Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "BR Jugoslawien", der am 15. August 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 10. September 1998 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 21. September 1998 niederschriftlich einvernommen.
Die Behörde erster Instanz gab sein damaliges Vorbringen in ihrem den Asylantrag gemäß § 6 Z. 2 Asylgesetz 1997 - AsylG - abweisenden Bescheid vom 22. September 1998 folgendermaßen wieder:
"Sie wurden in Ihrem Heimatland wegen Desertion von einem Militärgericht zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Verbüßung der Haftstrafe leisteten Sie neuerlich Militärdienst, desertierten in der Folge noch einmal, wurden verurteilt, dass Ihr Militärdienst um jene Zeit, die Sie auf der Flucht waren, verlängert wird, und desertierten in der Folge Anfang Februar 1998 neuerlich. Sie begaben sich nach Belgrad und hielten sich dort bis zum Antritt Ihrer Flucht am 22.06.1998 versteckt.
Sie gelangten von Jugoslawien über Ungarn und die Slowakei illegal nach Österreich.
Außer der von Ihnen geltend gemachten Desertion hatten Sie keine Schwierigkeiten mit den Behörden Ihres Heimatlandes."
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei, weil er ROM (Angehöriger der Volksgruppe der Roma) sei, im Militärdienst besonders rücksichtsloser Behandlung ausgesetzt gewesen und müsse mit einer Abkommandierung in die erste Reihe der Front im Krieg im Kosovo rechnen. Als "Kanonenfutter" hätte er mit seinem baldigen Tod zu rechnen, zumal die Roma nicht nur von den Serben gehasst würden, sondern auch - im Falle seiner Gefangennahme - von den Kosovo-Albanern besonders schlecht behandelt würden. Zur besonderen Gefährdung seiner Person bezüglich möglicher Misshandlungen bzw. Gewalthandlungen, die von Kosovo-Albanern gegenüber Roma ausgeübt würden, verwies er auf Berichte über Mord, Mordandrohungen und andere Gewaltakte. Als Bescheinigungsmittel beantragte er die Einvernahme einer Mitarbeiterin des Schubhaftsozialdienstes von Caritas/Volkshilfe in Wien.
In einem Unterpunkt der Berufung zum Refoulement führte der Beschwerdeführer aus, dass er, sollte er in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden, sofort in Haft kommen, unmenschlich behandelt werden und eventuell auch - wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit - sofort wieder in die erste Reihe der Front mit extremer Gefährdung abkommandiert werden würde. In dieser Situation des Krieges sei dies sein sicherer Tod. Er würde jedenfalls Gefahr laufen, unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder gar Todesstrafe unterworfen zu werden, weswegen seine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat auch gemäß Art. 2, 3 und 5 EMRK unzulässig sei. Die drohende grausame bzw. unmenschliche Behandlung ginge vom Staat, seinen Organen und/oder von den Vertretern des Kriegsgegners, den Kosovo-Albanern, aus. Es bestünde keinerlei Interesse seines Herkunftsstaates, ihn davor zu schützen.
Das im Bescheid des Bundesasylamtes erwähnte Gesetz, wonach in seinem Herkunftsstaat in der Strafverfolgung bzw. -bemessung hinsichtlich ethnischer Kriterien kein Unterschied bestünde, würde in der Praxis nicht eingehalten, insbesondere nicht im derzeitigen Kriegszustand.
Die belangte Behörde führte am 19. Jänner 1999 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurden der amtswegig beigeschaffte Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 6. Mai 1998 (betreffend "Stand: April 1998") in den die Situation des Beschwerdeführers betreffenden Auszügen sowie ein Themenpapier des schweizerischen Bundesamtes für Flüchtlinge "Deserteure und Refraktäre in Ex-Jugoslawien" vom 12. August 1996 verlesen. Der Beschwerdeführer legte zwei Berichte von Human Rights Watch vor. Er brachte vor, die aktuellen Ereignisse im Kosovo indizierten eine Kriegsgefahr mit großer Wahrscheinlichkeit. In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, die Roma seien beim Wehrdienst insoferne anders behandelt worden als die anderen, weil sie immer "erniedrigt und gering geschätzt" worden seien. Sie hätten immer "die schmutzigen und unangenehmen Arbeiten machen" müssen. Damit meine er u.a. das Reinigen der Haubitzen, Beseitigung von Öl und Verladen von Munition. Im Falle der Abkommandierung an die Kriegsfront durch die Vorgesetzten würden "wir als Kanonenfutter eingesetzt. So wie die Serben uns beim Arbeiten vorausgeschickt haben, so hätten sie es an der Front getan". Sonstige Unterschiede in der Behandlung beim Militärdienst zu den anderen Soldaten führte der Beschwerdeführer nicht an.
Die belangte Behörde verkündete im Anschluss an diese Verhandlung am 19. Jänner 1999 den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie stellte gestützt auf die in der mündlichen Verhandlung vorgekommenen Beweismittel als Sachverhalt fest:
"Die Identität des Berufungswerbers steht nicht fest. Er wurde in seinem Heimatland wegen Desertion von einem Militärgericht zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe leistete er neuerlich Militärdienst, desertierte wieder, und wurde für diese Desertion dazu verurteilt, dass sein Militärdienst um jene Zeit, die er auf der Flucht gewesen war, verlängert wurde.
Anfang Februar 1998 desertierte der Berufungswerber neuerlich. Er begab sich nach Belgrad und hielt sich dort bis zum Antritt seiner Flucht am 22.6.1998 versteckt. Der Berufungswerber gelangte von Jugoslawien über Ungarn und die Slowakei illegal nach Österreich. Außer der von ihm geltend gemachten Desertion hatte er keine Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatlandes. Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland hat er keine Todesstrafe wegen der Desertion zu befürchten, weil in der BR Jugoslawien die Todesstrafe abgeschafft ist. In der Jugoslawischen Föderation besteht eine allgemeine Wehrpflicht und bestehen keine ethnischen Differenzierungen im Hinblick auf die Einberufung zum Militärdienst. Refraktion wie Desertion können als Übertretung des Artikel 77 Abs. 1 oder 2 des Militärpflichtgesetzes oder als Straftatbestand nach Artikel 214 oder 217 des jugoslawischen Strafgesetzbuches geahndet werden. Während das Militärpflichtgesetz Bußen und eine Gefängnisstrafe von bis zu 30 Tagen vorsehen kann, sind nach jugoslawischem Strafgesetzbuch Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zehn Jahren möglich. Das Gesetz macht keinen Unterschied in der Strafverfolgung und Strafbemessung hinsichtlich ethnischer Kriterien. Auch im tatsächlichen Strafvollzug gibt es hier keine Unterschiede.
Roma haben in der BR Jugoslawien keine staatlichen Benachteiligungen zu befürchten. Im Kosovo herrscht weder Krieg noch Bürgerkrieg. Der Berufungswerber hat für den Fall einer Inhaftierung auf Grund seiner Desertion keine dem Artikel 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten."
Beruhend auf diesen Feststellungen bestätigte die belangte Behörde, nunmehr gestützt auf das AsylG idF BGBl. I Nr. 4/1999, die von der Erstbehörde vorgenommene Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet gemäß § 6 Z. 2 AsylG. Mit Spruchteil II. stellte die belangte Behörde fest, dass dem Beschwerdeführer in seiner Heimat keine der Gefahren des § 57 Fremdengesetz drohe, weshalb die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die "BR Jugoslawien" zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages darauf gestützt, dass er deshalb offensichtlich unbegründet sei, weil die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, ua unter Hinweis auf die Erläuterungen zum AsylG (686 BlgNR 20. GP, 19) einerseits dargelegt, wann ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet anzusehen ist und andererseits, dass es nicht möglich ist, bei Nichtvorliegen einer offensichtlichen Unbegründetheit den Asylantrag im gleichen Berufungsverfahren auf § 7 AsylG gestützt abzuweisen. In einem solchen Fall hat die Berufungsbehörde gemäß § 32 Abs. 2 AsylG vorzugehen. Zur näheren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Erkenntnis verwiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in zahlreichen Erkenntnissen klargestellt, dass die belangte Behörde als Spezialbehörde dazu verpflichtet ist, sich auf jeweils zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Beweismittel zu stützen bzw. diese zu erheben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465). Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde Beweismittel vom 12. August 1996 bzw. den Stand vom April 1998 zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht. Offenbar auf diese Berichte gründet sich die Annahme der belangten ?ehörde, es herrsche im Kosovo weder Krieg noch Bürgerkrieg noch drohe ein solcher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. Wie der Beschwerdeführer in der Beschwerde richtig ausführt, war zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Bescheides am 19. Jänner 1999 auf Grund der allgemeinen Berichterstattung in den Medien der Ausbruch eines Krieges bzw. Bürgerkrieges nicht mit einer derartigen Sicherheit auszuschließen, dass in Bezug auf die vom Beschwerdeführer behauptete Benachteiligung bei Einsatz an der Front - die oben wörtlich wiedergegebenen Passagen der Aussage des Beschwerdeführers sind wohl eindeutig dahingehend zu verstehen, dass die serbischen Vorgesetzten die Angehörigen der Volksgruppe der Roma in die drohende Todesgefahr als "Kanonenfutter" vorausgeschickt und sie sohin aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit schlechter behandelt hätten - eine offensichtliche Unbegründetheit im Sinne des § 6 Z. 2 AsylG anzunehmen gewesen wäre. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz hinsichtlich der Einberufung und Ableistung des Militärdienstes ist zwar kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt zu entnehmen. Jedoch hat der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren ein darüber hinausgehendes, letztlich in ethnisch bedingter Schlechterstellung durch Vorausschicken an die Front als "Kanonenfutter" gipfelndes Vorbringen erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, und die darauf aufbauende ständige Rechtsprechung). Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren solche Befürchtungen geäußert, welchen die belangte Behörde im Wesentlichen mit - auf Grund der rasch wechselnden Situation im Kosovo - überholten Beweismitteln (das jüngste von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Ansicht herangezogene Beweismittel gibt den Stand vom April 1998 wieder) begegnet ist. Solche unaktuellen Beweismittel können die Ansicht der belangten Behörde, dass der Asylantrag offensichtlich unbegründet sei, im Licht der Situation zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht tragen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. Juni 2000
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