VwGH 98/19/0243

VwGH98/19/024327.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1968 geborenen MD in Wien, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. September 1998, Zl. 117.516/7-III/11/97, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs3;
AVG §70 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs3;
AVG §70 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verfügte über einen gewöhnlichen Sichtvermerk mit Geltungsdauer vom 4. Mai 1993 bis 30. Juni 1995. Er beantragte am 26. April 1995 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 25. September 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen, weil der Beschwerdeführer am 9. April 1991 mit einer österreichischen Staatsbürgerin, B, eine Ehe nur zum Schein und zum Zweck der Erlangung fremdenrechtlich bedeutender Berechtigungen eingegangen sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in welcher er insbesondere der Auffassung, er sei die in Rede stehende Ehe nur zum Schein eingegangen, entgegentrat.

Nach vergeblichen Versuchen, die Ehegattin des Beschwerdeführers einzuvernehmen, genehmigte die belangte Behörde am 19. Februar 1997 eine Erledigung, mit der der in Rede stehenden Berufung stattgegeben und der erstinstanzliche Bescheid ersatzlos aufgehoben werden sollte. In der Begründung dieser Erledigung heißt es, der von der erstinstanzlichen Behörde angenommene Verdacht einer Scheinehe sei nach Auffassung der Berufungsbehörde nicht aufrechtzuerhalten. Der Beschwerdeführer falle unter Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates und genieße gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG in Österreich Niederlassungsfreiheit. Der Bescheid sei daher ersatzlos aufzuheben gewesen. Der Antrag des Beschwerdeführers samt Verwaltungsakt sei gemäß § 6 AVG an die gemäß § 65 FrG zuständige Fremdenpolizeibehörde weiterzuleiten gewesen.

Die belangte Behörde übermittelte sodann mit Verfügung vom 19. Februar 1997 den Verwaltungsakt mitsamt der Ausfertigung der Erledigung vom 19. Februar 1997 an die Bundespolizeidirektion Wien zur weiteren Veranlassung und mit dem Ersuchen, den Originalbescheid dem Berufungswerber zuzustellen. Diese aufgetragene Zustellung unterblieb jedoch zunächst.

Die Bundespolizeidirektion Wien hatte über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 3. März 1996 ebenfalls aufgrund der Annahme, er sei mit B eine Scheinehe eingegangen, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen. Im fremdenpolizeilichen Akt befindet sich eine Aussage B's im Ehenichtigkeitsverfahren vor dem Bezirksgericht Floridsdorf vom 2. Dezember 1993. Dabei hatte diese Folgendes angegeben:

"In der Folge heiratete ich freiwillig, damit der Zweitbeklagte (Beschwerdeführer) nach Österreich könne. Es wurde nur davon gesprochen, dass der Zweitbeklagte nach Österreich wolle, von der Staatsbürgerschaft wurde bei der Eheschließung nichts gesprochen. Es war nie beabsichtigt, dass ich mit dem Zweitbeklagten zusammenleben sollte, ich habe auch nie mit ihm zusammengelebt. Ich hatte auch nie Geschlechtsverkehr mit ihm. Die Ehe sollte nicht ewig dauern, jedoch wurden immer unterschiedliche Angaben bezüglich der Zeit gemacht. Ich habe S 5.000,-- für die Überschreibung der Dokumente bekommen, sonst habe ich kein Geld bekommen."

In dem genannten Gerichtsverfahren war in der Folge Ruhen eingetreten.

Über Berufung des Beschwerdeführers hob die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 7. März 1997 den Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. März 1996 auf und verwies die Angelegenheit an die erstinstanzliche Behörde zurück.

In einer Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien am 28. April 1997 gab B an, bei der Ehe mit dem Beschwerdeführer habe es sich "um eine richtige Ehe" gehandelt. Es habe ein gemeinsamer Haushalt bestanden, teilweise hätten die Ehegatten auch beim Bruder des Beschwerdeführers gelebt. Die Ehe sei vollzogen worden. Mittlerweile sei die Ehe geschieden worden, weil sich die Ehegatten auseinander gelebt hätten.

Am 10. Juli 1997 wurde B neuerlich von der Bundespolizeidirektion Wien einvernommen. In dieser Einvernahme gab B nach Vorhalt ihrer Angaben vor dem Bezirksgericht Floridsdorf am 2. Dezember 1993 und ihrer Aussage vom 28. April 1997 nunmehr Folgendes an:

"Ich habe vor Gericht angegeben, mit M (dem Beschwerdeführer) eine Scheinehe eingegangen zu sein, während ich vor der Fremdenpolizei jedoch angegeben habe, M aus Liebe geheiratet zu haben.

Ich gebe an, dass die Aussage vor Gericht der Richtigkeit entsprochen hat und ich mit M tatsächlich eine Scheinehe eingegangen bin und erhebe ich die Angaben vom 2.12.1993 zu meiner heutigen Aussage. Die Angaben vor dem Fremdenpolizeilichen Büro vom 28.04.1997 waren unrichtig. ..."

Am 11. Juli 1997 richtete die Bundespolizeidirektion Wien an die belangte Behörde ein am 14. Juli 1997 eingelangtes Schreiben, in welchem es unter Hinweis auf einen näher bezeichneten Erlass auszugsweise wie folgt heißt:

"Das ha. Erhebungsergebnis ergab, dass der im Betreff Genannte (der Beschwerdeführer) eine österr. Staatsbürgerin am 09.04.1991 ehelichte, wobei es sich bei dieser Ehe um eine Scheinehe handelte, um sich auf diese Art und Weise den Zugang zu einer Aufenthaltsberechtigung bzw. zum österreichischen Arbeitsmarkt zu verschaffen.

B, ..., gab vor dem Bezirksgericht Floridsdorf ..... im

Verfahren wegen Ehenichtigkeit an, Obgenannten lediglich zum Schein geehelicht zu haben. In ihrer Niederschrift vor der ha. Behörde am 28.04.1997 dagegen gab sie an, dass es sich bei der damaligen Eheschließung um eine Liebesheirat gehandelt habe. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben wurde B für den 10.07.1997 von ha. wegen Verdacht der falschen Zeugenaussage vor Gericht geladen und gab nunmehr niederschriftlich an, dass die Angaben, welche sie vor dem Bezirksgericht Floridsdorf gemacht habe der Wahrheit entsprochen hätten und sie M nicht aus Liebe geheiratet habe. ...

Da sich der im Betreff Genannte durch Eingehen einer Scheinehe den Aufenthalt im Bundesgebiet erschlichen hat, kommt die Anwendung des Artikel 6 Abs. 1 1. bis 3. Gedankenstrich für diesen nicht zur Anwendung, weshalb es sich bei ihm um keinen türkischen Staatsangehörigen im Sinne des Assoziationsratsbeschlusses (EWG-Türkei) Nr. 1/80 handelt."

Am 10. September 1997 forderte die belangte Behörde die Bundespolizeidirektion Wien auf, den Rückschein betreffend die Zustellung der Erledigung vom 19. Februar 1997 zu übermitteln.

Am 11. September 1997 teilte die Bundespolizeidirektion mit, dass dieser Berufungsbescheid erst an diesem Tage an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gesandt worden sei. Die Zustellung dieses Bescheides vom 19. Februar 1997 erfolgte schließlich am 15. September 1997.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. September 1998 nahm die belangte Behörde aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel das Verfahren betreffend ihren Bescheid vom 19. Februar 1997 von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 70 Abs. 1 AVG wieder auf und versetzte es in den Stand vor Erlassung des bezeichneten Bescheides.

Begründend heißt es, der belangten Behörde sei bekannt geworden, dass der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin B eine Scheinehe eingegangen sei. B habe vor dem Bezirksgericht Floridsdorf angegeben, dass sie den Beschwerdeführer lediglich zum Schein geehelicht habe. In einer niederschriftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien am 28. April 1998 (richtig wohl: am 28. April 1997) habe sie jedoch angegeben, die Ehe aus Liebe geschlossen zu haben. Auf die differierenden Aussagen aufmerksam gemacht, habe sie jedoch angegeben, es habe sich um eine Scheinehe gehandelt. Die Aussage vor dem Bezirksgericht Floridsdorf habe der Richtigkeit entsprochen.

Aufgrund der oben angeführten neuen Tatsachen hätte die Berufungsbehörde den Bescheid vom 19. Februar 1997 nicht erlassen. Da die Tatsache des Eingehens einer Scheinehe erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannt geworden sei, sei die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zu veranlassen gewesen und das Verfahren in den Stand vor Erlassung des Bescheides zweiter Instanz zurückzuversetzen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde gegen einen letztinstanzlichen, die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid ist ungeachtet des § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG zulässig (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. März 1977, Slg. Nr. 9277/A).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung war die belangte Behörde zur Verfügung der Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 4 AVG zuständig, hat sie doch den Bescheid im wiederaufzunehmenden Verfahren in letzter Instanz erlassen.

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf den Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 in Verbindung mit Abs. 3

AVG.

Diese Bestimmung lautete im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung am 19. September 1998):

"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

...

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

...

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden."

Voraussetzung für das Vorliegen des in Rede stehenden Wiederaufnahmegrundes wäre es, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen wären, welche die belangte Behörde ohne ihr Verschulden im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht berücksichtigen konnte (vgl. zur letztgenannten Voraussetzung die bei Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 590, wiedergegebene Judikatur).

Schon an der erstgenannten Voraussetzung mangelte es vorliegendenfalls. Der Bescheid vom 19. Februar 1997 wurde erst durch seine Zustellung am 15. September 1997 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt waren die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Tatsachen und Beweismittel aber bereits aufgrund der am 14. Juli 1997 eingelangten Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Juli 1997 bekannt oder hätten es jedenfalls bei Studium des Verwaltungsaktes sein müssen.

Für eine Einvernahme B's als Zeugin am 28. April 1998 - wie im angefochtenen Bescheid festgestellt - finden sich nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte. Selbst wenn aber B in der Folge ihre Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vom 10. Juli 1997 auch nach Erlassung des angefochtenen Bescheides wiederholt haben sollte, wäre dieser Umstand nicht geeignet, die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 3 AVG zu rechtfertigen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Mai 1999

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