VwGH 97/13/0158

VwGH97/13/015825.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des S in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom 30. Juni 1997, Zl. GA 15-91/1056/14, betreffend Umsatz- und Gewerbesteuer 1983 bis 1985, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §184 Abs1;
BAO §184 Abs2;
BAO §281;
BAO §184 Abs1;
BAO §184 Abs2;
BAO §281;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 39,24 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betrieb in den Streitjahren einen Textilbetrieb und eine Werbeagentur. Außerdem war er als Universitätslektor und Publizist tätig und erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Im Gefolge dreier abgabenbehördlicher Prüfungen für die Jahre 1980 bis 1982 war mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom 2. Oktober 1989 die Einkommen- und Gewerbesteuer für diese Jahre festgesetzt worden. Mit dem hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, 89/13/0259, wurde dieser Bescheid aufgehoben. Hinsichtlich der Umsatzsteuer für diese Jahre war die Entscheidung über die Berufung gemäß § 281 BAO für die Dauer des beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 89/13/0259 anhängigen Verfahrens ausgesetzt worden. Nach dem erwähnten Erkenntnis vom 20. November 1996 wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom 30. Juni 1997 über die Umsatzsteuer 1980 bis 1982 entschieden. Dieser Bescheid wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000, 97/13/0187, aufgehoben.

Während der erwähnten Betriebsprüfungen brachte der Beschwerdeführer mehrere Ansuchen ein, die Abgabefristen für die Steuererklärungen 1983, 1984 und 1985 bis zum Abschluss der Betriebsprüfungen zu verlängern, zuletzt am 27. September 1985 für die Steuererklärungen 1983, am 21. April 1986 für die Steuererklärungen 1984 und am 29. April 1987 für die Steuererklärungen 1985.

Nach Abschluss der Betriebsprüfungen (BP-Berichte vom 11., 12. und 21. Jänner 1988) setzte das Finanzamt mit Bescheiden vom 31. Mai 1990 für die Streitjahre die Umsatzsteuer vorläufig und hinsichtlich des Textilbetriebes die Gewerbesteuer fest. Wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen seien die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt worden.

In der u.a. dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer auf die erwähnten Anträge auf Verlängerung der Frist zur Einreichung der Abgabenerklärungen hin, welche noch unerledigt seien. Somit habe die Abgabenbehörde keine Berechtigung zur Schätzung gehabt, weil keine Frist zur Einreichung der Abgabenerklärungen versäumt worden sei. Der Beschwerdeführer beantragte die Mitteilung der fehlenden Bescheidbegründung u.a. betreffend die Schätzungsbefugnis und die Vorläufigkeitsgründe. "Nebenbei" bemerkte er, dass die Umsätze der betreffenden Jahre dem Finanzamt aus den Umsatzsteuervoranmeldungen bekannt seien, dagegen Einwendungen von der Finanzverwaltung nicht erfolgt seien und die schätzungsweise belasteten Umsatzsteuerjahresbeträge "exorbitant hoch" seien und den vorhandenen und jederzeit überprüfbaren Buchhaltungsunterlagen völlig widersprächen.

In einer Berufungsergänzung vom 23. August 1990 beantragte der Beschwerdeführer die "Festsetzung der Umsatzsteuer in der Höhe der in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen erklärten Umsätze" und mangels Gewerbesteuerpflicht die Herabsetzung der Gewerbesteuer für die Streitjahre auf Null. Die Abgabenbehörde vertrete laut Betriebsprüfung bzw. laut den Umsatz- und Gewerbesteuerbescheiden für die Jahre 1980 bis 1982 die Meinung, dass (für diesen Betrieb) Liebhaberei vorliege.

Mit Bescheiden vom 6. September 1990 wies das Finanzamt die Anträge auf Verlängerung der Frist zur Einreichung der Steuererklärungen "bis zum Abschluss der laufenden Betriebsprüfung" mit der Begründung ab, dass die gegenständlichen Betriebsprüfungen bereits abgeschlossen seien. Gleichzeitig forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer zur Einreichung der Steuererklärungen "bis Ende September d. J." auf.

In einem mit 28. September 1990 datierten Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Verlängerung der Frist zur Einreichung der Steuererklärungen für die Streitjahre und stützte sich auf "neu hinzugekommene wesentliche Gründe", nämlich seine beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 89/13/0259 anhängige Bescheidbeschwerde. Gleichzeitig wies der Beschwerdeführer daraufhin, dass die Finanzlandesdirektion das Berufungsverfahren betreffend die Umsatzsteuer 1980 bis 1982 gemäß § 281 BAO bis zur Beendigung des wegen einer gleichen Rechtsfrage vor dem Verwaltungsgerichtshof zur genannten Zahl schwebenden Beschwerdeverfahrens ausgesetzt habe. Erst nach Klärung der wesentlichen Vorfragen in diesem Verfahren habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit, richtige Abgabenerklärungen zu erstellen.

Mit Bescheid vom 18. März 1991 setzte die belangte Behörde die Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 281 BAO bis zur Beendigung des wegen einer gleichen Rechtsfrage vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 89/13/0259 schwebenden Beschwerdeverfahrens aus.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof mit dem erwähnten Erkenntnis vom 20. November 1996, 89/13/0259, das betreffende Verfahren abgeschlossen hatte, gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Berufung teilweise statt. Da der Beschwerdeführer mangels Reaktion des Finanzamtes auf die genannten Fristverlängerungsansuchen höchstens auf eine Fristverlängerung bis zur Beendigung der Betriebsprüfung habe vertrauen dürfen, sei im Jänner 1988 Fristversäumnis hinsichtlich der Abgabe der Steuererklärungen eingetreten und liege deshalb "der Schätzungsgrund" vor. Betreffend Umsatzsteuer sei das vom Finanzamt gefundene Schätzungsergebnis nicht begründet. Die belangte Behörde ging von den in ihrer Berufungsentscheidung vom gleichen Tag hinsichtlich Umsatzsteuer 1980 bis 1982 angenommenen Umsätzen aus, stufte den Textilbetrieb nicht als Liebhaberei ein und schätzte die Umsätze ausgehend von den Vorjahresumsätzen (1980: 2,074.154 S, 1981: 2,389.890 S und 1982: 2,637.785 S) mit 2,700.000 S (1983), 2,800.000 S (1984) und 2,900.000 S (1985). Hinsichtlich der Gewerbesteuer gelangte die belangte Behörde "in Anbetracht der Bilanzverluste der Vorjahre auf Grund sinkender Passantenzahlen während des U-Bahnbaues, verstärkt durch den Dollarverfall, und in Anbetracht des Wegfalls der Problembereiche U-Bahnbau und Renovierungsarbeiten" zu Gewinnen von 25.000 S (1983), 50.000 S (1984) und 75.000 S (1985). Bei den Umsätzen aus Vermietung und Verpachtung sei der "Vorläufigkeitsgrund" gemäß § 200 BAO gegeben, weil noch ungewiss sei, ob Liebhaberei vorliege, wobei die belangte Behörde auf das hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, 89/13/0259, verwies.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde nicht vorläufig, sondern endgültig hätte veranlagen müssen, denn neun Jahre nach Einbringung der ersten VwGH-Beschwerde (gemeint wohl die Beschwerde betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer 1980 bis 1982, worüber mit dem hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, 89/13/0259, entschieden worden ist) bestünde keine Ungewissheit mehr. Mangels Parteiengehörs und wegen Verletzung der Vorhaltepflicht habe er "die nach 1982 eingetretene V+V-Einnahmen-Überschussentwicklung" nicht darlegen können. Damit zeigt der Beschwerdeführer allerdings eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht auf, denn er führt weder an, welche maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen gewesen wären, noch legt er in der Beschwerde dar, inwieweit die Ungewissheit über den Umfang der Abgabepflicht hinsichtlich der Umsätze aus Vermietung und Verpachtung weggefallen wäre.

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist gemäß § 184 Abs. 2 BAO insbesondere dann, wenn der Abgabenpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskünfte über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.

In einer verkürzten Wiedergabe von Stoll, BAO-Kommentar II, 1918 f gelangte die belangte Behörde von der Aussage ausgehend, dass "gemäß § 184 Abs. 2 BAO zu schätzen ist, wenn der Abgabepflichtige trotz Aufforderung und Einmahnung Abgabenerklärungen nicht einreicht", zum Schluss, dass dann, "wenn der Abgabepflichtige seiner Abgabenerklärungspflicht nicht nachkommt, damit die Schätzungsberechtigung verbunden" sei. Die belangte Behörde übergeht dabei die in der angeführten Stelle des Schrifttums vertretene Aussage, wenn der Abgabepflichtige u.a. seiner Abgabenerklärungspflicht nicht nachkomme, sei damit nicht bereits die Schätzungsberechtigung in der Art der Kontumazierung dergestalt verbunden, dass die aufzuklärenden Sachverhalte in der für den Abgabepflichtigen nachteilhaftesten Art verwirklicht zu gelten hätten. Die Behörde habe stets alle Mittel der Sachverhaltsermittlung einzusetzen, dürfe erst bei Versagen aller entsprechenden Verfahrenshandhaben zur Schätzung greifen und habe dabei trotz Pflichtverletzung des Abgabepflichtigen die Schätzung darauf anzulegen, dem Ziel der Erfassung und Berücksichtigung des materiell Richtigen zu dienen.

Im vorliegenden Beschwerdefall kann weder davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführer die Abgabenerklärungen trotz Aufforderung und Einmahnungen nicht eingereicht habe, noch ist der Beschwerdefall mit den Fällen vergleichbar, in denen der Verwaltungsgerichtshof eine Schätzungsberechtigung bejaht hat, weil der Abgabepflichtige für das Streitjahr trotz mehrfacher Aufforderung (nach einem vorgeschalteten Vorhalteverfahren zur Vorlage von Aufzeichnungen) keine Abgabenerklärungen eingereicht hatte, sodass die Behörde die Grundlagen der Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1994, 94/14/0002), oder weil der Abgabepflichtige Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen nie erstattet, aber auch keine Gewinnermittlung, sei es durch Betriebsvermögensvergleich, sei es durch Einnahmen-/Ausgabenrechnung vorgewiesen und keine fortlaufenden ordnungsgemäßen Aufzeichnungen geführt hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1992, 92/14/0028).

Der Beschwerdeführer hat nach Aufforderungen zur Abgabe von Abgabenerklärungen jeweils Fristverlängerungsansuchen eingebracht und nach deren Abweisung innerhalb der zur Einreichung der Abgabenerklärungen gesetzten Frist ein neuerliches Fristverlängerungsansuchen gestellt. Dabei wies er auf gegenüber dem ersten Ansuchen neu hervorgekommene Tatsachen hin. Zu einer von ihm als Grundlage gesehenen Rechtsfrage betreffend die Vorjahre sei ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig und die belangte Behörde habe die Entscheidungen über die Umsatzsteuer der Vorjahre und der Streitjahre wegen derselben Frage und der Anhängigkeit gerade dieses Verwaltungsgerichtshofverfahrens gemäß § 281 BAO ausgesetzt.

Nach Abschluss dieses Verfahrens durch das hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, 89/13/0259, hat die belangte Behörde ohne jegliche Ermittlungstätigkeit und ohne mit dem Beschwerdeführer in Verbindung zu treten die Schätzungsberechtigung für sich in Anspruch genommen. Die belangte Behörde hat, ohne dass über das neuerliche Fristverlängerungsansuchen des Beschwerdeführers abgesprochen und ohne dass der Beschwerdeführer (neuerlich) zur Abgabe der Steuererklärungen aufgefordert oder sonst ein Schritt zur Sachverhaltsermittlung gesetzt worden wäre, sofort zur Schätzung gegriffen. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, die aus den vorgelegten Umsatzsteuervoranmeldungen ersichtlichen Umsätze heranzuziehen, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt.

Im Übrigen sei erwähnt, dass die belangte Behörde der Schätzung die Umsätze der Jahre 1980 bis 1982 in einer Höhe zu Grunde gelegt hatte, welche sie in ihrer Berufungsentscheidung vom 30. Juni 1997 angenommen hatte. Gerade jene Berufungsentscheidung wurde jedoch mit dem hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000, 97/13/0187, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Gerichtshof hatte in diesem Erkenntnis bemängelt, dass sich die belangte Behörde mit vom Beschwerdeführer eingebrachten, die Höhe der Umsätze bestreitenden Anbringen des Beschwerdeführers im dort angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt hatte. Auf diese Anbringen, womit der Beschwerdeführer die Selbständigkeit eines Teiles seiner Tätigkeit und damit die Höhe der von ihm erzielten Umsätze bestreitet und welche auch die Streitjahre des vorliegenden Beschwerdefalles betreffen, weist der Beschwerdeführer zu Recht hin. Die im erwähnten hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000 bemängelten Verfahrensfehler sind auch im Beschwerdefall festzustellen, worauf gem. § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG hingewiesen wird.

Damit hat die belange Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz BGBl. I Nr. 72/2000 war der Betrag in Euro auszudrücken. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft den Schriftsatzaufwand, für dessen Zuerkennung § 49 Abs. 1 letzter Satz VwGG voraussetzt, dass der Beschwerdeführer tatsächlich durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Der Beschwerdeführer brachte wohl im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGG die Unterschrift eines Rechtsanwaltes bei, war von diesem aber nicht vertreten.

Wien, am 25. September 2002

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