines Hinweises darauf, dass die beantragten Telefonate dringend gewesen seien und der Beschwerdeführer dies in seinem Ansuchen vom 8. Juni 1998 auch geltend gemacht habe, nicht dargetan. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was andernfalls zu gelten hätte, erübrigt sich daher.

2. Zu Punkt 3. der Administrativbeschwerde vom 15. Juli 1998 wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, der Leiter der Justizanstalt S habe (im Überstellungsauftrag vom 6. Juli 1998) als Sicherheitsmaßnahme angeordnet, dass der Beschwerdeführer während der Überstellung nach Wien zu fesseln sei. "Gemäß § 103 Abs. 4 StVG" dürften einem Strafgefangenen "u.a. bei einer Überstellung Fesseln angelegt werden". Angesichts der Höhe des zum Zeitpunkt der Überstellung noch offenen Strafrestes und der bei der "Anlasstat" geübten Vorgangsweise (nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid liegt der Verurteilung des Beschwerdeführers ein Raubüberfall unter Einsatz von Schusswaffen zugrunde, wobei der Beschwerdeführer durch gezielte Schüsse auf ihn verfolgende Sicherheitswachebeamte seine Festnahme zu verhindern und die Beamten absichtlich schwer zu verletzen versucht habe) habe "auch eine Fluchtgefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden" können.

Diesen Standpunkt erläutert die belangte Behörde in der Gegenschrift noch dahingehend, dass "gemäß § 103 Abs. 4 StVG lediglich für die Zulässigkeit des Anlegens von Fesseln außerhalb des Falles einer Überstellung weitere besondere Voraussetzungen erforderlich sind".

§ 103 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969 (StVG), in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. Nr. 799/1993 lautet:

"Besondere Sicherheitsmaßnahmen

§ 103. (1) Gegen Strafgefangene, bei denen Fluchtgefahr, die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr eines Selbstmordes oder der Selbstbeschädigung besteht oder von denen sonst eine beträchtliche Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung ausgeht, sind die erforderlichen besonderen Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen.

(2) Als besondere Sicherheitsmaßnahmen, die eine zusätzliche Beschränkung der Lebensführung des Strafgefangenen mit sich bringen, kommen nur in Betracht:

1. die häufigere Durchsuchung des Strafgefangenen, seiner Sachen und seines Haftraumes;

1a. die Unterbringung eines Strafgefangenen, der entweder während der täglichen Arbeit oder während einer täglichen Freizeit von mindestens zwei Stunden in Gemeinschaft angehalten wird, für die verbleibende Zeit in einem Einzelhaftraum;

  1. 2. die nächtliche Beleuchtung des Haftraumes;
  2. 3. die Entziehung von Einrichtungs- oder Gebrauchsgegenständen oder Bekleidungsstücken, deren Missbrauch zu befürchten ist;

    4. die Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle, aus der alle Gegenstände entfernt sind, mit denen der Strafgefangene Schaden anrichten kann;

    5. die Anlegung von Fesseln oder einer Zwangsjacke oder die Festhaltung in einem Gitterbett.

(3) Strafgefangene, hinsichtlich derer Maßnahmen nach Abs. 2 Z 4 oder 5 angeordnet werden, sind für die Dauer der Maßnahmen vom Recht auf Besuchsempfang und auf Telefongespräche ausgeschlossen. Sie sind jedoch unbeschadet der besonderen Überwachung durch Vollzugsbedienstete alsbald, längstens binnen 24 Stunden, von einem Arzt aufzusuchen, der insbesondere zu prüfen hat, ob eine Überstellung nach § 71 angezeigt ist. In der Folge sind solche Strafgefangene vom Anstaltsarzt täglich aufzusuchen; versieht der Anstaltsarzt nicht täglich in der Anstalt Dienst, so sind sie an Tagen, an denen der Arzt nicht anwesend ist, von einem im Sanitätsdienst erfahrenen Strafvollzugsbediensteten aufzusuchen. Soweit das tunlich erscheint, ist ein Psychiater oder ein Psychologe beizuziehen.

(3a) In der besonders gesicherten Zelle dürfen nur Strafgefangene untergebracht werden, deren Gefährlichkeit für sich selbst, andere Personen oder Sachen die Unterbringung in einem anderen Haftraum nicht gestattet. Die besonders gesicherte Zelle muss ausreichende Luftzufuhr und genügendes Tageslicht aufweisen. Soweit keine Bedenken bestehen, sind einem in der besonders gesicherten Zelle Untergebrachten jedenfalls eine Matratze und zur Einnahme der Mahlzeiten ein Löffel zur Verfügung zu stellen.

(4) Fesseln dürfen einem Strafgefangenen außer bei Ausführungen und Überstellungen nur angelegt werden, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, Selbstmord oder Flucht androht, vorbereitet oder versucht hat, die ernste Gefahr einer Wiederholung oder Ausführung besteht und andere Sicherheitsmaßnahmen den Umständen nach nicht möglich sind oder nicht ausreichen. Die Fesseln sind an den Händen, wenn aber sonst der Zweck der Fesselung nicht erreicht werden kann, auch an den Füßen anzulegen.

(5) Besondere Sicherheitsmaßnahmen sind aufrechtzuerhalten, soweit und solange dies das Ausmaß und der Fortbestand der Gefahr, die zu ihrer Anordnung geführt hat, unbedingt erfordern.

(6) Die Anordnung besonderer Sicherheitsmaßnahmen steht dem aufsichtführenden Strafvollzugsbediensteten zu. Dieser hat jede solche Anordnung unverzüglich dem Anstaltsleiter zu melden. Der Anstaltsleiter hat unverzüglich über die Aufrechterhaltung der besonderen Sicherheitsmaßnahme zu entscheiden. Die Aufrechterhaltung einer Maßnahme nach Abs. 2 Z 4 über eine Woche oder einer Maßnahme nach Abs. 2 Z 5 über 48 Stunden hinaus kann nur das Vollzugsgericht anordnen, das hierüber auf Antrag des Anstaltsleiters zu entscheiden hat (§ 16 Abs. 2 Z 4 und 5). Ordnet das Vollzugsgericht die Aufrechterhaltung der Maßnahme an, so hat es zugleich deren zulässige Höchstdauer zu bestimmen; fallen die Gründe, die zur Anordnung einer solchen Maßnahme geführt haben, vor Ablauf dieses Zeitraumes weg, so hat der Anstaltsleiter die Maßnahme unverzüglich aufzuheben (Abs. 5)."

Den Ausführungen der belangten Behörde ist insoweit zu folgen, als das Anlegen von Fesseln bei Ausführungen und Überstellungen nicht an die besonderen Voraussetzungen des § 103 Abs. 4 StVG gebunden ist. Eine Fesselung lässt das Gesetz nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber auch bei Ausführungen und Überstellungen nur zu, wenn die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 StVG erfüllt sind. Die Maßnahme muss, wie aus § 103 Abs. 5 StVG abzuleiten ist, auf Grund der zu ihrer Anordnung führenden Gefahr "unbedingt" erforderlich sein. Mit dem bloßen Hinweis auf das Ausmaß des Strafrestes und die Umstände der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat und der ansonsten nicht näher begründeten Ansicht, "auch" eine Fluchtgefahr habe beim Beschwerdeführer "nicht ausgeschlossen werden" können, was eine solche Gefahr nur in den Bereich des Möglichen rückt, hat die belangte Behörde die Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht nachvollziehbar dargestellt. Dies beruht - wie sich aus den Ausführungen der belangten Behörde über den Inhalt des § 103 Abs. 4 StVG und aus der fehlenden Bezugnahme auf § 103 Abs. 1 und Abs. 5 StVG ergibt - auf der unzutreffenden Rechtsansicht, dass es einer solchen Begründung für die Fesselung während einer Überstellung nicht bedürfe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde in nachvollziehbarer Weise darlegen müssen, dass beim Beschwerdeführer eine aktuelle Gefahr der in § 103 Abs. 1 StVG bezeichneten Art bestand, die seine Fesselung während des (gesamten) Überstellungsvorgangs am 6. Juli 1998 unbedingt erforderte. Der Umstand, dass das Gesetz die Fesselung bei Ausführungen und Überstellungen - also bestimmten Arten des Aufenthaltes außerhalb des Anstaltsbereiches - nicht an die besonderen Voraussetzungen des § 103 Abs. 4 StVG knüpft, macht eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 StVG nicht entbehrlich, wobei schon mit Rücksicht auf die Schwere des mit einer Fesselung verbundenen Eingriffes bei der Behandlung einer dagegen gerichteten Administrativbeschwerde eine nicht bloß oberflächliche, sondern eingehende und an den konkreten Umständen, unter denen die Fesselung angeordnet wurde, orientierte Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen dafür geboten ist (vgl. zur Menschenrechtswidrigkeit unnötiger oder über das notwendige Maß hinaus aufrecht erhaltener Fesselungen, auch im Zusammenhang mit rechtmäßigen Festnahmen und Anhaltungen, aus der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse VfSlg. 7081/1973, 8146/1977, 9836/1983, 11327/1987, 12271/1990 und 13044/1992).

3. Ihre Entscheidung über Punkt 4. der Administrativbeschwerde vom 15. Juli 1998 hat die belangte Behörde damit begründet, dass nach Mitteilung der Justizanstalt S keine weiteren Briefsendungen für den Beschwerdeführer mehr eingelangt seien und der Beschwerdeführer es am 10. Jänner 1999 abgelehnt habe, nähere Angaben dazu zu machen. Die belangte Behörde gehe daher in freier Beweiswürdigung davon aus, dass sich der in diesem Punkt der Administrativbeschwerde behauptete Sachverhalt nicht zugetragen habe. In der Beschwerde wird dem entgegengehalten, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geblieben und die belangte Behörde hätte dem Beschwerdeführer "bei der Rekonstruktion der Termine behilflich" sein müssen. Dass sich dabei ergeben hätte, entgegen der Annahme der belangten Behörde seien nach der Überstellung des Beschwerdeführers nach Wien noch Briefsendungen für ihn in der Justizanstalt S eingelangt und dort der Zensur unterworfen worden, ist diesen Ausführungen nicht zu entnehmen. Eine Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel ist damit schon auf der Sachverhaltsebene nicht erkennbar.

Es war daher der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Entscheidung über Punkt 3. der Administrativbeschwerde vom 15. Juli 1998 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben und hinsichtlich der die Punkte 4. und 5. der Administrativbeschwerde betreffenden Spruchteile des angefochtenen Bescheides die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Mai 2001

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