VwGH 98/11/0178

VwGH98/11/017827.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der T in W, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwalt in Berndorf, Hernsteinerstraße 2/1/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 16. Juni 1998, Zl. 37.101/118-8/97, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

ASGG §67;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
IESG §10;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs4;
ASGG §67;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
IESG §10;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem unbekämpft gebliebenen Bescheid des Bundessozialamtes für Wien, Niederösterreich, Burgenland (BSA) vom 5. Februar 1997 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Insolvenz-Ausfallgeld für Urlaubsentschädigung in Höhe von S 45.445,-- gemäß § 1 IESG abgelehnt.

Mit Antrag vom 27. Oktober 1997 begehrte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das in der Zwischenzeit ergangene rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. April 1997 betreffend den vom BSA als nicht gesichert angesehenen Anspruch auf Urlaubsentschädigung die Wiederaufnahme des Verfahrens. Dem Antrag wurde mit Bescheid des BSA vom 24. November 1997 mit der Begründung keine Folge gegeben, es liege keiner der in § 69 Abs. 1 AVG taxativ aufgezählten Gründe für eine Wiederaufnahme vor. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid zurückgewiesen.

In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; sie beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde spruchmäßig die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 24. November 1997 zurückgewiesen. In der Begründung wird dazu ausgeführt, in Angelegenheiten des Insolvenz-Ausfallgeldes seien grundsätzlich die Arbeits- und Sozialgerichte im Wege der sukzessiven Kompetenz zuständig. Die Beschwerdeführerin hätte gegen den Insolvenz-Ausfallgeld für Urlaubsentschädigung versagenden Bescheid vom 5. Februar 1997 Klage an das zuständige Arbeits- und Sozialgericht erheben müssen. Statt dessen habe sie den gegenständlichen Wiederaufnahmsantrag gestellt. Dieser hätte auch von der Erstbehörde zurückgewiesen werden müssen.

Angesichts dieses Inhaltes des angefochtenen Bescheides ist unklar, ob die belangte Behörde die Berufung oder aber den Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin zurückweisen wollte. Für die erstgenannte Version spricht der Wortlaut des Bescheidspruches. Die Begründung legt allerdings die Annahme nahe, dass es sich dabei lediglich um ein Vergreifen im Ausdruck gehandelt haben könnte (es fehlt jeglicher Hinweis auf das Vorliegen eines Grundes für die Zurückweisung der Berufung; in der Begründung heißt es abschließend ausdrücklich, dass der Wiederaufnahmsantrag auch von der Erstbehörde hätte zurückgewiesen werden müssen). Es kann dahinstehen, welche der beiden Deutungen richtig ist. Diese Frage ist im Ergebnis ohne Bedeutung. Deutet man nämlich den angefochtenen Bescheid als Zurückweisung der Berufung, so ist er mangels einer Begründung für das Vorliegen eines Zurückweisungsgrundes und wegen offenkundigen Widerspruches zwischen Spruch und Begründung aufzuheben (im Spruch wird die Berufung zurückgewiesen; die Begründung befasst sich dem gegenüber ausschließlich mit der Frage der Zulässigkeit des Wiederaufnahmsantrages). Deutet man den angefochtenen Bescheid als Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages, ist er aus folgenden Gründen rechtswidrig und daher aufzuheben:

Die belangte Behörde geht (entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin) offenbar von der rechtswirksamen Zustellung des Bescheides des BSA vom 5. Februar 1997 an die Beschwerdeführerin aus. Diese Annahme erscheint durch die Aktenlage gedeckt: Laut Rückschein wurde die betreffende Sendung nach vergeblichem Zustellversuch und erfolgter Verständigung über die Hinterlegung beim zuständigen Postamt hinterlegt und ab 14. Februar 1997 zur Abholung bereit gehalten. Gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz Zustellgesetz galt damit die Sendung mit 14. Februar 1997 als zugestellt. Umstände, die eine rechtswirksame Zustellung durch Hinterlegung ausgeschlossen hätten, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Ob ihr die Verständigung von der Hinterlegung in der Folge auch tatsächlich zugekommen ist oder nicht (wie sie behauptet), ist, wie sich aus § 17 Abs. 4 Zustellgesetz ergibt, für die Wirksamkeit der Zustellung ohne Belang. Die rechtswirksame Zustellung dieses Bescheides an die Beschwerdeführerin ist im Übrigen notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiederaufnahmsantrages. Die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 AVG setzt nämlich ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren voraus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. November 1987, Zl. 87/11/0116, mwN). Daher hätte der Standpunkt der Beschwerdeführerin, der Bescheid vom 5. Februar 1997 sei bisher noch nicht rechtswirksam erlassen worden, die Zurückweisung ihres Wiederaufnahmsantrages zur Folge.

Zur Argumentation der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin hätte, statt einen Wiederaufnahmsantrag zu stellen, gegen den Bescheid vom 5. Februar 1997 Klage erheben sollen (§ 10 IESG in Verbindung mit § 67 ASGG), ist festzuhalten:

Die Einbringung einer solchen Klage unterblieb, weil der Beschwerdeführerin ihrem Vorbringen zufolge die Existenz dieses Bescheides unbekannt war. Sie hatte, mit der Bestreitung des Anspruches auf Urlaubsentschädigung durch den Masseverwalter konfrontiert, gemäß § 110 KO auf Feststellung des aufrechten Bestandes dieser Forderung geklagt. Das darüber ergangene, der Klage stattgebende Urteil des Gerichtes vom 29. April 1997 wurde der Beschwerdeführerin laut ihrem Vorbringen im Wiederaufnahmsantrag erst am 18. September 1997 zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die vierwöchige Frist (§ 67 Abs. 2 ASGG) für eine Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 1997 längst verstrichen. Bei dieser Sachlage bot sich die Stellung eines auf den Wiederaufnahmstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG gestützten Wiederaufnahmsantrages als geeigneter Rechtsbehelf an. Dass die Beschwerdeführerin - unter Zugrundelegung der von ihr behaupteten Unkenntnis von der erfolgten Zustellung - auch die Möglichkeit einer Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 1997 in Verbindung mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagsfrist hatte, schloss die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmsantrages nicht aus. Dies hat die belangte Behörde verkannt. Die Verneinung der Zulässigkeit des Wiederaufnahmsantrages allein mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit einer Klage an das Arbeits- und Sozialgericht ist bei der hier gegebenen Sach- und Rechtslage verfehlt.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren ist festzuhalten:

Die Begründung des die Wiederaufnahme versagenden Bescheides der Erstbehörde vom 24. November 1997, es liege keiner der drei im § 69 Abs. 1 AVG aufgezählten Wiederaufnahmsgründe vor, ist mangels näherer Ausführungen nicht nachvollziehbar. Beim gegebenen Sachverhalt lag auf der Hand, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG abzielte: Mit Bescheid der Erstbehörde vom 5. Februar 1997 wurde Insolvenz Ausfallgeld für den Anspruch auf Urlaubsentschädigung mit der Begründung versagt, dieser Anspruch könne "nach gegebenem Aktenstand nicht als gesichert im Sinne des § 1 Abs. 2 IESG angesehen" werden. Die Behörde beurteilte demnach diese Vorfrage dahin, dass sie den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Urlaubsentschädigung verneinte. Eben diese Frage wurde nachträglich vom dafür zuständigen Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 29. April 1997 gegenteilig entschieden. Damit war der Wiederaufnahmstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG gegeben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Mai 1999

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