Normen
BEinstG §8 Abs2;
BEinstG §8 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
BEinstG §8 Abs2;
BEinstG §8 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 6. Oktober 1952 geborene mitbeteiligte Partei war seit 30. Juli 1974 bei der Beschwerdeführerin in deren Filiale in 1060 Wien, B-Gasse 10, als Regalbetreuerin und als Kassiererin tätig. Auf Grund eines Bescheides vom 10. Oktober 1994 des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich und Burgenland gehört die mitbeteiligte Partei seit 28. März 1994 zum Personenkreis der begünstigten Behinderten mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 vH; auf Grund des Neufestsetzungsbescheides vom 14. Februar 1997 beträgt der Grad der Behinderung ab 18. Oktober 1996 80 vH.
Die mitbeteiligte Partei wies in den letzten Jahren folgende Krankengeldbezugszeiten auf: 24. Jänner bis 28. Februar 1994, 14. Juni bis 10. September 1995, 21. November 1995 bis 13. November 1996, 29. April bis 27. Oktober 1997; hinsichtlich des Dienstgebers H, bei dem die mitbeteiligte Partei als Hausbesorgerin tätig gewesen sei: 19. April bis 10. September 1995, 27. Dezember 1995 bis 31. Oktober 1996, 1. April 1997 bis 23. März 1998, 24. März bis 27. Juli 1998.
Der letzte Arbeitstag der mitbeteiligten Partei bei der Beschwerdeführerin war der 18. März 1995.
Am 24. Jänner 1997 beantragte die Beschwerdeführerin die Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung gemäß § 8 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG). Am 21. April 1997 sprach die Beschwerdeführerin die Entlassung der mitbeteiligten Partei gemäß § 27 Z 2 des Angestelltengesetzes aus. Weiters beantragte sie die nachträgliche Zustimmung des Behindertenausschusses zu der am 21. April 1997 ergangenen Auflösungserklärung gemäß § 8 Abs 2 BEinstG.
Die mitbeteiligte Partei sprach sich gegen beide Anträge aus.
Mit Bescheid vom 16. April 1998 verweigerte der Behindertenausschuss für Wien beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland die nachträgliche Zustimmung zu der am 21. April 1997 ausgesprochenen Auflösungserklärung, stimmte jedoch einer künftig auszusprechenden Kündigung zu.
Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl die Beschwerdeführerin als auch die mitbeteiligte Partei Berufung.
Mit Bescheid vom 10. Juni 1999 gab die Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beiden Berufungen keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung wurde (soweit im Beschwerdefall wesentlich) nach ausführlicher Darstellung des Gesundheitszustandes der mitbeteiligten Partei (chronische Bronchitis, chronische Gastritis, Weichteilrheumatismus, kompletter AV-Block bei Herzschrittmacherimplantation, Spondylarthrose sowie Zustand nach Bandscheibenprolaps L4/L5, der derzeit nicht operativ sanierbar sei und die Gefahr einer plötzlichen Blockierung bei körperlicher Überbelastung wahrscheinlich mache) sowie der Anforderungsprofile für die im Unternehmen der Beschwerdeführerin allenfalls in Frage kommenden Tätigkeiten ausgeführt, es sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass trotz des Bestandsinteresses der mitbeteiligten Partei, die im Übrigen verheiratet sei, wobei der Ehemann ebenfalls ein monatliches Nettoeinkommen von S 13.000,-- beziehe, und trotz der Sorgepflicht für eine Tochter, das Auflösungsinteresse der Beschwerdeführerin, die die mitbeteiligte Partei nicht mehr weiterbeschäftigen könne, eindeutig überwiege. Der rechtlichen Beurteilung der Behörde erster Instanz sei demnach hinsichtlich der Zustimmung zu einer auszusprechenden Kündigung beizutreten, weil die mitbeteiligte Partei im Unternehmen der Beschwerdeführerin keine weitere Tätigkeit verrichten könne. Andererseits sei die rechtliche Beurteilung der Behörde erster Instanz, dem Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Kündigung nicht zuzustimmen, schon deswegen zutreffend, weil der Beschwerdeführerin die Behinderteneigenschaft im Zeitpunkt ihrer Auflösungserklärung bekannt gewesen sei und daher kein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 BEinstG vorliege.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 8 des Behinderteneinstellungsgesetzes in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 17/1999 lautet (auszugsweise):
"§ 8. (1) Das Dienstverhältnis eines begünstigten Behinderten darf vom Dienstgeber, sofern keine längere Kündigungsfrist einzuhalten ist, nur unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen gekündigt werden. Ein auf Probe vereinbartes Dienstverhältnis kann während des ersten Monates von beiden Teilen jederzeit gelöst werden.
(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landes-Behindertengesetzes jeweils zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.
(3) Der Behindertenausschuss hat bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten die besondere Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers zu berücksichtigen und unter Beachtung des § 6 zu prüfen, ob dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes zugemutet werden kann.
(4) Die Fortsetzung des Dienstverhältnisses wird dem Dienstgeber insbesondere dann nicht zugemutet werden können, wenn
...
b) der begünstigte Behinderte unfähig wird, die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und der Dienstgeber nachweist, dass der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann;
..."
Außer Streit steht, dass der Beschwerdeführerin die Behinderteneigenschaft der mitbeteiligten Partei im Zeitpunkt der ergangenen Auflösungserklärung (21. April 1997) bekannt war.
Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, da die mitbeteiligte Partei die vertraglich geschuldeten Dienste nicht mehr leisten könne, liege die Eingliederung einer begünstigten Person in den Arbeitsprozess im vorliegenden Fall nicht vor, sodass lediglich eine Interessenabwägung "rein auf finanzieller Natur" verbleibe. Es stünden das Interesse des Dienstgebers, nicht weiter Gehalt zahlen zu müssen, und das Interesse der Dienstnehmerin, ihren Gehalt weiter zu beziehen, gegenüber. Da ein diesbezügliches höheres Interesse des Dienstnehmers dem BEinstG nicht zu entnehmen sei, sei sehr wohl ein Grund für eine nachträgliche Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Auflösungserklärung gegeben.
Mit diesen Ausführungen ist die Beschwerdeführerin aus nachstehenden Erwägungen nicht im Recht:
Sowohl für die nachträgliche Zustimmung zu einer Kündigung als auch für die Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung gilt, dass die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines Behinderten überhaupt erteilt werden kann, im Ermessen der Behörde liegt. Nach dem Zweck des BEinstG, das der Eingliederung der begünstigten Person in den Arbeitsprozess und der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz dienen soll, ist es bei dieser Ermessensentscheidung Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden bzw. des schon gekündigten Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann, wobei unter Bedachtnahme auf § 8 Abs. 3 BEinstG der in diesem Gesetz normierte Kündigungsschutz nach dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls nicht weiter gehen soll als etwa im Fall eines Betriebsratsmitgliedes. Diese aus der Zweckbestimmung des BEinstG abgeleiteten Grundsätze haben als Richtlinie für die Handhabung des der Behörde vom Gesetz eingeräumten Ermessens zu dienen (ständige Rechtsprechung; vgl. zB die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. April 1992, Zl. 92/09/0046, sowie - aus jüngerer Zeit - vom 11. Juli 2000, Zl. 2000/11/0096, oder vom 4. Oktober 2001, Zl. 97/08/0469). Diese Interessenabwägung ist Voraussetzung jeder Kündigung eines begünstigten Behinderten. Über diese Ermessensentscheidung hinaus ist bei der Erteilung einer nachträglichen Zustimmung zur Kündigung noch zu prüfen, ob und inwieweit ein "besonderer Ausnahmefall" vorliegt, in dem dem Dienstgeber die vorherige Einholung der Zustimmung nicht zugemutet werden kann. Die besonderen Ausnahmegründe haben in diesem Fall ergänzend zu den für die grundlegende Interessenabwägung maßgebenden Gründen zu treten (vgl. dazu zB. das Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 97/08/0438).
Was nun im Einzelnen als "besonderer Ausnahmefall" nach § 8 Abs. 2 BEinstG anzusehen ist, kann nicht allgemein, sondern nur nach Lage des Einzelfalles beurteilt werden. Nach der Rechtsprechung ist dies dann der Fall, wenn ganz außergewöhnliche Umstände vorliegen, die hart an der Grenze des Kündigungsschutzes überhaupt liegen und dadurch gekennzeichnet sind, dass dem Dienstgeber die vorherige Einholung einer behördlichen Zustimmung nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz spricht von "besonderen Ausnahmefällen" und bringt durch die doppelte Hervorhebung des Ausnahmecharakters mit diesen Worten in eindringlicher Weise zum Ausdruck, dass nur an ganz außergewöhnliche Umstände gedacht ist. Ein solcher Fall wurde etwa angenommen, wenn der Dienstgeber zu einer Betriebsstilllegung oder zu einer verhältnismäßig großen Betriebseinschränkung gezwungen ist und wenn er außerdem beim Ausspruch der Kündigung nicht wissen konnte, dass der betreffende Dienstnehmer zu den nach dem BEinstG bevorzugten Personen zählt (vgl. dazu das hg Erkenntnis vom 13. September 1994, Zl. 93/09/0346, und die dort angeführte Vorjudikatur). Der Beschwerdeführerin war die Behinderteneigenschaft der mitbeteiligten Partei im Zeitpunkt der ergangenen Auflösungserklärung des Dienstverhältnisses bekannt. Im konkreten Fall besteht für das Unternehmen der Beschwerdeführerin auch nicht die Gefahr, einen schweren wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden, der geeignet ist, es in seiner Existenz zu bedrohen. Es kann daher der Annahme der Beschwerdeführerin, ein "besonderer Ausnahmefall" liege schon darin, für eine nicht arbeitsfähige Arbeitnehmerin nicht weiter Gehalt zahlen zu müssen, nicht gefolgt werden, da darin kein außergewöhnlicher Umstand zu erkennen ist. Dieses Vorbringen ist somit nicht geeignet, eine Ermessensüberschreitung der belangten Behörde aufzuzeigen.
Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.
Wien, am 26. Februar 2002
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