VwGH 98/11/0046

VwGH98/11/004619.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Mag. Andreas M. Pfeifer, Rechtsanwalt in Wien I, Elisabethstraße 15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Dezember 1997, Zl. MA 65 - 8/325/97, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B vorübergehend für die Zeit von vier Wochen, gerechnet ab der am 11. November 1995 erfolgten vorläufigen Abnahme des Führerscheines, entzogen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei wegen einer am 11. November 1995 begangenen Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 angezeigt worden. Das diesbezügliche Strafverfahren sei wegen Verfolgungsverjährung eingestellt worden, weil der Beschwerdeführerin die von ihr begangene Tat innerhalb der Verjährungsfrist nicht mit dem richtigen Tatort und der richtigen Tatzeit angelastet worden sei. Die Einstellung sei nicht wegen Zweifeln an der Begehung der Tat erfolgt. Der zugrunde liegende Sachverhalt sei als erwiesen anzunehmen, und zwar aufgrund der Anzeige vom 11. November 1995 und der Angaben des am 26. September 1997 als Zeugen vernommenen Meldungslegers, wonach die Beschwerdeführerin als Lenkerin eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges anläßlich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle zu einer Atemluftuntersuchung aufgefordert worden sei und durch beabsichtigt unrichtiges Einblasen der Atemluft ein unverwertbares Meßergebnis herbeigeführt habe. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe aufgrund einer außergewöhnlichen Streßsituation infolge von zwei Todesfällen die Atemluftuntersuchung nicht durchführen können, sei nicht nachvollziehbar, habe sie sich doch dazu imstande gefühlt, ein Kraftfahrzeug zu lenken und dabei auftretende Situationen zu bewältigen. Auch ihre Behauptung, infolge eines reduzierten Lungenvolumens sei kein verwertbares Ergebnis erzielbar gewesen, sei nicht zu berücksichtigen, weil es jeder Alltagserfahrung widerspreche, daß die Beschwerdeführerin nicht schon bei der Aufforderung zur Atemluftuntersuchung auf dieses medizinische Problem hingewiesen habe. Hätte sie dies getan, wäre sie der Untersuchung durch den Polizeiarzt zugeführt worden. Ihre diesbezügliche Behauptung sei zudem unbewiesen geblieben. Eine Gallenerkrankung habe auf das Ergebnis der Atemluftuntersuchung keinen Einfluß. Der Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Jänner 1997 enthalte nichts, was gegen diese Sachverhaltsfeststellungen spreche.

Es liege eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vor. Da es sich um die erstmalige Begehung einer solchen Übertretung handle, sei die Entziehungszeit gemäß § 73 Abs. 3 KFG 1967 mit vier Wochen festzusetzen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin irrt, wenn sie meint, die belangte Behörde hätte zu beurteilen gehabt, ob sie eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StVO 1960 begangen habe. Dem angefochtenen Bescheid ist unmißverständlich zu entnehmen, daß der Beschwerdeführerin nicht das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand sondern die Verweigerung der Atemluftuntersuchung auf Alkoholgehalt gemäß § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 angelastet wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß im Mandatsbescheid vom 20. November 1995 von einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 die Rede war und daß der belangten Behörde (auf Seite 2 vorletzte Zeile des angefochtenen Bescheides) bei Wiedergabe des Inhaltes des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Jänner 1997 ein offenkundiger Schreibfehler unterlaufen ist. Den weiteren Ausführungen der belangten Behörde in diesem Zusammenhang und im genannten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien lassen keinen Zweifel daran, daß Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens eine der Beschwerdeführerin angelastete Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 gewesen ist.

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, sie habe sich mit ihrem Vorbringen, daß sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, die Atemluftuntersuchung durchzuführen, nicht befaßt, und verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß sie bereits anläßlich ihrer Vernehmung durch das Bezirkspolizeikommissariat Alsergrund vom 5. Dezember 1995 auf ihr reduziertes Atemvolumen hingewiesen und ein fachärztliches Gutachten über die Unmöglichkeit der Atemluftuntersuchung vorgelegt habe.

Diese Verfahrensrüge ist deshalb begründet, weil die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vom 16. Juni 1997 gegen den Vorstellungsbescheid ausdrücklich auf ihre im Verwaltungsstrafverfahren erhobene Berufung vom 3. Jänner 1996 hingewiesen hat, in welcher sie unter Hinweis auf das Protokoll (gemeint offenbar das Protokoll über ihre Vernehmung vom 5. Dezember 1995) u.a. geltend gemacht hatte, wegen ihres reduzierten Atemluftvolumens zur Durchführung der Atemluftuntersuchung nicht in der Lage gewesen zu sein. Weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde hat sich mit dem die Tat bestreitenden Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsstrafverfahren befaßt, obwohl das Entziehungsverfahren mit Bescheid vom 29. April 1996 bis zum Abschluß des Verwaltungsstrafverfahrens ausgesetzt worden war und die Beschwerdeführerin - wie erwähnt - in ihrer Berufung gegen den Erstbescheid auf ihr Vorbringen im Verwaltungsstrafverfahren ausdrücklich hingewiesen hat. Da das Verwaltungsstrafverfahren nicht zu einer die Kraftfahrbehörde bindenden rechtskräftigen Bestrafung der Beschwerdeführerin geführt hat, hatte die belangte Behörde selbständig als Vorfrage zu beurteilen, ob die Beschwerdeführerin die ihr zur Last gelegte strafbare Handlung begangen hat. In diesem Zusammenhang hatte sie sich mit dem zu ihrer Entlastung erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin zu befassen. Die im angefochtenen Bescheid dazu gegebene Begründung, das Vorbringen der Beschwerdeführerin habe nicht berücksichtigt werden können, weil nach der Alltagserfahrung anzunehmen sei, daß ein zur Atemluftuntersuchung Aufgeforderter sofort auf die medizinische Unmöglichkeit hinweise, reicht nicht aus, weil auch später geltend und glaubhaft gemachte konkrete Gründe zu berücksichtigen sind und eine Verpflichtung des Betroffenen, die Gründe für die Unmöglichkeit der Atemluftuntersuchung dem einschreitenden Organ der Straßenaufsicht sofort darzulegen, aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden kann (vgl. dazu die bei Messiner, StVO9 (1995) § 5 unter E. Nr. 309 zitierte hg. Rechtsprechung). Daß das von der Beschwerdeführerin genannte Gutachten nicht auch im Entziehungsverfahren vorgelegt wurde, ist entgegen der in der Gegenschrift geäußerten Auffassung der belangten Behörde nicht von Bedeutung, weil der Verwaltungsstrafakt von der Erstbehörde vor der Erlassung des Vorstellungsbescheides ohnedies beigeschafft worden war und die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ausdrücklich auf ihr Vorbringen im Verwaltungsstrafverfahren hingewiesen hatte, sodaß es der neuerlichen Vorlage dieses Gutachtens nicht bedurfte. Sollte das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten, welches in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten nicht enthalten ist, in schlüssiger Weise zu dem Ergebnis kommen, daß der Beschwerdeführerin die Durchführung der Atemluftuntersuchung unmöglich war, wird die belangte Behörde für allfällige gegenteilige Sachverhaltsfeststellungen ein Gutachten ihres ärztlichen Amtssachverständigen zu dieser Frage einzuholen haben.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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