VwGH 98/09/0048

VwGH98/09/00481.7.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Jasmin Krstic in Wien, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 14. Jänner 1998, GZ. 10/13115/837 698, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines, zu Recht erkannt:

Normen

31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1 lita;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art11;
61985CJ0316 CPAS Courcelles / Lebon VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litb idF 1997/I/078;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 1997/I/078;
AuslBG §15 Abs1 Z5;
AuslBG §15 Abs2;
EURallg;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1 lita;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art11;
61985CJ0316 CPAS Courcelles / Lebon VORAB;
AuslBG §1 Abs2 litb idF 1997/I/078;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 1997/I/078;
AuslBG §15 Abs1 Z5;
AuslBG §15 Abs2;
EURallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein "jugoslawischer" Staatsbürger, beantragte am 25. November 1997 die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG. Die Behörde erster Instanz lehnte den Antrag ab, weil der Beschwerdeführer am 10. Juli 1994 sein 21. Lebensjahr vollendet habe. Er sei zu diesem Zeitpunkt in einem laufenden Dienstverhältnis gemäß § 2 Abs. 2 lit. l AuslBG gestanden. Dieses Dienstverhältnis sei per 8. März 1995 gelöst worden. Die Anspruchsvoraussetzung der Unterhaltsgewährung durch den österreichischen Elternteil sei daher nicht gegeben. In der dagegen erhobenen Berufung vertrat der Beschwerdeführer im wesentlichen die Ansicht, durch die Auflösung seines Dienstverhältnisses per 8. März 1995 und anschließender Ableistung des Militärdienstes sei gemäß § 140 ABGB die Unterhaltsverpflichtung seiner Eltern wegen des eingetretenen Mangels der Selbsterhaltungsfähigkeit wieder aufgelebt, weshalb er die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG erfülle.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14. Jänner 1998 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie begründete den Bescheid damit, daß für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG ausnahmslos maßgeblich sei, daß der Beschwerdeführer nach Vollendung des 21. Lebensjahres bis zur Beendigung der Unterhaltsgewährung wegen der Staatsbürgerschaft eines Elternteiles nicht dem Geltungsbereich des AuslBG unterlegen sei. Der Beschwerdeführer sei vom 1. Mai 1992 bis 8. März 1995 mit einer Unterbrechung von vier Monaten in einem Dienstverhältnis in Vollbeschäftigung gestanden. Daher habe zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres, dem 10. Juli 1994, keine Unterhaltsverpflichtung seines Vaters gemäß § 140 ABGB bestanden. Der Beschwerdeführer sei mangels erforderlicher Unterhaltsgewährung durch einen österreichischen Staatsbürger nicht gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG von der Anwendung des AuslBG ausgenommen gewesen, wodurch das Erfordernis des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG zur Ausstellung eines Befreiungsscheines nicht gegeben sei. Eine allenfalls nach Vollendung des 21. Lebensjahres wieder auflebende Unterhaltsverpflichtung durch einen Elternteil, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, könne nicht die Anwendung des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG begründen. Dem Berufungsvorbringen, es sei dem Beschwerdeführer aufgrund der Arbeitsmarktsituation sowie Überschreitung der Bundeshöchstzahl nicht möglich, einer erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, hielt die belangte Behörde entgegen, daß die Bundeshöchstzahl derzeit nicht überschritten sei und selbst bei deren Überschreitung aufgrund der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 9. September 1997, BGBl. II Nr. 256/1997

(Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung), für integrierte Ausländer, die seit mindestens acht Jahren vor der Antragstellung im Bundesgebiet gemäß dem FrG 1997 niedergelassen seien, was wie im Ermittlungsverfahren erhoben auf den Beschwerdeführer zutreffe, Beschäftigungsbewilligungen erteilt würden. Dem Beschwerdeführer sei der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt daher nicht verwehrt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, mit der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 (AuslBG), lauten:

"§ 1. (2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf ...

lit. l, Ausländer, die Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, sowie Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) österreichischer Staatsbürger, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der österreichische Staatsbürger Unterhalt gewährt, sofern sie über einen Aufenthaltstitel gemäß dem Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75/1997, verfügen.

§ 15. (1) Einem Ausländer ist auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn ...

5. der Ausländer das 21. Lebensjahr vollendet hat und bis zur Erreichung des 21. Lebensjahres oder darüber hinaus bis zur Beendigung der Unterhaltsgewährung wegen der Staatsbürgerschaft eines Elternteiles nicht dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterlegen ist, wenn er sich während der letzten fünf Jahre mindestens zweieinhalb Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat.

(2) Der Lauf der Fristen nach Abs. 1 wird durch Zeiten, während derer der Ausländer in seinem Heimatstaat den Wehrdienst oder den Wehrersatzdienst abgeleistet hat, gehemmt."

§ 15 Abs. 1 Z. 5 enthält somit zwei getrennte Tatbestände. Er umfaßt einerseits jene Ausländer, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und bis zur Erreichung dieses Lebensjahres der Ausnahme des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG unterlagen, und andererseits jene Ausländer, welche das 21. Lebensjahr vollendet haben und über dieses Lebensjahr hinaus bis zur Beendigung der Unterhaltsgewährung der Ausnahme des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG unterlegen sind. Für beide Tatbestände gilt das Erfordernis, daß sich der Ausländer während der letzten fünf Jahre mindestens zweieinhalb Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat. Nach der Absicht des Gesetzgebers wurde im § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG in Angleichung an die Z. 3 und 4 dieser Gesetzesstelle für einen Ausländer der zweiten Generation, der vorwiegend aus Altersgründen dem AuslBG unterliegt und in Österreich integriert ist, ermöglicht, mit einem Befreiungsschein die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu bewahren.

§ 1 Abs. 2 lit. l AuslBG wurde mit dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 475/1992 erlassen, um angesichts des (unmittelbar anwendbaren) Art. 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 eine "Gleichstellung der Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger mit jenen von EWR-Staatsangehörigen" zu erzielen (vgl. Vorblatt und Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum genannten Bundesgesetz 489 BlgNR 18. GP). Mit der in § 1 Abs. 2 lit. l enthaltenen Formulierung "Kinder ..., die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der österreichische Staatsbürger Unterhalt gewährt", entspricht die Bestimmung nahezu wörtlich Art. 11 der genannten Verordnung. Daraus muß der Schluß gezogen werden, daß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG insoferne auch dieselbe Bedeutung beizumessen ist, wie der genannten Vorschrift des Gemeinschaftsrechts. Die Wortfolge betreffend bestimmte Verwandte, "die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird" ist auch in Art. 10 Abs. 1 lit. a der Verordnung Nr. 1612/68 enthalten. Zu deren Auslegung hat der Europäische Gerichtshof entschieden, daß die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, keinen Unterhaltsanspruch voraussetzt und sich aus einer tatsächlichen Situation ergibt, ...,"ohne daß es erforderlich wäre, die Gründe für die Inanspruchnahme dieser Unterstützung zu ermitteln und sich zu fragen, ob der Betroffene in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit zu bestreiten (Urteil vom 18. Juni 1987 in der Rechtssache CPAS Courcelles/Lebon, C-316/85 , Slg 1987, 2832, Randnr. 21 und 22). Die Feststellung des Gerichtshofes, es werde ein Unterhaltsanspruch nicht vorausgesetzt, ist aber nur so zu verstehen, daß ein solcher Anspruch nicht notwendig ist; dazu, ob er hinreichend sein kann, wurde jedoch nichts gesagt. Nicht mitentschieden wurde also über die Situation, in der trotz bestehenden Anspruchs keine Unterhaltsleistungen erbracht werden; daran dürfen die Rechte des Angehörigen nicht scheitern (vgl. dazu Wölker, Artikel 48, in: Ehlermann/Bieber, Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblattausgabe I A 27, Rz 71). Dieses Verständnis ist auch dem in § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG normierten Begriff der "Unterhaltsgewährung" zugrundezulegen.

Im konkreten Fall ist die belangte Behörde in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers davon ausgegangen, daß der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger ist (seit 9. September 1987). Die belangte Behörde hat auch nicht die im letzten Halbsatz des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG genannten zeitlichen Voraussetzungen im Falle des Beschwerdeführers verneint. Aufgrund der von der belangten Behörde bestätigten Tätigkeit des Beschwerdeführers bei der DDSG Donaureisen GmbH vom 1. Mai 1992 bis 8. März 1995 (lediglich mit einer Unterbrechung von vier Monaten) und dem im Verwaltungsverfahren vorgebrachten anschließenden Militärdienst (19. März 1995 bis 18. März 1996) steht die Erfüllung der zeitlichen und auch örtlichen Erfordernisse des letzten Halbsatzes des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG im Hinblick auf § 15 Abs. 2 AuslBG nicht in Frage.

Der belangten Behörde ist zunächst dahingehend Recht zu geben, daß dem Beschwerdeführer jedenfalls seinen eigenen Angaben zufolge ab Antritt seiner Vollbeschäftigung am 1. Mai 1992 kein Unterhalt durch seinen österreichischen Vater mehr gewährt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer noch nicht 21 Jahre alt, weshalb er gemäß § 1 Abs. 2 lit. l erster Tatbestand AuslBG als Kind eines österreichischen Staatsbürgers, das noch nicht 21 Jahre alt war, weiterhin dem AuslBG nicht unterlag. Diese Stellung ging jedoch mit dem Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres (10. Juli 1994) verloren. Der Beschwerdeführer unterlag daher ab diesem Zeitpunkt dem AuslBG. Daß dem Beschwerdeführer die nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG erforderliche aufenthaltsrechtliche Stellung zukam, wird von der belangten Behörde zwar nicht festgestellt, aber offensichtlich bejaht.

Die belangte Behörde verkennt jedoch die Rechtslage, wenn sie davon ausgehend das Recht als endgültig beendet ansah, gemäß § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG einen Befreiungsschein erhalten zu können. Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG (..."oder denen der österreichische Staatsbürger Unterhalt gewährt") spricht eindeutig dafür, daß die vorübergehende Einstellung der Unterhaltsgewährung an das (auch volljährige Kind) aufgrund wirtschaftlicher Eigenständigkeit für die Stellung des "Kindes" nicht nachteilig ist, wenn die Unterhaltsgewährung (später) wieder aufgenommen wird (vgl. Generalanwalt Lenz, S. 2824, und die Kommission, S. 2816, im oben zitierten Fall CPAS Courcelles/Lebon, sowie Wölker, a.a.O., Rz 71). Bei Wiederaufnahme der Unterhaltsgewährung - wobei als Untergrenze eine fortgesetzte und regelmäßige Leistung in einem Umfang zu verlangen ist, der es ermöglicht, den wesentlichen Teil des Lebensunterhaltes zu decken - unterliegt das ausländische Kind eines österreichischen Staatsbürgers erneut nicht den Bestimmungen des AuslBG. Der Beschwerdeführer weist auch zutreffend darauf hin, daß der zweite Tatbestand des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG keine Beendigungsklausel enthält. Dem Zweck der Bewahrung der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt für die in Österreich integrierten Ausländer der zweiten Generation würde es zuwiderlaufen, wenn ihnen bei Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit nach dem 21. Lebensjahr und der hierauf erneuten Unterhaltsgewährung seitens des österreichischen Elternteiles nach Beendigung dieser Unterhaltsgewährung die Erlangung eines Befreiungsscheines verwehrt bliebe.

Der Beschwerdeführer hat bereits im Verwaltungsverfahren dargetan, daß ihm nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und Ableistung des Militärdienstes von seinen Eltern (wieder) Unterhalt gewährt worden sei. Da die belangte Behörde Feststellungen dazu unterließ, in welchem Umfang Unterhalt durch den Vater (einen österreichischen Staatsbürger) gewährt wurde, ist nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführer erneut unter den zweiten Tatbestand des § 1 Abs. 2

lit. l AuslBG fiel, sodaß er nach dem zweiten Tatbestand des § 15 Abs. 1 Z. 5 AuslBG Anspruch auf Erteilung eines Befreiungsscheines hätte.

Dieser (sekundäre) Verfahrensmangel beruht auf der Verkennung der Rechtslage. Der angefochtene Bescheid war daher wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren hinsichtlich der "Beilagengebühr" war abzuweisen, weil neben der pauschalierten Gebühr des § 24 Abs. 3 VwGG eine gesonderte Vergebührung der Beilagen nicht erforderlich ist.

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