Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "BR Jugoslawien", beantragte am 27. Dezember 1996 die Gewährung von Asyl. Er sei ethnischer Albaner aus dem Kosovo und habe in Prcevo, Klina, gewohnt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. April 1999 wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt I den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 - AsylG, ab.
Nur gegen diesen Beschwerdepunkt richtet sich die gegenständliche, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer während des noch anhängigen Asylverfahrens für kurze Zeit in den Kosovo zurückgekehrt sei. Aus dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, wann der Beschwerdeführer seine Heimat neuerlich verlassen hat. Es ergibt sich jedoch aus dem Verhandlungsprotokoll der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 20. April 1999, dass er am 18. März 1998 (laut Angaben in der Beschwerde am 18. März 1999) wieder nach Österreich eingereist sei. Die belangte Behörde sah die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers als gegeben an. Die belangte Behörde stellte unter dem Titel "Zur allgemeinen Situation im Heimatland des Asylwerbers" anhand einer Vielfalt von Medienberichten, UNHCR-Mitteilungen, Aussagen von UNHCR-Mitarbeitern sowie von Augenzeugen die Entwicklung im Kosovo dar. Unter dem Titel "Beweiswürdigung" folgen weitere, inhaltlich unzweifelhaft als Feststellungen des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes zur gegenwärtigen (das heißt zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 20. April 1999) im Kosovo herrschenden Situation:
"Tatsache ist, dass die Informationen von Flüchtlingen und Augenzeugen, die telefonisch aus dem Kosovo berichten, darin übereinstimmen, dass gegen die albanische Bevölkerung systematischer Terror mit dem Ziel der 'ethnischen Säuberung' ausgeübt wird (Der Standard, 29.3.1999).
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c. Es liegt schließlich eine seit längerer Zeit andauernde, vorerst auf individuelle Verfolgung (zum Teil unter Missbrauch) mit innerstaatlichen Mitteln ausgetragene Beeinträchtigung und Benachteiligung ethnischer Kosovo-Albaner, die in den festgestellten Ereignissen der letzten Wochen Ausmaße der Verfolgung und einer gezielten staatlichen Aussiedlung eines gesamten Siedlungsraumes (in Form der Vertreibung in verschiedenster Intensitäts- und Erscheinungsformen) annimmt, vor.
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Spätestens ab dem Einsetzen der NATO-Luftangriffe wird jedoch klar, dass von Seiten der jugoslawischen Staatsorgane, nicht einmal der Versuch einer Reflektierung und einzelfallbezogenen Begründung Vertreibungsaktion versucht wird, sondern vielmehr ein Gesamtkonzept der Zerbrechung albanischer, dörflicher, großfamiliärer, ethnischer und Versorgungsstrukturen durch flächenbezogene Gesamtvertreibung aller ethnischer Albaner eines konkreten Gebietes, (auch ohne erkennbares, militärisch notwendiges Konzept) also offensichtlich in politischer Absicht begonnen wird.
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Im Übrigen wurde es nicht nur von UNHCR sondern mittlerweile auch von der UNO (Äußerung des Generalsekretärs Kofi Annan vom 7.4.1999) als Tatsache anerkannt, dass derzeit im Kosovo ethnische Säuberungen gegenüber der albanischen Bevölkerung stattfinden.
Angesichts der täglich neuen Meldungen über Greueltaten gegenüber der albanischen Bevölkerung, wie etwa Massenerschießungen, organisierten Vergewaltigungen von Kosovo-Albanerinnen durch serbische Soldaten oder weiteren Vertreibungen (Der Standard, 10./11.4.1999; Kurier, 11.4.1999) kann auch nicht von einer Entspannung der Lage im Entscheidungszeitpunkt ausgegangen werden.
Dass der gesamte Kosovo betroffen ist, lässt sich nicht nur aus den bereits zitierten Quellen sondern auch aus drei im Wesentlichen übereinstimmenden Karten (www.nato.int - Areas of Ethnic Cleansing, 29.3.1999; Der Standard, 3.4.1999; Format 14/99, S. 21) ableiten, die Gebiete ethnischer Säuberungen bzw. Orte von Übergriffen gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo markieren und zeigen, dass kein größeres Siedlungsgebiet verschont blieb."
In rechtlicher Sicht begründet die belangte Behörde zunächst richtig, dass eine asylrelevante Verfolgung aktuell sein müsse, was bedeute, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen müsse. In weiterer Folge führt die belangte Behörde aus:
"Die Art und der Umfang der sich über Grenzen internationaler Regeln und menschenrechtlichen Normen hinwegsetzenden offensichtlich (zum Teil zugegebener Maßen) ethnisch orientierten Vorgangsweise der direkt dem serbischen und jugoslawischen Gesamtstaat unterstellten Polizei, der paramilitärischen Polizei und der Militäreinheiten ab Beginn der NATO-Lufteinsätze lassen eine Neuinterpretation all jener Beurteilungen polizeilichen Vorgehens zulässig erscheinen, die seinerzeit noch einzelfallbetont erfolgte (konkrete Verfolgung einzelner Personen), da zumindest ab dem genannten Zeitpunkt diese Verfolgungsform in eine allgemeine Verfolgungsform mündete, welche nicht nur jegliches Zusammenleben zwischen den Volksgruppen derzeit im Heimatland illusorisch erscheinen lässt, sondern klarerweise zur Folge hat, dass eine Besiedlung dieses Siedlungsraumes ohne internationale Überwachung und langfristigen Implementierungsmaßnahmen von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre.
4) Im Sinne einer für den Asylwerber anzustellenden Zukunftsprognose war entscheidungswesentlich, dass aus dem Beweisergebnis klar hervorgeht, dass jeder Rest an Vertrauensbasis zwischen dem Staat Jugoslawien und der Gruppe der Kosovo-Albaner verloren gegangen ist, mag dies durch Krieg, Bürgerkrieg oder dem konkreten Verhalten von Einsatzverbänden, die dem jugoslawischen Staat zuzurechnen sind, oder den Vorgehen der staatlichen Verwaltung selbst, bedingt sein.
Auch die internationale Staatengemeinschaft hat dies stillschweigend zur Kenntnis genommen, indem sie, wie den Feststellungen zu entnehmen ist, in ihren Bemühungen und Visionen einer möglichen Befriedigungspolitik vom Denkansatz der Verhandlungen von Rambouillet (Freiraum für ethnische Albaner innerhalb des Staates) längst abgegangen ist und nunmehr Lösungen der Freiheit vom jugoslawischen Staat, allenfalls der Form einer Protektoratslösung bevorzugt.
Somit ist eine Vertrauensbasis derzeit und im Zeitpunkt des Bescheides für ethnische Albaner, die auch nur im geringsten Ausmaß behördliche Vorverfolgung, Beanstandung oder Misshandlung erlitten haben, im Rahmen eines derzeit noch gegebenen jugoslawischen Staats- und Verwaltungsgefüges für eine zumutbare Eingliederung und Unterordnung nicht mehr gegeben."
Dennoch gelangte die belangte Behörde zur Abweisung des Asylantrages, was sie ausschließlich folgendermaßen begründete:
"Für eine asylrechtliche Entscheidung war im Konkreten zu berücksichtigen, dass der Asylwerber im Laufe des Verfahrens freiwillig wenn auch illegal in seine Heimat zurückgekehrt ist (wenn auch aus achtenswerten und verständlichen Gründen). Trotzdem ist hiedurch dokumentiert, dass eine Furcht vor individueller gegen ihn gerichteter Verfolgung offensichtlich nicht, oder nicht in dem schweren Ausmaß gegeben war, dass eine Asylrelevanz hier (noch) erblickt werden kann."
Es ist völlig unverständlich, weshalb die belangte Behörde entgegen ihrer klaren Feststellungen sowie dem darauf beruhenden Schluss, es liege zum Prüfungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo schon allein auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit vor (vgl. in diesem Zusammenhang das obiter dictum im hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0455, zur Situation im Kosovo ab Mitte März 1999), die Prognose, dem Beschwerdeführer drohe zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine asylrechtlich relevante Verfolgung in seinem Heimatstaat, ihre Entscheidung darauf stützt, dass sich der Beschwerdeführer vor gegenständlicher Eskalation der Ereignisse kurzzeitig zurück in seine Heimat begeben habe und ihm aus diesem Grund keine asylrelevante Furcht vor Verfolgung zuzubilligen sei. Offenbar verkennt die belangte Behörde, dass es nicht auf die bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung ankommt, sondern darauf, wie die Situation aus objektiver Sicht zu beurteilen ist.
Zu Recht hat die belangte Behörde ihrer Verpflichtung Genüge getan, von Amts wegen die allgemein bekannte Verschärfung der Lage im Kosovo im März 1999 in ihre Entscheidung einzubeziehen. Das von ihr in der Gegenschrift nunmehr gebrauchte Argument, der Beschwerdeführer habe im Verfahren eine Verfolgung alleine wegen Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo nicht geltend gemacht, ist demnach verfehlt, weil es eines solchen Vorbringens allgemein bekannter Tatsachen nicht bedurfte.
Ist davon auszugehen, dass ab Mitte März 1999 Angehörige der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo schon allein auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit grundsätzlich eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten haben, wobei diese Beurteilung auf allgemein bekannten Berichten beruht, so ist es gleichgültig, ob dem Beschwerdeführer zusätzlich auch aus individuellen Gründen asylrelevante Verfolgung drohte und wie er sich vor Einsetzen der generellen Verfolgungssituation verhalten hat.
Gründe, warum entgegen dieser grundsätzlichen Verfolgungssituation dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland zum Bescheiderlassungszeitpunkt keine Verfolgung drohen sollte, hat die belangte Behörde keine genannt.
Dem Hinweis in ihrer Gegenschrift, bei Abschluss der öffentlichen mündlichen Verhandlung sei "nur ein Antrag auf Non-Refoulement" aufrecht gewesen, ist mit dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass aus dem Gang der öffentlichen mündlichen Verhandlung keineswegs eine Zurückziehung des Asylantrages entnommen werden kann. Auch die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid nicht von der Zurückziehung des Asylantrages ausgegangen, sondern hat die Berufung gegen den diesen Asylantrag abweisenden Bescheid der Behörde erster Instanz meritorisch behandelt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Oktober 1999
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