VwGH 97/19/1550

VwGH97/19/155022.10.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der am 3. Jänner 1956 geborenen Ü K, vertreten durch Dr. Alexander Kragora, Rechtsanwalt in 1010 Wien, An-der-Hülben 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juli 1997, Zl. 122.619/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §6 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 20. Dezember 1994 durch ihren Rechtsvertreter im Wege der österreichischen Botschaft Pressburg die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem namentlich angeführten Ehegatten, nach den Antragsangaben einem türkischen Staatsangehörigen. In der Rubrik "in Österreich verfügbare eigene Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf die Dauer des Aufenthaltes" wird auf das Einkommen des Ehegatten in Höhe von S 14.000,-- netto verwiesen. Aus einer dem Antrag beigelegten Bestätigung eines näher bezeichneten Unternehmens vom 19. Oktober 1994 geht hervor, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin in diesem Unternehmen als Kraftfahrer mit einem Netto-Monatslohn von ca. S 14.000,-- beschäftigt sei.

Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf namens des Landeshauptmann von Niederösterreich wies mit Bescheid vom 4. Juni 1997 diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Lebensunterhalt und die Unterkunft der Beschwerdeführerin in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert seien. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe am 25. April 1996 bei der erstinstanzlichen Behörde einen "Verlängerungsantrag betreffend Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung" gestellt, der jedoch mit Bescheid vom 23. Oktober 1996 wegen unbekannten Aufenthaltsortes des Ehegatten der Beschwerdeführerin abgewiesen worden sei. Da die Aufenthaltsbewilligung des Ehegatten der Beschwerdeführerin bereits seit 30. April 1996 abgelaufen und sein derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt sei, müsse die beantragte Bewilligung versagt werden.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung gab die Beschwerdeführerin einerseits den Aufenthaltsort ihres Ehegatten unter Angabe einer näher bezeichneten Anschrift in Wien bekannt, andererseits brachte sie vor, dass ihr Ehegatte auf Grund des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des auf einem zwischen der Europäischen Union und der Türkei abgeschlossenen Assoziationsabkommens gefassten Beschluss 1/80 des Assoziationsrates in Österreich aufenthaltsberechtigt sei und freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis habe. Dies werde schon allein durch die Tatsache untermauert, dass er bereits seit 1980 in Österreich "durchgehend und daher weit mehr als vier Jahre ordnungsgemäß" im Bundesgebiet beschäftigt sei. Er habe daher einen Antrag an das Arbeitsmarktservice für Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft auf "Feststellung nach diesem Abkommen" gestellt. Eine rechtskräftige Entscheidung liege derzeit "bedauerlicherweise" noch nicht vor. Demgegenüber habe er bereits jetzt ein Angebot eines näher bezeichneten Unternehmens, welches sich dazu bereit erklärt habe, ihn jederzeit als Gastfahrer einzustellen (eine diesbezügliche Erklärung war der Berufung angeschossen). Der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin sei daher durch das Einkommen ihres Ehegatten gesichert.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Juli 1997 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3 sowie § 5 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen aus, die Beschwerdeführerin habe als Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit ihrem namentlich angeführten Ehegatten angegeben, welcher verpflichtet sei, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Erhebungen der belangten Behörde hätten ergeben, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin derzeit über keinerlei Berechtigung zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich verfüge. Sein "Antrag auf Feststellung" sei vom Arbeitsmarktservice abgelehnt worden, über seine dagegen eingebrachte Berufung liege noch keine Entscheidung vor. Aus diesem Grund erscheine daher der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin keinesfalls gesichert; es dürfe ihr daher gemäß § 5 Abs. 1 AufG eine Bewilligung nicht erteilt werden. Darüber hinaus hätten Erhebungen der belangten Behörde ergeben, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin derzeit nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsbewilligung bzw. eines Sichtvermerkes sei. Aus diesem Grund könne ihr gemäß § 4 Abs. 3 AufG eine Bewilligung nicht erteilt werden. Auf Grund der Aktenlage stehe fest, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet aufhältig sei. Im Hinblick auf den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK habe der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt, dass § 5 Abs. 1 AufG iVm Art. 8 Abs. 1 MRK verfassungskonform interpretiert werden könne. Dabei habe eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen stattzufinden. Diese Abwägung habe im Fall der Beschwerdeführerin ergeben, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen Priorität einzuräumen gewesen sei, da ihr Lebensunterhalt als nicht gesichert zu betrachten sei. Es sei somit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auf die Unterstützung der Sozialhilfeträger angewiesen wäre. Unter Berücksichtigung der für das Bundesland Niederösterreich bzw. Wien feststehenden Höhe des Mindestunterhaltes müsste der Sozialhilfeträger Geldmittel zur Verfügung stellen. Obige Erwägung bezüglich der Belastung des Sozialhilfeträgers des Bundeslandes Niederösterreich bzw. Wien sei auch im abweislichen Bescheid der Behörde erster Instanz begründet worden und sei ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Ermessensentscheidung der belangten Behörde zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ausgefallen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 1 Abs. 3 Z. 1, § 3 Abs. 1 Z. 2 und § 4 Abs. 3 AufG lauteten:

"§ 1. ...

...

(3) Keine Bewilligung brauchen Fremde, wenn sie

1. auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen;

...

§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

...

2. von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben,

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

...

§ 4. ...

....

(3) Eine Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 ist jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen, wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes, bei der ersten Bewilligung aber höchstens für die Dauer von fünf Jahren."

Art. 6 Abs. 1 ARB lautet:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

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