VwGH 98/01/0528

VwGH98/01/052830.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Schick, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des am 26. Februar 1972 geborenen A B in B, vertreten durch Dr. Karl Mayer, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser Franz-Joseph-Ring 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Juli 1998, Zl. 202.365/0-III/07/98, betreffend 1.) Asylgewährung und 2.) Feststellung nach § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminster für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung seines Ausspruches betreffend Asylgewährung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in Ansehung seines Ausspruches nach § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein albanischer Staatsangehöriger, stellte am 1. August 1997 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26. August 1997 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland "wegen der Blutrache" verlassen. Im Zuge einer im Jahre 1991 durchgeführten Landreform habe seine in Peshkopi wohnhafte Familie eineinhalb Hektar Grund erhalten, auf dem jedoch die Familie P. ein Haus gebaut habe. Seine Familie habe die Familie P. aufgefordert, das Grundstück zu bezahlen oder zu verlassen. Da die Familie P. keine der beiden Möglichkeiten in Betracht gezogen habe, habe sein Cousin zwei Familienmitglieder der Familie P. ermordet und dadurch im Jahre 1993 die Blutrache ausgelöst. Sein Cousin sei wegen des Doppelmordes zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt worden, sei aber im Zuge der Unruhen im Jahre 1997 aus dem Gefängnis entkommen und habe in der Folge einen Bombenanschlag in Peshkopi verübt, bei dem 17 Personen getötet und 60 Personen verletzt worden seien. Ende Jänner 1995 sei aus einem PKW mit einem Maschinengewehr auf das Haus der Familie des Beschwerdeführers geschossen worden, wobei der Beschwerdeführer glaube, dass die Täter Angehörige der Familie P. gewesen seien, und diese beabsichtigt hätten, Rache zu nehmen. Auf Grund dieser Vorfälle habe er Albanien verlassen. In einer ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme am 5. Februar 1998 führte der Beschwerdeführer zusätzlich aus, dass sein Leben im Falle seiner Rückkehr nach Albanien auch von staatlicher Seite gefährdet wäre, da er die von ihm übernommene Verpflichtung für fünf Jahre als Polizist tätig zu sein, nicht eingehalten und seinen diesbezüglichen Eid gebrochen habe, sodass er wegen Vertragsbruches gemäß Art. 145 des Militärgesetzes mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden würde.

Mit Bescheid vom 2. März 1998 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach aus, dass gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Albanien zulässig sei. Begründend wurde nach detaillierter Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers ausgeführt, die Behörde gehe davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers "den Anforderungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit genüge tun, und den Tatsachen entsprechen" und der Beschwerdeführer Albanien aus den von ihm angeführten Gründen verlassen habe. Zwar gebe es in Albanien Blutrache, doch stelle die von den Angehörigen der Opfer vollzogene Blutrache in Albanien eine strafbare Handlung dar, die von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden bei Kenntnis verfolgt und geahndet werden würde, sodass es nicht glaubhaft sei, dass dem Beschwerdeführer in Albanien Verfolgung drohe.

In seiner dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer erneut darauf hin, dass er in seinem Heimatland die Blutrache zu fürchten habe und die albanischen Behörden weder willens noch fähig seien, ihm Schutz zu gewähren. Die "Sippenhaftungsblutrache" werde von den Behörden seines Heimatstaates bei Kenntnis nicht verfolgt und geahndet.

Im Berufungsverfahren holte der unabhängige Bundesasylsenat im Wege des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten eine Stellungnahme der Österreichischen Botschaft in Tirana zur Frage ein, ob die albanischen Behörden die Blutrache strafrechtlich verfolgen oder diese, trotz Kenntnis, dulden bzw. ob Personen, die von der Blutrache bedroht seien, sich mit der Bitte um Hilfe an die albanischen Behörden wenden könnten, oder ob ihnen diese Hilfe verweigert werden würde. Basierend auf einer Stellungnahme der Österreichischen Botschaft in Tirana vom 6. Mai 1998 hielt der unabhängige Bundesasylsenat dem Beschwerdeführer vor, es könne allgemein festgestellt werden, dass die Ausübung der Blutrache nach dem "Kanun" nicht zwingend vorgeschrieben sei. Es gebe traditionell die Möglichkeit einer Aussöhnung zwischen den Familien unter dem Ehrenschutz geachteter Clanhäupter oder auch religiöser Führer, meistens in Form einer Bußzeremonie und Bußzahlung durch den Täter. Allerdings stehe solchen Versöhnungen oft, wenn nicht meistens, Intransigenz und/oder willkürliche Auslegung des Kanun seitens der Streitparteien bzw. einzelner Familienmitglieder entgegen. Weiters könne festgestellt werden, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Gefährdung durch Blutrache durchaus im Bereich des Möglichen liege, da eine regelmäßige Suche im gesamten Staatsgebiet nicht oft vorkomme. Wie weit Blutrache landesweit - oder auch über die Landesgrenzen hinweg - ausgeübt werde, hänge jedoch in erster Linie von der Schwere des Falles und den Ressourcen der betroffenen Familien ab. Schließlich könne weiters festgestellt werden, dass die Blutrache von den albanischen Behörden generell als Verbrechen geahndet werde und Schuldige generell auch verfolgt werden würden. Lediglich in bestimmten Regionen des Landes, vor allem im Bezirk Tropoja im Norden, aber auch in anderen ländlichen oder Gebirgsregionen, habe die Polizei jedoch kein Interesse an einer Verfolgung, da die Polizeikräfte entweder über ihre Familienverbindungen selbst in Fehden involviert seien oder aus zum Teil begründeter Furcht vor mächtigen Familienclans nichts unternehmen würden.

Der Beschwerdeführer nahm zu diesem Vorhalt keine Stellung.

Ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 22. Juli 1998 gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass gemäß § 8 AsylG iVm § 57 des Fremdengesetzes (FrG) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Albanien zulässig sei. Begründend führte der unabhängige Bundesasylsenat aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers anlässlich seiner Ersteinvernahme sei im Bescheid der Erstbehörde richtig und vollständig wiedergegeben worden, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des Berufungsbescheides erhoben werde. Nach Wiedergabe der ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers, des Berufungsvorbringens, des auf dem Bericht der österreichischen Botschaft in Tirana basierenden Vorhaltes sowie einer aus Textbausteinen zusammengesetzten Darstellung der maßgeblichen Rechtsfrage führte der unabhängige Bundesasylsenat im Wesentlichen weiter aus, auf Grund der im Wege der Österreichischen Botschaft Tirana durchgeführten Erhebungen stehe fest, dass die Blutrache von den albanischen Behörden generell als Verbrechen geahndet und Schuldige auch generell verfolgt werden würden, sodass nicht davon gesprochen werden könne, dass die Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers sich weigern würden, den von Blutrache betroffenen Personen Schutz zu gewähren. Daran vermöge auch der Umstand, dass in manchen Regionen Albaniens, insbesondere im Bezirk Tropoja im Norden, aber auch in anderen ländlichen oder Gebirgsregionen, die Polizeibehörden kein Interesse an der Verfolgung von Straftätern haben würden, nichts zu ändern, da hiebei die Situation im gesamten Staatsgebiet des Heimatlandes des Beschwerdeführers zu betrachten sei. Eine solche Gesamtbetrachtung ergebe, dass der Beschwerdeführer innerhalb seines Heimatstaates Schutz vor privater Bedrohung finden könne. Der Beschwerdeführer sei daher nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 7 AsylG lautet:

"Die Behörde hat Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt."

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256 mwN).

Die belangte Behörde hat, ebenso wie die Erstbehörde, die Angaben des Beschwerdeführers zu den Gewalttaten seines Cousins nicht für unglaubwürdig erklärt. Sie stützt den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen auf die Ausführungen der Österreichischen Botschaft in Tirana vom 6. Mai 1998, aus denen sich ihrer Auffassung nach ergibt, dass - im Rahmen einer Gesamtbetrachtung - der Beschwerdeführer innerhalb seines Heimatstaates Schutz vor privater Bedrohung finden könne. Allerdings schließen die Feststellungen der Botschaft, welche im übrigen ihre eigenen Erkenntnisquellen nicht offengelegt hat, weder aus, dass auch in Peshkopi Blutrache geübt werden könnte, noch, dass Personen, die im Rahmen der Blutrache getötet werden sollen, im gesamten Staatsgebiet gesucht werden. Seitens der Botschaft wird nur berichtet, dass es in erster Linie "von der Schwere des Falles und den Ressourcen der betroffenen Familie" abhänge, inwieweit Blutrache landesweit (oder auch über die Landesgrenzen hinweg) geübt werde, dass eine regelmäßige Suche im gesamten Staatsgebiet (oder auch weltweit) daher "nicht allzu oft" vorkommen dürfte, aber "durchaus im Bereich des Möglichen" liege. Angesichts des dem Bescheid zu Grunde gelegten Vorbringens des Beschwerdeführers über die außerordentlichen Gewalttaten seines Cousins, der danach mehrere Menschen, und zwar nicht nur Angehörige einer Familie, getötet hat, reichen die allgemeinen und, wie dargelegt, ihrerseits relativierenden Angaben der Österreichischen Botschaft in Tirana, die sich die belangte Behörde zu eigen macht, nicht aus, den Schluss zu rechtfertigen, die albanischen Behörden würden - entgegen dem ?erufungsvorbringen des Beschwerdeführers - gegen die Ausübung der Blutrache in einer Weise vorgehen, dass von staatlicher Schutzgewährung gesprochen werden kann. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem relevanten Begründungsmangel behaftet.

Nach der nunmehr bereits ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567) wäre die belangte Behörde angesichts neuer Feststellungen im Berufungsbescheid im übrigen verpflichtet gewesen, gemäß § 67d AVG im Zusammenhang mit Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG vor der Bescheiderlassung eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Der angefochtenen Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, in Ansehung seines Ausspruches nach § 8 AsylG aber gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566) aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Jänner 2001

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