VwGH 98/21/0318

VwGH98/21/031826.6.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Enzenhofer und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des E, geboren am 21. Dezember 1977, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 6. Mai 1998, Zl. Frb-4250a-28/97, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

21964A1229(01) AssAbk Türkei ;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §114 Abs3;
FrG 1997 §36;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrG 1997 §38 Abs2;
FrG 1997 §44;
FrG 1997 §47 Abs2;
21964A1229(01) AssAbk Türkei ;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §114 Abs3;
FrG 1997 §36;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrG 1997 §38 Abs2;
FrG 1997 §44;
FrG 1997 §47 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 14. Oktober 1997 (zugestellt am 27. Oktober 1997) war gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und 5 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Dies hatte die belangte Behörde im Wesentlichen mit folgendem Fehlverhalten des Beschwerdeführers begründet:

Dieser sei vom Landesgericht Feldkirch mit Urteil vom 19. April 1996 (u.a. in Anwendung des § 5 JGG) zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen (Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen) und einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, weil er mit Anderen im April oder Mai 1995 in Hard verabredet habe, gemeinsam an einem näher bezeichneten Autobahnrastplatz einen Rastplatzbesucher mit einem Baseballschläger niederzuschlagen und zu berauben, wodurch er das Verbrechen des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs. 1 StGB begangen habe, und weil er teils als Alleintäter, teils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter von Anfang 1994 bis Anfang 1996 in zahlreichen Angriffen Anderen Sachen in einem S 25.000,-- übersteigenden Wert mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht habe, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wodurch er das Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, § 129 Z. 1 und 2, § 15 StGB begangen habe.

Ferner sei über den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Juni 1996 gemäß den §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil und (u.a.) in Anwendung des § 5 JGG eine Zusatzgeldstrafe von 180 Tagessätzen (Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen) verhängt worden, weil er in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter in Feldkirch bzw. mehreren Grenzorten zum wiederholten Mal durch illegale Verbringung von ausländischen Staatsangehörigen über die Grenze nach Österreich bzw. in die Schweiz oder nach Deutschland gegen Entgelt um seines Vorteils willen Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt habe, wobei die gesetzwidrige Ein- oder Ausreise von mehr als fünf Fremden gefördert und die Taten zum Teil gewerbsmäßig ausgeführt worden seien, und zwar in mindestens 14 Fällen in der Zeit vom Sommer 1994 bis Juni 1995.

Am 4. April 1997 sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Bregenz wegen der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB, der Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 StGB und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB neuerlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er Bargeld von weniger als S 25.000,-- der D Sparkasse in der Absicht wegzunehmen versucht habe, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, weil er eine Geldtasche des N., die er gefunden habe, sich mit dem Vorsatz zugeeignet habe, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, und weil er N. dadurch geschädigt habe, dass er dessen zuvor gefundene Geldtasche weggeworfen habe.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer mit Urteil der Jugendanwaltschaft St. Gallen vom 15. November 1995 wegen der Beihilfe zur widerrechtlichen Einreise in die Schweiz, der Einreise in die Schweiz ohne Reisepass unter Umgehung des Zollamtes und des Gebrauchs eines echten, aber ihm nicht zustehenden Reisepasses für schuldig erklärt und zu einer Buße von sfr 200,- rechtskräftig verurteilt worden, wobei jedoch dieser Sachverhalt, gemessen an der österreichischen Rechtsordnung, (lediglich) eine Verwaltungsübertretung (§ 80 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes aus 1992) dargestellt habe. Weiters sei es bereits im Jahr 1993 zu einem außergerichtlichen Tatausgleich gekommen.

Mit dem vorliegend angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 6. Mai 1998 (zugestellt am 25. Mai 1998) wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 30. Jänner 1998 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe (in seinem Aufhebungsantrag) im Wesentlichen vorgebracht, dass er in Österreich geboren und im Alter von sechs Monaten zu seinen Großeltern in die Türkei zurückgebracht worden wäre, seit 1987 ununterbrochen in Österreich lebte und hier praktisch die gesamte Schulzeit absolviert hätte. Er verfügte auch über einen bis zum Jahr 2001 gültigen Befreiungsschein. Damit erfüllte er die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Z. 4 iVm § 38 Abs. 2 FrG und dürfte gegen ihn kein Aufenthaltsverbot verhängt werden.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung der dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Urteile aus, dass der Beschwerdeführer zweimal wegen der Begehung von Diebstahlsdelikten bzw. Delikten gegen fremdes Eigentum und zweimal wegen um seines Vorteils willen begangener Schlepperei habe bestraft werden müssen, die das Aufenthaltsverbot erlassende Behörde zu Recht davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner gesetzten Straftaten eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, und diese Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen, zum Schutz fremden Eigentums und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen gerechtfertigt gewesen sei. Hiebei sei berücksichtigt worden, dass er nach seiner Geburt in Österreich in die Türkei gebracht worden sei, seit seinem zehnten Lebensjahr durchgehend bei seinen Eltern in Österreich lebe, hier die Schulpflicht beendet, eine Malerlehre abgebrochen und in weiterer Folge bei verschiedenen Unternehmen als Hilfsarbeiter gearbeitet habe und im Besitz eines Befreiungsscheines sei.

Bei der Prüfung, ob sich die damaligen Umstände für die Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers andererseits maßgebend geändert hätten, sei zu berücksichtigen, dass die von ihm begangenen Delikte (gemeint: Verurteilungen) nach wie vor nicht getilgt seien. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 22. Jänner 1998 sei über ihn wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB neuerlich eine Geldstrafe rechtskräftig verhängt worden. Das Gericht habe hiebei die zwei einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall, das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die Wiederholung des Diebstahls als erschwerend gewertet. Diese Situation und die Unbelehrbarkeit des Beschwerdeführers, die sich durch die neuerlichen Gesetzesverstöße offenbare, führe dazu, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch höher gewertet werden müsse. So habe ihn selbst die akut drohende Gefahr, Österreich verlassen zu müssen, nicht zu einem gesetzeskonformen Verhalten veranlassen können.

Eine Änderung seiner familiären Situation mache er nicht geltend. Wenn er sich in seinem Vorbringen auf die Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 4 iVm. Abs. 2 FrG stütze, so erfülle er nicht die Voraussetzung, von klein auf im Inland aufgewachsen zu sein, weil er sich nach seiner Geburt nur bis zu seinem sechsten Lebensmonat in Österreich aufgehalten und bis zu einem Alter von etwa zehn Jahren in der Türkei gelebt habe.

Auf Grund der wiederkehrenden und schweren Rechtsverletzungen und der dahinter stehenden kriminellen Energie des Beschwerdeführers erscheine es weiterhin erforderlich, das Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren aufrecht zu erhalten, um den angestrebten Verwaltungszweck zu erreichen, nämlich für ein geordnetes Fremdenwesen zu sorgen, fremdes Eigentum zu schützen und weitere Straftaten zu verhindern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Aufhebung des gegen ihn rechtskräftig verhängten Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 FrG als verletzt und bringt vor, dass nach der mit Inkrafttreten des FrG geänderten Rechtslage das Aufenthaltsverbot gegen ihn nicht hätte erlassen werden dürfen, weil ihm § 38 Abs. 1 Z. 4 iVm. Abs. 2 leg. cit. zugute komme. So habe er von seiner Geburt im Jahr 1977 bis zu seinem sechsten Lebensmonat und seit 1987 bis zu seiner Abschiebung Anfang 1998 in Österreich gelebt und hier praktisch seine gesamte Schulzeit, zwei Jahre Volksschule und vier Jahre Hauptschule, absolviert. Da er zuletzt seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet habe, erfülle er alle Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 und sei analog § 48 Abs. 1 FrG heranzuziehen. Danach sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hätten, nicht zulässig.

Dieses Beschwerdevorbringen zielt auf die Bestimmung des § 114 Abs. 3 FrG ab. Danach gilt für - auf das Fremdengesetz aus 1992 gegründete - Aufenthaltsverbote Folgendes:

"Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, gelten als nach diesem Bundesgesetz erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer. Solche Aufenthaltsverbote sind auf Antrag oder - wenn sich aus anderen Gründen ein Anlass für die Behörde ergibt, sich mit der Angelegenheit zu befassen - von Amts wegen aufzuheben, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht erlassen hätten werden können."

Danach kommt es also darauf an, ob der zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogene Sachverhalt auch bei fiktiver Geltung des FrG diese Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Verhängung gerechtfertigt hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 2002, Zl. 2001/18/0176, mwN).

Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Nach § 38 Abs. 2 leg. cit. sind Fremde jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind.

Im Hinblick darauf, dass der im Jahr 1977 in Österreich geborene Beschwerdeführer bereits im Alter von sechs Monaten das Bundesgebiet verlassen hat und erst im Jahr 1987 wieder nach Österreich zurückgekehrt ist, ist er nicht von klein auf im Inland aufgewachsen. Diesbezüglich wird zur näheren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das vorzitierte Erkenntnis verwiesen. Da somit vom Beschwerdeführer eines der - kumulativ zu erfüllenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0309) - Tatbestandselemente des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht verwirklicht ist, braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob er das weitere Tatbestandselement dieser Gesetzesbestimmung "langjährig rechtmäßig niedergelassen", das im § 38 Abs. 2 leg. cit. näher umschrieben ist, erfüllt.

Auch sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Beschwerdeführer zum Kreis der in § 47 Abs. 3 FrG genannten Personen gehöre. Ferner ist aus den im hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2001, Zlen. 2000/19/0029, 0078, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, genannten Gründen ein rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassener türkischer Staatsangehöriger einem EWR-Bürger nicht gleichzuhalten. Schon deshalb kommt dem Beschwerdeführer die Bestimmung des § 48 Abs. 1 zweiter Satz FrG nicht zugute.

Über das obzitierte Vorbringen hinaus macht die Beschwerde keine Gründe dafür geltend, dass das vorliegende Aufenthaltsverbot bei fiktiver Geltung des FrG nicht hätte erlassen werden dürfen. Auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Bestimmung des § 114 Abs. 3 FrG der Aufrechterhaltung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

Gemäß § 44 FrG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein solcher Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Der Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes dient jedoch nicht dazu, die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, zu bekämpfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 99/21/0341, mwN).

Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides der belangten Behörde am 27. Oktober 1997 bis zur Erlassung des hier angefochtenen Bescheides, also innerhalb eines Zeitraums von rund sieben Monaten, die maßgeblichen Gesichtspunkte zu seinen Gunsten geändert hätten.

Demzufolge erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 26. Juni 2002

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