VwGH 99/18/0446

VwGH99/18/04463.8.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des A C in Linz, geboren am 10. Juli 1970, vertreten durch Dr. Helmut Hackl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hauptplatz 23/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Oktober 1999, Zl. St 261/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 27. Oktober 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 1989 im Bundesgebiet auf. Zuletzt sei ihm eine Aufenthaltsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer bis 4. September 1998 erteilt worden. Er habe rechtzeitig einen Verlängerungsantrag eingebracht.

Der Beschwerdeführer sei von österreichischen Gerichten wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:

Am 1. März 1995 wegen des Vergehens gemäß § 88 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 40 Tagessätzen;

am 24. April 1996 wegen des Vergehens gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;

am 26. März 1998 wegen des Vergehens gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;

am 4. Mai 1998 wegen des Vergehens gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen.

Weiters habe festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Österreich insgesamt 26 Mal wegen verschiedener Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden sei, dies wegen Übertretungen nach der StVO, dem Meldegesetz und dem KFG.

In Anbetracht dieser Verurteilungen sei zweifellos der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Auf Grund der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet werde dem Beschwerdeführer eine entsprechende Integration zuzubilligen sein. Es sei jedoch zu beachten, dass er nur zeitweise erwerbstätig gewesen sei. Wenngleich er nunmehr wieder einer Beschäftigung nachgehe, könne von einer Integration in beruflicher Hinsicht "keinesfalls ausgegangen werden". Im Inland hielten sich "Familienangehörige bzw. Ihre Ex-Gattin und und Ihre zwei Kinder" auf. Zu diesen habe der Beschwerdeführer jedoch nur mehr ein "lockeres Verhältnis (Besuchsrecht)", weshalb sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "auch nur mehr rudimentär auf dieses Verhältnis auswirkt".

Der "sicherlich vorhandenen" Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seien die zahlreichen gerichtlichen Verurteilungen bzw. die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Sachverhalte gegenüber zu stellen. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer eine Abschrift des Urteiles des Landesgerichtes Linz vom 28. Juli 1998 zur Stellungnahme übermittelt. Abgesehen davon, dass er dazu keine Stellungnahme abgegeben habe, sei auszuführen, dass sich das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers gesteigert habe. Im Jahr 1995 sei er lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung, zuletzt aber bereits wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt rechtskräftig verurteilt worden. Ohne auf die diesbezügliche Verantwortung des Beschwerdeführers einzugehen sei grundlegend auszuführen, dass strafbare Handlungen nach § 269 StGB "als verwerflich und gravierend einzustufen" seien, zeigten "diese den diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Sachverhalte doch in eindeutiger Weise, dass Sie selbst dazu bereit sind, sich gegen das Einschreiten öffentlicher Sicherheitsorgane aufzulehnen - ganz gleich in welcher Form auch immer (was nicht zuletzt situationsabhängig ist)". Zu beachten sei, dass der Beschwerdeführer sich auch durch eine gerichtliche Verurteilung nicht davon habe abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden. Besonders schwer müsse jedoch die, rechtskräftige Verurteilung wegen § 269 StGB bewertet werden. Die Verantwortung des Beschwerdeführers, dass es sich "bei dem Opfer dieses Sachverhaltes um einen mehrmals vorbestraften Menschen handle", vermöge nicht zu überzeugen. Diese vorgebrachte Tatsache rechtfertige keinesfalls ein tätliches Vorgehen gegen einschreitende Sicherheitsbeamte.

Aus diesen Gründen sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Zudem sei das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers "doch schwerwiegenderer Art" weshalb nicht mit einer bloßen Ermahnung das Auslangen habe gefunden werden können, sondern "von der Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG Gebrauch gemacht werden musste". Unter Abwägung aller angeführten Umstände und im Hinblick auf die zu stellende "negative Zukunftsprognose" wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, weshalb das Aufenthaltsverbot auch nach § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die - unbedenkliche - Ansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (vierter Fall) FrG verwirklicht, unbekämpft.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der vier Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Körperverletzungsdelikten jeweils nur den Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe festgestellt. Im Übrigen wurde hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt - die diesbezüglichen Ausführungen finden sich in unsystematischer Weise in ganz anderem Zusammenhang der Bescheidbegründung - nicht einmal das Strafausmaß festgestellt. Hinsichtlich der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen hat die belangte Behörde nur auf das Vorliegen von 26 Bestrafungen "wegen verschiedener Verwaltungsübertretungen" bzw. "wegen Übertretungen nach der StVO, dem Meldegesetz und dem KFG" hingewiesen. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen fehlen sowohl hinsichtlich der gerichtlichen Verurteilungen als auch der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen zur Gänze. Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den obigen Kriterien - überprüft werden kann.

3. Hinzugefügt sei, dass die Ausführung im angefochtenen Bescheid, wonach sich der Beschwerdeführer bezüglich seiner Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt dahin verantwortet habe, dass es sich "bei dem Opfer dieses Sachverhaltes um einen mehrmals vorbestraften Menschen handle", aktenwidrig ist. Der Beschwerdeführer hat dieses Vorbringen in seiner Berufung vielmehr in Bezug auf eine seiner Verurteilungen wegen Körperverletzung erstattet.

4. Aus den oben 2. dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 3. August 2000

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