VwGH 97/18/0251

VwGH97/18/025110.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des A K D, (geb. 10.7.1960), vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stephansplatz 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. Dezember 1996, Zl. St 537/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 6. Dezember 1996 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Angola gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Angola. Seine Identität stehe auf Grund eines als echt zu qualifizierenden Personalausweises fest. In das Bundesgebiet sei der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Ehefrau und zwei Kindern am 4. Juni 1995 über den Flughafen Wien-Schwechat gelangt. Am 6. Juni 1995 habe der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juni 1995 abgewiesen worden sei. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung habe der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 15. April 1996, rechtswirksam erlassen am 22. April 1996, ebenfalls abgewiesen. Die Bezirkshauptmannschaft Baden habe den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 12. Juni 1995 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 und Abs. 3 FrG mit der Wirkung ausgewiesen, dass der Beschwerdeführer mit der Zustellung des Ausweisungsbescheides unverzüglich auszureisen habe. Gleichzeitig sei dem Beschwerdeführer allerdings ein Abschiebungsaufschub bis zum 12. September 1995 erteilt worden, der zuletzt von der Erstbehörde mit Bescheid vom 23. April 1996 bis zu dem Zeitpunkt erteilt worden sei, zu dem die Abschiebung des Beschwerdeführers tatsächlich möglich erscheine, längstens jedoch bis zum 31. März 1997. Im Ausweisungsverfahren habe der Beschwerdeführer den Antrag gemäß § 54 FrG gestellt, wobei die Bezirkshauptmannschaft Baden das Feststellungsverfahren bis zum Vorliegen eines "vollstreckbaren Asylbescheides" ausgesetzt habe. Nachdem nunmehr die Entscheidung im Asylverfahren vorliege, habe die Erstbehörde das Feststellungsverfahren fortgeführt. Vor dieser Behörde habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass die Gründe für den Feststellungsantrag die gleichen wären, die er bereits bei seinen Einvernahmen im Asylverfahren angegeben hätte. Der Beschwerdeführer hätte, wie er am 9. Juni 1995 im Asylverfahren angegeben habe, bis zum Jahr 1992 in Luanda im Haus der Eltern gewohnt. Dann wären bei einem Massaker die Eltern des Beschwerdeführers und seine beiden Geschwister ums Leben gekommen. 1992 wäre er Mitglied der Unita geworden, weil auch sein Vater bereits Mitglied dieser Organisation gewesen wäre. Die Anzahl der Mitglieder dieser Partei könne er nicht nennen. Es handelte sich um eine große Partei, die sich über ganz Angola erstreckte. Der Beschwerdeführer und seine Freunde wären täglich mit einem Wagen ausgefahren und hätten während der Fahrt Flugblätter zu den Häusern geworfen. Das Auto wäre mit einem Megaphon ausgestattet gewesen. Teilweise wäre der Beschwerdeführer aus dem Wagen gestiegen und hätte mit den Leuten gesprochen. Er hätte auch die Leute mit Rufen wie "Wählt Unita!" angefeuert. Auf den Flugblättern wäre nur gestanden "Jonas Savimbi für Unita". Für diese Tätigkeit hätte der Beschwerdeführer ab und zu "ein bißchen Geld" erhalten. Ansonsten wäre er wie sein Vater entlohnt worden, der als Schreibkraft angestellt gewesen wäre. Bei den Wahlen im September 1992 wäre die MPLA als Sieger hervorgegangen. Es wäre in der Folge zu Aufmärschen und Protesten gegen die Wahl gekommen. Als sich der Beschwerdeführer an einem Aufmarsch der Unita beteiligt hätte, hätte er bereits nach kurzer Zeit Schüsse gehört. Irgendwelche Uniformierte wären sofort bewaffnet gegen den Beschwerdeführer und andere vorgegangen. Die Leute wären dann auseinander gelaufen. Am selben Tag wäre es zu einem Überfall auf das Elternhaus des Beschwerdeführers gekommen. Als er in die Nähe seines Elternhauses gekommen wäre, hätten ihm die Leute gesagt, dass er nicht mehr hineingehen sollte, weil seine Eltern umgebracht worden wären. Der Beschwerdeführer hätte sich selbst davon überzeugt und auf dem Rückweg einen Schuss in die linke Wade erlitten. Nach dem Massaker an seinen Eltern und Geschwistern hätte sich der Beschwerdeführer im Untergrund versteckt gehalten und wäre bis Mai 1995 in Uige geblieben. Dann hätte sich der Beschwerdeführer mit der Familie wieder nach Luanda begeben, weil die Lebensverhältnisse in Uige unzumutbar schwer wären. Solange der Beschwerdeführer in Uige aufhältig gewesen wäre, hätte er sich nicht politisch betätigt.

Seine Heimat habe der Beschwerdeführer, wie er ausgeführt habe, nicht wegen der Vorfälle im Jahr 1992 verlassen, sondern der unmittelbare Grund für seine Flucht wäre die Angst um sein Leben gewesen. In Luanda wäre er als Mitglied der Unita und Angehöriger (des Volksstammes) der Uige von irgendwelchen Leuten verfolgt worden. Der Beschwerdeführer hätte in Luanda wieder für die Unita tätig werden wollen. Drei bis fünf Tage nach seiner Ankunft in Luanda, als er auf der Straße herumgegangen wäre, wäre plötzlich ein Jeep stehen geblieben und der Beschwerdeführer wäre von bewaffneten Zivilisten, die Masken getragen hätten, genötigt worden, in den Wagen zu steigen. Er wäre nach langer Fahrt in den Busch gebracht worden und von den Männern genötigt worden, seine Kleider bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Man hätte dem Beschwerdeführer befohlen, die Unita zu verlassen, und ihm gedroht, ihn andernfalls umzubringen. Der Beschwerdeführer wäre in einer Hütte eingesperrt gewesen, aus der er nach zwei Tage hätte fliehen können. Seine Schwiegermutter habe mit Hilfe ihres Sohnes, der ein höherer Offizier im Rang eines Hauptmanns der MPLA wäre, für den Beschwerdeführer und seine Familie die Flucht vorbereitet.

Die Vorfälle des Jahres 1992, die zum Tod seiner Eltern und seiner Geschwister geführt hätten, seien auf den damals in Angola herrschenden Bürgerkrieg zurückzuführen und stellten keine Verfolgung im Sinn der Flüchtlingskonvention dar. Wie der Beschwerdeführer ausgeführt habe, habe er sich dann durch drei Jahre in Uige unbehelligt aufgehalten. Auslösend für ihn, das Land zu verlassen, sei gewesen, dass er von zwei bewaffneten, maskierten Männern überfallen und verschleppt worden wäre. Es liege kein Hinweis darauf vor, dass es sich bei diesen Männern um solche gehandelt habe, die staatlichen Stellen angehört hätten, oder dass ihr Vorgehen von staatlichen Stellen gebilligt worden wäre. An staatliche Stellen, um dort Schutz zu erhalten, habe sich der Beschwerdeführer - folge man seinem Vorbringen - nicht einmal gewendet, sodass auch nicht gesagt werden könne, es würde ihm der Schutz des Staates nicht zuteil werden. Von einer funktionierenden Staatsgewalt könne nach dem im Sommer 1994 unterzeichneten "Lusaka-Protokoll" ausgegangen werden; diesbezüglich könne auf die Darstellung der Situation in Angola im Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juni 1995 verwiesen werden (Seite 6). Wenn in dem vom Beschwerdeführer wörtlich zitierten Jahresbericht 1996 von Amnesty International die Rede davon sei, dass das Waffenstillstandsabkommen wiederholt gebrochen worden wäre und viele Menschen überdies durch Landminen getötet worden wären, so könne daraus noch nicht geschlossen werden, dass eine Staatsgewalt nicht bestünde. Der bezeichnete Jahresbericht spreche beispielsweise mehrfach von den Regierungsstreitkräften. Im Übrigen werde gerade die Unita, also jene Partei, der anzugehören der Beschwerdeführer angebe, für schwere Übergriffe wie vorsätzliche und willkürliche Tötungen verantwortlich gemacht.

Abgesehen davon, dass nicht davon gesprochen werden könne, dass der Beschwerdeführer mit entsprechenden Bescheinigungsmitteln das Bestehen einer gegen ihn gerichteten persönlichen Bedrohung glaubhaft gemacht hätte, sei nicht zu ersehen, dass er - "von Staats wegen" - der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, einer ebensolchen Strafe oder gar der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Dass die Lebensverhältnisse in Angola zumindest in manchen Landesteilen (in Uige sei der Beschwerdeführer, seinen eigenen Angaben zufolge, unbehelligt gewesen) die Gefahr von Überfällen nicht ausschließe, vermöge den Tatbestand des § 37 Abs. 1 FrG nicht zu erfüllen.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei weiters nicht zu entnehmen, dass seine Verschleppung oder Anhaltung durch zwei Tage in einer versperrten Hütte durch Staatsorgane erfolgt oder diesen zuzurechnen wäre. Wie er selber in seiner Berufung ausgeführt habe, wüsste der Beschwerdeführer nicht, welcher Gruppierung diese Männer angehört hätten. Eine der Unita gegnerische Bürgerkriegspartei hätte versucht, den Beschwerdeführer zur Kooperation gegen die Unita zu zwingen. Damit liege aber keine Verfolgung durch staatliche Organe vor, sodass - wie das auch im Asylverfahren festgestellt worden sei - keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Angola aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen - "von Staats wegen", was hinzuzufügen sei - verfolgt würde. Damit sei aber weder ein Tatbestand nach § 37 Abs. 1 noch nach § 37 Abs. 2 FrG gegeben, der die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola als unzulässig erscheinen lasse.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0911, mwH.) Für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ist es erforderlich, dass sich die Gefährdung auf das gesamte Gebiet des vom Antrag umfassten Staates bezieht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 97/18/0593).

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat - wie unter II.1. angesprochen - in seiner Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass drohende Behandlungen oder Verfolgungen gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG, die nicht vom Staat selbst ausgehen oder von diesem gebilligt werden, den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichzuhalten sind, wenn der betreffende Staat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, eine drohende Behandlung oder Verfolgung zu verhindern (vgl. etwa auch das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 96/18/0184).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen einer Feststellung gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 96/21/0480, mwH).

Im vorliegenden Fall lässt sich den Überlegungen der belangten Behörde nicht entnehmen, dass sie das im Verwaltungsverfahren (etwa in seiner Berufung) erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers für unglaubwürdig erachtet hat, dass seine Eltern und seine Geschwister im Jahr 1992 durch Regierungstruppen getötet worden seien, dass er deshalb nach Uige geflohen sei, wo er sich versteckt gehalten habe, und dass es nach seiner Rückkehr nach Luanda im Jahr 1995 zu dem von ihm beschriebenen Vorfall (siehe oben I.1.) gekommen sei. Weiters hat die Behörde die Angabe des Beschwerdeführers, einer der Bürgerkriegsparteien in dem in Rede stehenden Staat anzugehören, nicht in Zweifel gezogen. Wenn die belangte Behörde vor diesem Hintergrund das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich seiner Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG allein deshalb nicht für stichhaltig erachtet hat, weil es sich dabei nicht um eine vom Staat ausgehende Gefahr gehandelt habe, so hat sie nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt, zumal - wie dargelegt - die aus einer Bürgerkriegssituation resultierenden Gefahren bei Fehlen einer ordnenden Staatsgewalt eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG begründen können.

3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. Mai 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte