Normen
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs2;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- (= EUR 1.090,12) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 23. Mai 1997 war der mitbeteiligten Bauwerberin die Baubewilligung zur Errichtung eines Kinocenters erteilt worden; der Stadtsenat der mitbeteiligten Landeshauptstadt gab (im zweiten Rechtsgang) einer Berufung der hier beschwerdeführenden Nachbarn mit Bescheid vom 8. September 1998 keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe gewisser Änderungen. Dagegen richtete sich die Vorstellung der Beschwerdeführer vom 25. September 1998.
Mit einer an den Magistrat der Landeshauptstadt Linz gerichteten, als "Urkundenvorlage" bezeichneten Eingabe vom 30. Oktober 1998, die bei der Baubehörde erster Instanz am 2. November 1998 einlangte, legten die Beschwerdeführer ein Privatgutachten des TÜV-Österreich zur Frage der zu erwartenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die vom Vorhaben verursachten Lärmimmissionen vor. Der Magistrat (Bauwirtschaftsamt-Abteilung Rechtsmittelverfahren und Devolutionsanträge) leitete diese Eingabe mit Schreiben vom 4. November 1998 an die Vorstellungsbehörde weiter; bei der belangten Behörde langte diese Eingabe am 5. November 1998 ein.
Über die Vorstellung gegen den Berufungsbescheid vom 8. September 1998 entschied die belangte Behörde mit Bescheid vom 4. November 1998; der Bescheid wurde den Vertretern der Beschwerdeführer am 5. November 1998 zugestellt (dies ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer in der gegen den zuletzt genannten Bescheid erhobenen, beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 2001/05/0339 protokollierten Beschwerde).
Hier gegenständlich ist der Antrag der Beschwerdeführer vom 11. November 1998, den sie an den "Magistrat der Landeshauptstadt Linz Bauamt als Baubehörde I. Instanz" gerichtet haben. Darin beantragen sie die Wiederaufnahme des durch den Bescheid der Vorstellungsbehörde vom 4. November 1998 rechtskräftig beendeten Verfahrens hinsichtlich der beantragten Baubewilligung für die Errichtung eines Kinocenters. Begründend brachten sie vor, sie hätten während des laufenden Vorstellungsverfahrens ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage der zu erwartenden Lärmimmissionen und der damit verbundenen Beeinträchtigung in Auftrag gegeben und es sei ihnen dieses Gutachten am 28. Oktober 1998 zugestellt worden. Erstmals durch die Zustellung dieses Gutachtens hätten sie von erheblichen neuen Tatsachen und Beweismitteln Kenntnis erlangt, welche zu einer abweisenden Entscheidung geführt hätten. Bei dem Gutachten vom 22. Oktober 1998, zugestellt am 28. Oktober 1998, handle es sich um neu hervorgekommene Tatsachen, die während des noch nicht rechtskräftig beendeten Verfahrens schon bestanden hätten.
Diesen Wiederaufnahmeantrag legte der Magistrat der Landeshauptstadt Linz (Bauwirtschaftsamt-Abteilung Rechtsmittelverfahren und Devolutionsanträge) mit Schreiben vom 13. November 1998 der belangten Behörde mit der Bitte um Entscheidung vor. Da sich der Wiederaufnahmeantrag gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 4. November 1998 richte, also die Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens begehrt werde, liege die Zuständigkeit zur Entscheidung bei der belangten Behörde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Bewilligung der Wiederaufnahme des durch den Vorstellungsbescheid vom 4. November 1998 beendeten Verfahrens hinsichtlich der gegenständlichen Baubewilligung ab. Dem Wiederaufnahmeantrag komme schon deshalb keine Berechtigung zu, weil keine Rede davon sein könne, dass die angeblich hervorgekommenen neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren ohne Verschulden der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht werden konnten. Erst nach der Entscheidung durch die Berufungsbehörde entstandene Tatsachen könnten keine Berücksichtigung mehr finden. Schließlich könne ein Beweismittel, das, ohne Neuerungen im Tatsachenbereich aufzuzeigen, lediglich darzutun vermag, dass das seinerzeitige Verfahren allenfalls mangelhaft gewesen sei, eine Wiederaufnahme ebenso wenig rechtfertigen, wie eine allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung der Behörde.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Juni 1999, B 567/99, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Die Beschwerdeschrift enthielt bereits ein Vorbringen für den Fall der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; die Beschwerdeführer beantragten, den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Landeshauptstadt - eine Gegenschrift. Aus dem oben genannten hg. Akt Zl. 2001/05/0339 wurden folgende Teile des dort angeschlossenen Verwaltungsaktes zum Akt genommen:
1. Eingabe des Beschwerdeführervertreters an den Magistrat vom 30. Oktober 1998,
2. Übersendungsnote des Magistrates - Abt.
Rechtsmittelverfahren bez. 1. vom 4. November 1998,
- 3. Bescheid der belangten Behörde vom 11. Dezember 1997,
- 4. Bescheid der belangten Behörde vom 4. November 1998.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 69 AVG (BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998) lautet:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem."
Im Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages galt noch die Stammfassung des § 69 Abs. 2 AVG 1991, die lautete:
"2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat."
Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass der das seinerzeitige Verfahren abschließende Bescheid mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit der Vorstellung nach Art. 119a Abs. 5 B-VG sowie die Zulässigkeit der Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes nach Art. 131 und 144 B-VG behindern den Eintritt der Rechtskraft des Bescheides nicht. Dass ein Verfahren über dessen Anfechtung bei der Vorstellungsbehörde, beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof anhängig ist, hindert daher nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens (Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze2, 1466). Im Erkenntnis vom 29. Juni 1970, Zl. 963-966/70, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass das Bauverfahren mit der Entscheidung der obersten Gemeindeinstanz abgeschlossen ist und das Vorstellungsverfahren kein Instanzenzug im Sinne des AVG ist. Eine erst im Laufe des Vorstellungsverfahrens neu entstandene Tatsache bilde keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund im Bauverfahren.
Im Zeitpunkt der Einbringung des gegenständlichen Wiederaufnahmeantrages waren sowohl das Verfahren auf Gemeindeebene als auch das Vorstellungsverfahren abgeschlossen. Bezüglich beider Verfahren konnten die Beschwerdeführer somit die Wiederaufnahme beantragen.
Abgesehen davon, dass die belangte Behörde von der Möglichkeit des § 13 Abs. 3 AVG hätte Gebrauch machen können, erachtet es der Verwaltungsgerichtshof als unzweifelhaft, dass die Beschwerdeführer nicht das Vorstellungsverfahren, sondern das auf Gemeindeebene durchgeführte Baubewilligungsverfahren wieder aufnehmen wollten. In ihrem Antrag verwiesen sie nämlich darauf, dass sie mit Eingabe vom 2. September 1998, also noch vor Erlassung des Berufungsbescheides, einen Fristerstreckungsantrag zur Einholung und Fertigstellung eines Gutachtens gestellt hätten, wobei dieser Antrag aber von der Berufungsbehörde abgewiesen worden sei. Damit haben sie klargelegt, dass der Grund für die Wiederaufnahme ein Beweismittel war, welches sie schon auf Gemeindeebene verwendet hätten, wenn ihnen die Berufungsbehörde mit ihrer Entscheidung nicht zuvorgekommen wäre. Insbesondere spricht aber der Antrag dafür, dass die Beschwerdeführer das Gemeindeverfahren wieder aufnehmen wollten, weil Objekt des Antrages,
"die Wiederaufnahme des durch den Bescheid der Vorstellungsbehörde vom 4. November 1998 rechtskräftig beendeten Verfahrens hinsichtlich der beantragten Baubewilligung für die Errichtung eines Kinocenters Cineplexx-Linz zu GZ: 501/09603000E, GZ: 502-31/Str/0960330h, zu bewilligen",
das durch die Geschäftszahlen eindeutig identifizierte Verfahren auf Gemeindeebene war. Die Wendung "durch den Bescheid der Vorstellungsbehörde vom 4. November 1998 rechtskräftig beendeten" muss als Attribut angesehen werden, zumal mit dem Vorstellungsbescheid keine Baubewilligung erteilt wurde.
Auffällig ist schließlich, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, obwohl sie selbst darauf verweist, dass das Bauverfahren bereits durch den Berufungsbescheid vom 8. September 1998 rechtskräftig abgeschlossen worden sei, den Umstand unerwähnt ließ, dass der gegenständliche Antrag bei der Baubehörde erster Instanz eingebracht wurde; im Vorstellungsverfahren wäre der Magistrat der Landeshauptstadt Linz jedenfalls nicht erste Instanz im Sinne des § 69 Abs. 2 AVG.
Da somit der belangten Vorstellungsbehörde keine Zuständigkeit für eine Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf Wiederaufnahme des Bauverfahrens zukam, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Für das fortgesetzte Verfahren auf Gemeindeebene soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass auch der Verwaltungsgerichtshof die Voraussetzung nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG, wonach es darauf ankommt, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden könnten, nicht als gegeben ansieht. Schon im ersten Rechtsgang fand ein umfangreiches Beweisverfahren (unter Einschluss eines von den Beschwerdeführern vorgelegten Privatgutachtens) zur Frage der zu erwartenden Lärmimmissionen statt; zur aufhebenden Vorstellungsentscheidung vom 11. Dezember 1997 kam es deswegen, weil auf Grund der damaligen Widmung "Bauland-gemischtes Baugebiet" ein betriebstypologisches Gutachten erforderlich gewesen wäre. Die Vorstellungsbehörde wies damals auch darauf hin, dass im Flächenwidmungsplan eine Ausweisung als Sondergebiet des Baulandes notwendig wäre. Die Beschwerdeführer haben von Anfang an eine Beeinträchtigung durch Lärm geltend gemacht; es ist kein Grund ersichtlich, warum sie mit der Beauftragung eines weiteren Privatgutachtens bis zur Verständigung von der Flächenwidmungsplanänderung zugewartet haben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz und die Entscheidung über die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 11. Dezember 2001
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