VwGH 98/11/0057

VwGH98/11/005719.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 22. Dezember 1997, Zl. VwSen-520008/4/Gf/Km, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung und Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern (mitbeteiligte Partei: J, A, R-Straße), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §57 Abs1;
AVG §57 Abs2;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §74 Abs1;
KFG 1967 §75a Abs1 lita;
AVG §38;
AVG §57 Abs1;
AVG §57 Abs2;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §74 Abs1;
KFG 1967 §75a Abs1 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 2. Jänner 1997 wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B vorübergehend für die Dauer von zwölf Monaten, gerechnet ab der (am 8. Jänner 1997 erfolgten) Zustellung dieses Bescheides, entzogen. Weiters wurde ihm gemäß § 75a Abs. 1 lit. a KFG 1967 das Lenken von Motorfahrrädern für denselben Zeitraum verboten.

Diesem Bescheid lag die Annahme zugrunde, daß der Mitbeteiligte in der Nacht vom 19. auf den 20. November 1996 die Atemluftuntersuchung verweigert habe, obwohl er verdächtig war, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand seinen Pkw gelenkt zu haben. Weiters wurden in der Begründung dieses Mandatsbescheides verschiedene gegen den Mitbeteiligten erhobene Anzeigen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen angeführt.

Der dagegen erhobenen Vorstellung gab der Landeshauptmann von Oberösterreich, auf den die Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG übergegangen war, mit Bescheid vom 20. Oktober 1997 insofern teilweise Folge, als die Dauer der vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung und des Verbotes des Lenkens von Motorfahrrädern auf neun Monate herabgesetzt wurde.

In der Begründung dieses Bescheides wurde u.a. ausgeführt, mangels Vorliegens einer die Behörde bindenden rechtskräftigen Bestrafung sei zu beurteilen gewesen, ob der Mitbeteiligte die ihm angelastete Übertretung begangen habe. Aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens im Verwaltungsstrafverfahren und des erstinstanzlichen Straferkenntnisses werde vom Vorliegen einer Übertretung des § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 StVO 1960 ausgegangen. Die aufgrund verschiedener Anzeigen geführten gerichtlichen Verfahren hätten mit Einstellung oder Freispruch geendet. Der Mitbeteiligte sei wegen einer Übertretung gemäß § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 mit Straferkenntnis vom 23. Februar 1993 bestraft worden. Damals sei ihm die Lenkerberechtigung für die Dauer von vier Wochen vorübergehend entzogen worden. Im Hinblick auf die neuerliche Begehung eines Alkoholdeliktes sei der Mitbeteiligte als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen, wobei die Entziehungszeit wegen des Wegfalles der im Mandatsbescheid mitberücksichtigten gerichtlich strafbaren Handlungen herabzusetzen gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten Folge und hob den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. Oktober 1997 auf.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, das erstinstanzliche Straferkenntnis sei von der belangten Behörde mit Bescheid vom 19. November 1997 wegen örtlicher Unzuständigkeit aufgehoben worden. "Zum gegebenen Zeitpunkt kann sohin jedenfalls das dezidierte Vorliegen des Unzuverlässigkeitsgrundes i.S.d. § 66 Abs. 2 lit. e KFG nicht konstatiert werden". Auch jenes "Gefahrenmoment", das den Mandatsbescheid "ursprünglich vielleicht noch getragen haben mag, allein kann die Entziehung der Lenkerberechtigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht rechtfertigen". "Der Verdacht auf eine Übertretung des § 5 StVO" rechtfertige noch nicht die Erlassung eines Mandatsbescheides. Könne schon bezweifelt werden, ob im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides, d.h. rund eineinhalb Monate nach der Begehung der dem Mitbeteiligten angelasteten strafbaren Handlung, "noch die entsprechenden Anforderungen vorlagen", so vermöge nunmehr, wo seit über einem Jahr noch immer nicht feststehe, ob die Annahme, der Mitbeteiligte habe die Atemluftuntersuchung verweigert, begründet sei, "allein ein Verdacht einen neunmonatigen Entzug der Lenkerberechtigung mit Sicherheit nicht zu rechtfertigen". Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein tragfähiger Grund für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit gefunden werde, erweise sich der Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. Oktober 1997 als rechtswidrig.

Gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich richtet sich die auf § 123 Abs. 1 letzter Satz KFG 1967 idF der 19. KFG-Novelle BGBl. Nr. I 103/1997 gestützte vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wird die Lenkerberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit entzogen, ist die vorzeitige Vollstreckung eines solchen Bescheides im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug geboten. Kommt die Kraftfahrbehörde aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen (die aber noch keinen Bescheid nach § 56 AVG ermöglichen) zur Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit einer Person, so kann sie die Entziehung der Lenkerberechtigung mit Mandatsbescheid verfügen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1986, Zl. 85/11/0167, mwN). Wird gegen einen derartigen Mandatsbescheid Vorstellung erhoben, hat die Kraftfahrbehörde auch dann, wenn die mit Mandatsbescheid festgesetzte Entziehungszeit bereits abgelaufen ist, in Ausübung der ihr zukommenden Kontrollfunktion die Rechtmäßigkeit des von ihr erlassenen Mandatsbescheides zu überprüfen und darüber meritorisch abzusprechen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1997, Zl. 96/11/0234, mwN). Gleiches gilt für die Berufungsbehörde, wenn im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides die Verkehrsunzuverlässigkeit zwar nicht mehr (oder nicht mehr für die Dauer von zumindest drei Monaten) angenommen werden kann, jedoch die Rechtmäßigkeit der von der Erstbehörde verfügten Entziehungsmaßnahme zu beurteilen ist (siehe dazu das hg. Erkenntnnis vom 18. November 1997, Zl. 96/11/0363, mit Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A).

Ausgehend von der zitierten Rechtsprechung, von der abzugehen der Beschwerdefall keinen Grund bietet, erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weil es nach dem Gesagten bei der Wahrnehmung der der belangten Behörde zukommenden Kontrollfunktion im dargelegten Sinn nicht darauf ankommt, ob der Mitbeteiligte noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides als verkehrsunzuverlässig anzusehen war.

Im übrigen hat die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn im Mandatsbescheid vom 2. Jänner 1997 die Verweigerung der Atemluftuntersuchung am 20. November 1996 als erwiesen angesehen und darauf die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit gegründet, wobei sie im Rahmen der Wertung und der Festsetzung der Entziehungszeit auch auf eine einschlägige Vorstrafe und die seinerzeit ausgesprochene vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung Bedacht genommen hat. Auch im Vorstellungsbescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. Oktober 1997 wurde die Begehung der Übertretung gemäß § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVG 1960 als erwiesen angenommen, ohne daß sich diese Behörde auf eine rechtskräftige Bestrafung stützen konnte. Es trifft daher nicht zu, daß sich der Mandatsbescheid und der Vorstellungsbescheid nur auf den Verdacht einer Übertretung nach § 5 StVO gegründet haben. Die belangte Behörde verweist darauf, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis wegen örtlicher Unzuständigkeit aufgehoben wurde, und folgert daraus, daß derzeit "sohin jedenfalls das dezidierte Vorliegen des Unzuverlässigkeitsgrundes i.S.d. § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 nicht konstatiert werden" könne. Dies stellt jedoch keine taugliche Begründung für die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Aufhebung des Vorstellungsbescheides dar, weil § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 auf die Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 abstellt und die Aufhebung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wegen örtlicher Unzuständigkeit bei Beurteilung der Frage, ob der Mitbeteiligte die ihm angelastete Übertretung begangen hat, keinerlei argumentativen Wert hat. Die belangte Behörde hat zu dieser Frage keine Ermittlungen durchgeführt. Sie ging dabei, wie das Protokoll über die Beratung vom 22. Dezember 1997 und ihre Ausführungen in der Gegenschrift zeigen, von der Auffassung aus, das Verfahren hätte gemäß § 38 zweiter Satz AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsstrafverfahren ausgesetzt werden müssen, dies hätte aber die belangte Behörde deshalb nicht verfügen können, weil sie gemäß Art. 129 ff B-VG nicht zur Führung der Verwaltung in erster Instanz, sondern zu deren Kontrolle berufen sei.

Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde gemäß § 67a Abs. 1 Z. 1 AVG in Verbindung mit § 123 Abs. 1 KFG 1967 als Berufungsbehörde tätig geworden ist. Als solche hatte sie - mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG - aufgrund der zulässigen und rechtzeitigen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Sache selbst zu entscheiden. Die in diesem Zusammenhang ihr notwendig erscheinenden Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hätte sie gemäß § 66 Abs. 1 AVG entweder durch die Behörde erster Instanz durchführen lassen oder selbst vornehmen können, wobei auch die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG bei Vorliegen der Voraussetzungen zulässig war. Aus keinem der Art. 129 ff B-VG ist insofern ein Hindernis abzuleiten. Auch das von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 1997, G 270/96 u.a., ist nicht geeignet, ihren Standpunkt zu stützen, zumal ihre Entscheidungen und Verfügungen als Berufungsbehörde nicht als Führung der Verwaltung in erster Instanz angesehen werden können.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

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