Normen
AsylG 1968 §1;
AsylG 1968 §1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 2. Mai 1992 (nach Angaben gegenüber der Meldebehörde offenbar schon am 25. April 1992) in das Bundesgebiet ein und beantragte am 11. Mai 1992 Asyl. Seine erste Einvernahme im Asylverfahren fand - nach Aufhebung eines ersten abweisenden Bescheides vom 7. September 1992 durch Berufungsvorentscheidung der Sicherheitsdirektion Wien vom 5. September 1994 - am 3. November 1994 statt. Ihr Gegenstand waren im Wesentlichen nur die Gründe, aus denen der Beschwerdeführer eine Ladung im August 1992 nicht befolgt hatte. Dabei kam auch die zweimalige Verlängerung des türkischen Reisepasses des Beschwerdeführers zur Sprache.
Nachdem der Beschwerdeführer eine Ladung zur niederschriftlichen Einvernahme am 17. November 1994 nicht befolgt hatte, wurde sein Asylantrag mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 21. November 1994 gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 des Asylgesetzes 1991 "abgewiesen". Die Berufung dagegen wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Jänner 1995 abgewiesen. Diesen Bescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. Mai 1996, Zl. 95/20/0113, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Mit dem Ersatzbescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Oktober 1996 wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 21. November 1994 ersatzlos behoben.
Am 15. November 1996 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen befragt. Er gab an, er sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und die Kurden würden in der Türkei immer mehr verfolgt. Der Beschwerdeführer habe seinerzeit der PKK beitreten wollen, seine Familie sei aber dagegen gewesen. Er habe dann beschlossen, die Türkei zu verlassen, um vom Ausland aus besser die PKK unterstützen zu können. Dies sei der Grund für seine Ausreise aus der Türkei im April 1992 gewesen. Der Beschwerdeführer sei nach Österreich gekommen, da hier sein Bruder lebe. Er habe hier arbeiten wollen, um mit dem verdienten Geld dann die PKK oder andere kurdische Organisationen unterstützen zu können. Es sei allgemein bekannt, dass die Kurden in der Türkei unterdrückt würden, aus diesem Grund wolle der Beschwerdeführer nicht in die Türkei zurückkehren. Sein Cousin sei PKK-Kämpfer gewesen und vor etwa zwei Monaten bei einem Schusswechsel mit Soldaten getötet worden. Der Beschwerdeführer lebe seit mehr als vier Jahren in Österreich, habe hier keine Probleme gehabt und wolle hier als freier Kurde weiterhin leben. Die Kurden kämpften für ihre Rechte, sie hätten keine andere Möglichkeit. Bei einer Rückkehr in die Türkei würde der Beschwerdeführer so wie die anderen Kurden die Verfolgung spüren. Auf den Vorhalt, ihm sei am 13. Mai 1994 von der türkischen Botschaft in Wien sein türkischer Reisepass verlängert worden und er habe sich dadurch wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt, antwortete der Beschwerdeführer, die österreichische Polizei habe ihn aufgefordert, den Reisepass verlängern zu lassen. Nach dem neuerlichen Ablauf der Gültigkeitsdauer am 22. September 1996 habe er diese nicht mehr verlängern lassen.
Mit Bescheid vom 18. November 1996 wies die Sicherheitsdirektion Wien den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 AsylG 1991 ab. Dieser Bescheid wurde aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Jänner 1997 wegen Anwendung des falschen Gesetzes ersatzlos behoben.
Mit Bescheid vom 27. Jänner 1997 stellte die Sicherheitsdirektion Wien gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, (im Folgenden: AsylG 1968) fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling.
In der Begründung wurde ausgeführt, die Angaben des Beschwerdeführers würden grundsätzlich für wahr gehalten. Die allgemeine Situation der kurdischen Bevölkerung in der Türkei sei "für sich allein" aber kein ausreichender Asylgrund. Dass der Cousin des Beschwerdeführers (1996) als PKK-Kämpfer getötet worden sei, betreffe nicht unmittelbar den Beschwerdeführer und könne den gewünschten Verfahrensausgang daher nicht bewirken. Darüber hinaus liege "von vornherein ein Ausschließungsgrund" nach Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: FlKonv) vor, weil der Beschwerdeführer am 13. Mai 1994 bei der türkischen Botschaft in Wien die Gültigkeitsdauer seines Reisepasses habe verlängern lassen. Damit habe er sich wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt, wobei jeglicher Hinweis darauf fehle, dass dies etwa nicht freiwillig geschehen sei.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer einleitend vor, er mache die Gruppenverfolgung der Angehörigen der kurdischen Minderheit in der Türkei geltend. Eine Erhöhung der Gefährdung des Beschwerdeführers sei weiters dadurch gegeben, dass er sich "für die kurdische Sache im Rahmen des KIB (kurdisches Informationsbüro) in Österreich stark gemacht" habe. Der türkische Geheimdienst sei über derartige Aktivitäten bestens informiert, weshalb der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Türkei "unverzüglich bereits bei der Einreise festgenommen, in der Folge gefoltert und unter Umständen sogar umgebracht" würde. Zum Beweis hiefür beantragte der Beschwerdeführer eine Anfrage bei der Staatspolizei. Es folgte eine ausführliche Wiedergabe von Inhalten verschiedener Publikationen über die Verfolgung der Angehörigen der kurdischen Minderheit in der Türkei. In einem weiteren Abschnitt der Berufung (deren Seiten 11 und 12) nahm der Beschwerdeführer zur Ausstellung (gemeint: Verlängerung der Gültigkeitsdauer) des Reisepasses durch die türkischen Behörden Stellung, wobei er im Wesentlichen vortrug, die Inanspruchnahme des Reisepasses zur Beantragung eines Sichtvermerks sei ihm durch das rechtswidrige Verhalten der Asylbehörde, ihm die Ausstellung einer Bescheinigung über seine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG (1968) zu verweigern, aufgezwungen worden. Durch die rechtswidrige und teilweise willkürliche Versagung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung durch die Asylbehörde würden die fremdenpolizeilichen Behörden in die Lage versetzt, auf Asylwerber wie den Beschwerdeführer Druck auszuüben, den türkischen Reisepass zur Beantragung eines Sichtvermerkes zu verwenden, was daher nicht freiwillig geschehe. Schließlich enthielt die Berufung noch eine Abhandlung über Art. 8 des türkischen "Antiterrorgesetzes" in Verbindung mit der Behauptung, im Falle einer "Rücklieferung" des Beschwerdeführers in die Türkei würde evident, dass er in Österreich Schutz vor politischer Verfolgung gesucht habe, womit "bewiesen" wäre, dass er "Separatist" sei und als solcher nach dem erwähnten Gesetz "behandelt werden" müsse. Hiezu stellte der Beschwerdeführer Beweisanträge.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie übernahm "die Sachverhaltsfeststellung und die zutreffende rechtliche Beurteilung" des erstinstanzlichen Bescheides und erhob "die Ausführungen von dessen Begründung vollständig zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides". Daran anschließend wurde zunächst - im Wesentlichen nur wiederholend - dargelegt, die allgemeine Situation der kurdischen Volksgruppe in der Türkei und die "angebliche" Tötung des Cousins des Beschwerdeführers bei einem Schusswechsel mit Soldaten seien keine ausreichenden Gründe für eine Asylgewährung. Darüber hinaus führte die belangte Behörde aus, den zu den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers "in Widerspruch stehenden und gesteigerten Ausführungen" in seiner Berufung, "insbesondere" der Behauptung, sich im Rahmen des kurdischen Informationsbüros für die kurdische Sache eingesetzt zu haben und schon deshalb im Fall einer Rückkehr Verfolgung befürchten zu müssen, müsse die Glaubwürdigkeit versagt bleiben, weil der Beschwerdeführer dies bei seiner Einvernahme "trotz eingehender Befragung mit keinem Wort erwähnt" habe, "zumal im Besonderen die Parteienvernehmung eben das zentrale Bescheinigungsmittel im Asylverfahren" darstelle. Zu der vom Beschwerdeführer beantragten Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines Reisepasses hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, abgesehen von einer teilweisen Wiederholung der Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, nur entgegen, es sei "jedenfalls" die Behauptung, die österreichische Polizei habe den Beschwerdeführer aufgefordert, den Reisepass verlängern zu lassen, "als in keiner Weise plausibel anzusehen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Da im vorliegenden Fall noch das AsylG 1968 anzuwenden war, ist der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten.
Gemäß § 1 AsylG 1968 ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, dass er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A FlKonv erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 1 FlKonv wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie "sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat".
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, er habe die Türkei verlassen, "um vom Ausland aus besser die PKK unterstützen zu können". Dies sei 1992 der Grund für seine Ausreise gewesen. In Österreich habe er arbeiten wollen, um mit dem verdienten Geld die PKK oder andere kurdische Organisationen unterstützen zu können. Schon diese - von den Behörden als glaubwürdig erachteten - Angaben des Beschwerdeführers bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme schließen es aus, die Frage der ihm in seinem Heimatstaat drohenden Verfolgung bei der Würdigung der Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens auf die Beurteilung "allein" der "allgemeinen Situation, in der sich die kurdische Volksgruppe in der Türkei befindet," zu reduzieren, wie dies sowohl im erstinstanzlichen Bescheid als auch im angefochtenen Bescheid geschehen ist. Die - als glaubwürdig erachteten - Angaben des Beschwerdeführers über seine Ausreise zu dem Zweck, die PKK zu unterstützen, sind aber auch kein geeigneter Ausgangspunkt für die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die in der Berufung nachgetragene Behauptung einer Tätigkeit für das kurdische Informationsbüro in Österreich lasse sich in Anwendung des Erfahrungssatzes, dass bei der niederschriftlichen Einvernahme die der Wahrheit am nächsten kommenden Angaben gemacht würden, als zu diesen Angaben "in Widerspruch stehend und gesteigert" qualifizieren und es sei ihr die Glaubwürdigkeit schon deshalb zu versagen, weil sie bei der Einvernahme noch nicht erhoben worden sei. Diese Argumentation kommt - auch angesichts der stillschweigenden Übergehung der in der Berufung gestellten Beweisanträge - der Annahme einer grundsätzlichen Unbeachtlichkeit in der Berufung vorgetragener Neuerungen nahe und lässt im vorliegenden Fall auch den konkreten Sachzusammenhang zwischen dem vom Beschwerdeführer angegebenen Ausreisegrund und der in der Berufung behaupteten Exiltätigkeit außer Acht. Die belangte Behörde hätte ihrer Beurteilung der geltend gemachten Verfolgungsgefahr schon aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens nicht nur die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur kurdischen Volksgruppe, sondern seine aktive Unterstützung der PKK zugrunde legen müssen, und in Bezug auf die in der Berufung behauptete Tätigkeit für das kurdische Informationsbüro in Österreich und die allfälligen Auswirkungen einer solchen Tätigkeit auf die Gefahr einer politischen Verfolgung des Beschwerdeführers durch seinen Heimatstaat in eine konkrete, sich nicht in der formelhaften Abwehr jedweden neuen Vorbringens erschöpfende Prüfung des Sachverhalts eintreten müssen. Die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe dargetan, ist im angefochtenen Bescheid daher nicht ausreichend begründet. Hinzu kommt noch, dass die belangte Behörde die - hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit hier nicht zu beurteilende - Behauptung des Beschwerdeführers, er würde schon wegen der Asylantragstellung in Österreich bei einer Rückkehr in seine Heimat einer Bestrafung nach dem "Antiterrorgesetz" unterzogen, überhaupt nicht in Behandlung genommen hat.
Zur Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines türkischen Reisepasses hatte der Beschwerdeführer schon bei der niederschriftlichen Einvernahme am 15. November 1996 angegeben, die "österreichische Polizei" habe ihn dazu "aufgefordert". Der erstinstanzliche Bescheid enthielt hierüber keine Feststellung, wohl aber die Aussage, "im Rahmen der Beweiswürdigung" würden die Angaben des Beschwerdeführers "grundsätzlich für wahr gehalten". Demgegenüber meint die belangte Behörde - nach einer ausdrücklichen Übernahme der gesamten Begründung des erstinstanzlichen Bescheides - in diesem Zusammenhang, die Behauptung des Beschwerdeführers, die österreichische Polizei habe ihn aufgefordert, den Reisepass verlängern zu lassen, sei "als in keiner Weise plausibel anzusehen". Das widerspricht der Einstufung des erstinstanzlichen Vorbringens als wahr, ist auch für sich genommen kein nachvollziehbares Argument zur Beweiswürdigung und lässt darüber hinaus jede Auseinandersetzung mit dem in der Berufung zu diesem Thema erstatteten Vorbringen vermissen. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ist daher auch in diesem Punkt mangelhaft.
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf den Ersatz von Stempelmarken gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Verfahrenshilfe bewilligt wurde.
Wien, am 16. September 1999
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