Normen
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 24. September 1998 wurde gemäß § 75
Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Der Beschwerdeführer sei am 15. Jänner 1991 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der Asylbehörde habe er am 16. April 1991 angegeben, in seiner Heimat aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein. PKK-Kämpfer wären des Öfteren in der Nacht zu seinem Haus gekommen und hätten Lebensmittel verlangt. Tagsüber wären dann türkische Soldaten gekommen und hätten ihn und seine Familie geschlagen, weil sie den PKK-Kämpfern Lebensmittel gegeben hätten. Zweimal hintereinander wäre er von Spezialeinheiten der türkischen Armee festgenommen worden. Bei der ersten Festnahme in Varto wäre er für drei Tage und bei der zweiten Festnahme in Mus für einen Tag im Gefängnis festgehalten worden. Dabei wäre er geschlagen, "aber nicht gefoltert" worden, weil er keine Auskünfte über die PKK hätte geben können. Nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens gestellt, in dem er - wie im vorliegenden Antrag - ausgeführt habe, während der Haft aufgefordert worden zu sein, als "Dorfschütze", also als Handlanger der türkischen Militärs im Einsatz gegen die kurdische Minderheit, tätig zu sein, was er verweigert hätte. Weiters habe der Beschwerdeführer eine Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakir, eine Ladung der Staatsanwaltschaft Varto und ein Schreiben dieser Staatsanwaltschaft an das Kreisgendarmeriekommando vorgelegt. Aus diesen Urkunden wäre (nach den Angaben des Beschwerdeführers) zu entnehmen, dass er der Mitgliedschaft und der Unterstützung der PKK beschuldigt würde. Er sollte die PKK durch Kurierdienste in den Jahre 1992 bis 1993 unterstützt und am 10. Oktober 1992 als Mitglied der PKK gegen Sicherheitskräfte gekämpft haben. Diese Anschuldigungen wären frei erfunden. In der Berufung habe der Beschwerdeführer auf die allgemeine Situation der kurdischen Minderheit in der Türkei verwiesen.
Weder die allgemeine politische und menschenrechtliche Situation der Kurden in der Türkei noch die durch verschiedene Benachteiligungen gekennzeichnete Lage der kurdischen Volksgruppe seien für sich allein, aber auch nicht in ihrem Zusammenhang, geeignet, eine konkrete, den Beschwerdeführer individuell betreffende Gefährdung bzw. Bedrohung darzutun.
Was das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers betreffe, habe bereits die Asylbehörde zutreffend auf die widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers hingewiesen. In seinem Asylantrag habe der Beschwerdeführer Folterungen dezidiert verneint, während er im asylrechtlichen Berufungsverfahren und auch im vorliegenden Antrag behauptet habe, mehrmals gefoltert worden zu sein. Zutreffend habe die Asylbehörde auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Schriftstücke mangels Authentizität als unglaubwürdig erachtet. So betreffe die Anklageschrift vom 22. Juli 1993 nicht den Beschwerdeführer sondern einen "Seyithan Akdeniz, 1974 geboren". Der Behauptung, gegen ihn sei am 22. Juli 1993 Anklage erhoben worden, sei sohin der Boden entzogen. Dies umso mehr, als weder der Ladung der Staatsanwaltschaft Varto noch dem Schreiben dieser Staatsanwaltschaft an das Kreisgendarmeriekommando ein Ausstellungsdatum zu entnehmen sei. Der Beschwerdeführer habe auch bislang nicht erklären können, wie er in den Besitz eines behördeninternen Dokumentes habe gelangen können, sei doch ein solches Dokument lediglich für den Schriftverkehr zwischen Behörden vorgesehen und würde ohne Datum keine Rechtswirkungen entfalten. Darüberhinaus sei dem Beschwerdeführer am 20. November 1990, also nach den im "Herbst 1990" erfolgten Festnahmen, in seiner Heimat ein Reisepass ausgestellt worden, der im Jahr 1997 in Wien von der türkischen Vertretungsbehörde verlängert worden sei. Diese Tatsache spreche ebenfalls gegen allfällige Verfolgungsabsichten staatlicher Behörden der Türkei gegen die Person des Beschwerdeführers. Die zweimalige Anhaltung des Beschwerdeführers in der Dauer von drei Tagen bzw. einem Tag weise - selbst wenn man die dem Beschwerdeführer versetzten Schläge nicht nur als Übergriffe von Einzelpersonen wertete - nicht jenes Maß an Verfolgungsintensität auf, das den Schluss zuließe, der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Rückkehr in die Türkei dort einer Gefährdung und/oder Bedrohung ausgesetzt.
2. Der Beschwerdeführer richtete dagegen zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 16. Dezember 1998, B 1909/98-5, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie mit Beschluss vom 29. Dezember 1998,
B 1909/98-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In den an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerdeausführungen macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer macht unter dem Beschwerdegrund der Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend, dass die dem Bescheid der Behörde erster Instanz beigesetzte Unterschrift unleserlich sei und nicht vom "Vorstand", der als Genehmigender bezeichnet werde, stamme. Eine Fertigung "i.A." sei nach § 18 Abs. 4 AVG nicht vorgesehen. Der Behörde erster Instanz mangle es überdies an der erforderlichen Feststellung nach § 1 Abs. 2 Beglaubigungsverordnung. Der Bescheid erster Instanz stelle daher einen "Nichtbescheid" dar. Da es gegen einen solchen keine Berufung gebe, sei die belangte Behörde nicht zuständig.
1.2. Zunächst sei darauf verwiesen, dass der Hinweis, eine Feststellung gemäß § 1 Abs. 2 der Beglaubigungsverordnung, BGBl. Nr. 445/1925, sei für die Erstbehörde (die als Bundesbehörde eingerichtete Bundespolizeidirektion Wien) nicht getroffen worden, aus den im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1996, Zl. 93/01/0259, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, genannten Gründen ins Leere geht.
Gemäß § 18 Abs. 4 erster Satz AVG in der anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998, welche Bestimmung nach dem Beschwerdevorbringen verletzt worden sein soll, müssen alle schriftlichen Ausfertigungen die Bezeichnung der Behörde enthalten sowie mit Datum und mit der unter leserlicher Beifügung des Namens abgegeben Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat.
Der Beschwerdeführer hat über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes die ihm zugestellte Ausfertigung des Bescheides der Behörde erster Instanz vorgelegt. Darauf befindet sich - ebenso wie auf der Urschrift - neben den Worten "der Vorstand" und dem Kürzel "i.A." nicht nur eine unleserliche Unterschrift, sondern auch - was vom Beschwerdeführer verschwiegen wurde - ein deutlich lesbarer Stampiglienabdruck mit dem Namen des Genehmigenden. Diese Ausfertigung entspricht somit den Formerfordernissen des § 18 Abs. 4 erster Satz AVG. Der Zusatz, dass der genehmigende Organwalter im Auftrag ("i.A.") des Vorstandes gehandelt hat, weist lediglich darauf hin, dass der Behördenleiter - zulässigerweise (vgl. etwa die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 1996, Seite 196, E 6 zu § 18 AVG zitierte hg. Judikatur) - die Besorgung der betreffenden gesetzlichen Aufgabe einem ihm unterstellten Organ übertragen hat.
2. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/18/0080.)
3. Aus dem Inhalt des angefochtenen Bescheides in seinem Zusammenhang ist ersichtlich, dass die belangte Behörde nur der Aussage des Beschwerdeführers bei seiner ersten Vernehmung im Asylverfahren, wonach er wegen der Unterstützung von PKK-Kämpfern zweimal hintereinander festgenommen, drei Tage bzw. einen Tag festgehalten sowie dabei über die PKK befragt und geschlagen worden sei, Glauben geschenkt hat. Diese Vorfälle hat sie mangels erforderlicher Intensität für nicht geeignet erachtet, eine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG darzutun. Das darüber hinausgehende, später erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers hat sie hingegen als unglaubwürdig qualifiziert. Dies begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis hinsichtlich der Beweiswürdigung (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) aus folgenden Gründen keinen Bedenken:
Der Beschwerdeführer hat im verfahrensgegenständlichen Antrag vom 2. Februar 1995 vorgebracht, dass die Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakir am 22. Juli 1993 gegen ihn Anklage erhoben habe, weil er angeblich seit 1992 als bewaffnetes Mitglied der PKK für deren Ziele gearbeitet hätte. Die dazu vorgelegte Anklageschrift vom 22. Juli 1993 bezieht sich aber, wie der Beschwerdeführer nunmehr in der Beschwerde zugesteht, auf seinen Bruder. Gleichzeitig mit der Anklageschrift hat der Beschwerdeführer ein undatiertes Schreiben der Staatsanwaltschaft Varto an das dortige Kreisgendarmeriekommando vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer "seit längerer Zeit gesucht" werde. Er solle "sehr intensiv verfolgt" und der nächsten Staatsanwaltschaft "geliefert werden". Weiters hat er eine Ladung der Staatsanwaltschaft Varto zum Antritt einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten binnen sieben Tagen vorgelegt. Auch diese Ladung trägt kein Datum. Zu diesen beiden Urkunden hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren kein konkretes Vorbringen erstattet. Die Ansicht der belangten Behörde, dass bei einer konkreten Verfolgungsabsicht seitens der Behörden dem Beschwerdeführer - der angeblich "sehr intensiv verfolgt" werde und zum Antritt einer langjährigen Freiheitsstrafe aufgefordert worden sei - kein Reisepass ausgestellt bzw. verlängert worden wäre, kann nicht als unschlüssig angesehen werden. Darüber hinaus stellt auch der Hinweis auf das Fehlen einer Datierung dieser Schriftstücke - insbesondere der Aufforderung zum Strafantritt binnen sieben Tagen - ein schlüssiges Argument gegen die Glaubwürdigkeit der darin beurkundeten Maßnahmen dar.
4. Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren vorgebracht, dass die Verfolgung von Angehörigen der kurdischen Minderheit in der Türkei notorisch sei, und sich darauf berufen, dass nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes die ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte in die Beurteilung einzubeziehen sei. Zum Beweis hiefür hat er die Einholung eines Gutachtens von "Amnesty International" betreffend die Situation der Kurden in der Türkei beantragt.
Nach den Feststellungen der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer zweimal inhaftiert und geschlagen, weil er PKK-Kämpfer mit Lebensmitteln unterstützt hat. Er ist somit bereits als (vermeintlicher) PKK-Sympathisant in das Blickfeld der Behörden seines Heimatlandes geraten. Jedenfalls vor diesem Hintergrund kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die allgemeine Situation in der Türkei, die von gehäuften Verletzungen der Menschenrechte von Kurden geprägt ist, nicht - wie dies die belangte Behörde getan hat - von vornherein die Eignung abgesprochen werden, eine den Beschwerdeführer als Angehörigen der kurdischen Minderheit in der Türkei treffende Gefährdung bzw. Bedrohung darzutun. Da sich die belangte Behörde somit infolge Verkennung der Rechtslage nicht mit dem die allgemeine Situation von Kurden in der Türkei betreffenden Berufungsvorbringen auseinander gesetzt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
5. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 30. November 1999
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)