European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1998:1997150085.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 12.890 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren (Umsatz- und Einkommensteuer 1983 bis 1990) sowie Umsatz- und Gewerbesteuer 1983 bis 1990 und Einkommensteuer 1983 bis 1993 erklärte das Finanzamt mit Bescheid vom 10. April 1996 in Anwendung der Vorschrift des § 275 BAO als zurückgenommen.
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 1996 berief der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid vom 10. April 1996 und beantragte zugleich die Aussetzung der Einhebung hinsichtlich sämtlicher angefochtener Bescheide.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 25. Juni 1995 wies das Finanzamt die Berufung gegen den Bescheid vom 10. April 1996 als unbegründet ab.
Mit Schriftsatz vom 19. Juli 1996, bei der Behörde eingelangt am 23. Juli 1996, beantragte der Beschwerdeführer sodann die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und wiederholte seinen Antrag auf Aussetzung der Einhebung.
Mit Bescheid vom 5. September 1996 wies das Finanzamt den Aussetzungsantrag ab. Zur Begründung führte es aus, dem Antrag auf Aussetzung vom 23. Juli 1996 habe nicht entsprochen werden können, weil die Berufung vom 13. Mai 1996 wenig erfolgversprechend sei.
Gegen diesen Abweisungsbescheid berief der Beschwerdeführer. Es könne vom zuständigen Sachbearbeiter nicht entschieden werden, ob die Berufung wenig erfolgversprechend sei. Da erhebliche Verfahrensfehler gesetzt worden seien, erscheine die Berufung jedenfalls als erfolgversprechend.
Mit Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Berufung gegen den Abweisungsbescheid als unbegründet ab, woraufhin der Beschwerdeführer den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz stellte.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Abweisungsbescheid keine Folge. Zur Begründung führt sie aus, mit der Erledigung der der Aussetzung zugrundeliegenden Berufung sei weder unmittelbar noch mittelbar die Einhebung einer Abgabe verbunden, weil sich diese Berufung gegen den Bescheid über die Zurücknahme einer (gegen Abgabenbescheide gerichteten) Berufung wende. Eine allfällige Stattgabe der Berufung gegen den "Zurücknahmebescheid" vom 10. April 1996 sei mit keiner Herabsetzung von Abgaben verbunden. Zudem setzte die Aussetzung nach § 212a BAO eine Nachforderung voraus; der "Zurücknahmebescheid" habe aber nicht über eine Nachforderung abgesprochen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Aussetzung der Einhebung seien daher nicht gegeben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Durch das Rechtsinstitut der Aussetzung der Einhebung soll sichergestellt werden, daß der Rechtsschutzsuchende nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet wird. Es verlangt nämlich das rechtsstaatliche Prinzip, daß der Berufung ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz zukommt (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1986, G 119/86, und Stoll, BAO-Kommentar, 2265).
Entscheidet das Finanzamt meritorisch mit Berufungsvorentscheidung über die Berufung gegen den Abgabenbescheid, so ist zwar gemäß § 212a Abs. 5 BAO der Ablauf der Aussetzung auszusprechen, die genannte Gesetzesstelle sieht jedoch ausdrücklich eine neuerliche Beantragung der Aussetzung der Einhebung für den Fall der Einbringung eines Antrages auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vor.
Spricht das Finanzamt aber gemäß § 275 BAO bescheidmäßig aus, daß die Berufung - weil ihr anhaftende Mängel nicht beseitigt worden seien - als zurückgenommen gelte, wäre nach Ansicht der belangten Behörde die Aussetzung der Einhebung keinesfalls mehr möglich. Bei diesem Verständnis hätte die Regelung des § 212a BAO die Bedeutung, daß der Berufungswerber im Falle eines Rechtsbehelfes gegen die nicht meritorische negative Berufungserledigung stets und einseitig mit einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsbehelfes belastet wäre. Für diesen Bereich würde daher die Regelung den Anforderungen des rechtsstaatlichen Prinzips nicht entsprechen.
In verfassungskonformer Interpretation geht der Verwaltungsgerichtshof daher davon aus, daß § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens (Berufung gegen den Abgabenbescheid) auch für die Zeit ermöglicht, während der in einem Nebenverfahren geprüft wird, ob die Voraussetzungen einer Berufung vorliegen. Wird im Zusammenhang mit der Berufung gegen einen Bescheid, der die den Gegenstand des Hauptverfahrens bildende Berufung ohne eine meritorische Entscheidung abschließend erledigt, der Antrag auf Aussetzung nach § 212a BAO gestellt, so sind die Voraussetzungen für die Aussetzung unter Mitberücksichtigung der Gegebenheiten des Hauptverfahrens zu prüfen.
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
§ 212a Abs. 1 BAO normiert als Tatbestandsmerkmal ua, daß die Höhe von Abgaben unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt und daß eine von einem Bescheid abhängige Nachforderung vorliegt. Unter Mitberücksichtigung des Hauptverfahrens ist aber die Abhängigkeit der Abgabenhöhe von der Berufungserledigung genauso gegeben wie die Möglichkeit der Nachforderung.
Die belangte Behörde hat, weil sie den Aussetzungsantrag im Instanzenzug deshalb abgewiesen hat, weil kein Zusammenhang zwischen Abgabenhöhe und Berufungserledigung sowie keine Nachforderung gegeben sei, die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. 416/1994
Wien, am 17. Dezember 1998
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