VwGH 96/21/0859

VwGH96/21/08597.4.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des NA in Wien, geboren am 1. Jänner 1966, vertreten durch Dr. Georg Unger, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 50, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 20. Juni 1996, Zl. Fr-267/96, betreffend Ausweisung, und vom 24. Juni 1996, Zl. Fr-267/96-F, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §17 Abs2 Z4;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs2 Z4;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird, soweit sie gegen den Bescheid vom 20. Juni 1996 betreffend Ausweisung gerichtet ist, als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid vom 24. Juni 1996 betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,--, der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.282,50 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem erstgenannten angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde im Instanzenzug den Beschwerdeführer, einen irakischen Staatsangehörigen, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus dem Bundesgebiet aus.

Diese Maßnahme begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer am 11. Mai 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle illegal nach Österreich eingereist sei, wobei er über keine Dokumente und nur geringfügige Barmittel verfügt habe. Die Hintanhaltung der illegalen Einreise von Fremden überwiegend ohne Barmittel und Reisedokumente liege im öffentlichen Interesse und es komme der Einhaltung fremdenpolizeilicher Bestimmungen ein großes Gewicht zu. Der Beschwerdeführer habe eindeutig die im § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG normierten Tatbestände verwirklicht. Sein unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet stelle eine grobe Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen von solchem Gewicht dar, dass die Ausweisung dringend geboten und somit auch angesichts des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung zulässig sei. Eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung komme dem Beschwerdeführer mangels direkter Einreise aus dem Verfolgerstaat nicht zu. Dass der Beschwerdeführer das in Ungarn mögliche "UNHCR-Verfahren samt dem damit verbundenen de-facto-Schutz vor Verfolgung" nicht hätte in Anspruch nehmen können, sei nicht zu erkennen. Überdies habe das neue, mit 1. Mai 1994 in Kraft getretene ungarische Ausländerrecht in seinem Art. 32 das "Refoulement-Verbot" des Art. 33 GFK übernommen. Hinsichtlich der Befürchtung ernsthafter Verfolgung im Heimatstaat werde auf das Verfahren über den Feststellungsantrag nach § 54 FrG verwiesen.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 24. Juni 1996 stellte die belangte Behörde - gleichfalls im Instanzenzug - gemäß § 54 Abs. 1 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in den Irak einer Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG ausgesetzt sei.

Diesen Ausspruch begründete die belangte Behörde nach Wiedergabe des im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit, sie komme bei Prüfung der Angaben des Beschwerdeführers zum selben Ergebnis wie die erstinstanzliche Behörde. Maßgeblich sei, dass der Beschwerdeführer während des gesamten Fremden- und Asylverfahrens keine konkreten, gegen ihn gerichteten individuellen Verfolgungen durch den Irak selbst habe glaubhaft machen können. Auch sein Verweis auf Entscheidungen diverser deutscher Verwaltungsgerichte, in denen sich diese kritisch über die Lage im Irak äußerten, sei nicht geeignet, die Glaubhaftmachung von Gefahren im Sinn des § 37 FrG für seine Person zu bewirken, weil Ausführungen sowie Berichte und Gutachten über die allgemeine (politische) Situation bzw. Menschenrechtslage im Irak mangels eines konkreten Zusammenhanges mit seinem individuellen Vorbringen nicht geeignet seien, konkret gegen ihn persönlich gerichtete staatliche Maßnahmen darzutun. Auch die belangte Behörde spreche seinen Angaben jegliche Glaubwürdigkeit ab; diesbezüglich werde insbesondere auf die Feststellungen im "angefochtenen Bescheid betreffend das Schicksal seines Bruders" und den gegen ihn (den Beschwerdeführer) gerichteten Haftbefehl sowie das Faktum, dass er derart Gravierendes erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgebracht habe, hingewiesen. Weiters habe sich der Beschwerdeführer trotz Bestehens der aufgezeigten Gefahren über Jahre in seiner Heimat aufgehalten.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, diese aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine (gemeinsame) Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Zur Ausweisung:

Zunächst ist festzuhalten, dass dem angefochtenen Bescheid nach den wiedergegebenen unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen kein Bescheid zu Grunde liegt, mit dem die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (§ 6 AufG) versagt oder mit dem der Verlust einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 AufG) verfügt wurde. Die Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 5 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, kommt vorliegend daher nicht zum Tragen.

Gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG können Fremde im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie innerhalb eines Monats nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen (Z. 4) oder wenn sie unter Missachtung der Bestimmungen des 2. Teiles des Fremdengesetzes oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen eines Monats betreten werden (Z. 6).

Der Beschwerdeführer lässt die maßgebliche Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde unbestritten, dass er ohne Reisedokument und unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist und bei dieser Einreise betreten worden sei. Gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass dadurch der Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG erfüllt worden sei, bestehen keine Bedenken. Aus diesem Grund kann eine Prüfung der Frage, ob auch der Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG verwirklicht wurde, unterbleiben.

Der Beschwerdeführer verweist - die Ausweisung betreffend - lediglich darauf, dass seine Interessen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausweisung und des gegenläufigen privaten Interesses des Fremden bei einer auf § 17 Abs. 2 FrG gestützten Ausweisung nach dem Gesetz nicht vorzunehmen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten ein hoher Stellenwert zu. Nur bei einer bloß geringfügigen Störung der öffentlichen Ordnung ist in den Fällen des § 17 Abs. 2 FrG von der Erlassung einer Ausweisung abzusehen; eine solche Geringfügigkeit liegt jedoch angesichts der unrechtmäßigen Einreise und des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 96/21/0222).

Dem Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe sich mit der Gefahr einer Verfolgung im Irak nicht auseinandergesetzt, ist zu entgegnen, dass eine allfällige Gefährdung oder Bedrohung des Beschwerdeführers im Fall der Abschiebung in sein Heimatland im Verfahren nach § 54 Abs. 1 FrG zu prüfen ist.

Die Ausweisung erweist sich daher nicht als rechtswidrig, weshalb die Beschwerde diesbezüglich gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

II. Zum Ausspruch über den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung:

Zu seinen Fluchtgründen befragt hatte der Beschwerdeführer bei der nach seiner Einreise erfolgten Vernehmung vor der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg im Wesentlichen angegeben, im Jahr 1987 sei sein Onkel "von den irakischen Behörden ermordet" worden; seine Familie und er würden ständig von den irakischen Behörden verfolgt; sein Vater habe ihm geraten, das Land so schnell wie möglich zu verlassen, weil er ansonsten auch ermordet werde. Die irakischen Behörden hätten ihm vorgeworfen, dass er beim Aufstand 1991 mitgewirkt habe.

Vor der Asylbehörde hatte der Beschwerdeführer im Wesentlichen angegeben, er habe im Jahr 1991 an der Intifada teilgenommen und sich aus Angst vor einer Festnahme ab März 1991 in Kirkuk aufgehalten. Während dieser Zeit habe er erfahren, dass ein Haftbefehl gegen ihn bestehe und er gesucht werde. An seiner Stelle sei sein Bruder vom irakischen Geheimdienst festgenommen worden. Da ihn im Lauf der Jahre einige Personen in Kirkuk gesehen hätten, habe er Angst bekommen, vom irakischen Geheimdienst gefunden und inhaftiert zu werden. Aus Angst vor einer Festnahme habe er Anfang April 1996 Kirkuk verlassen. Der Haftbefehl befinde sich bei seinen Eltern.

Die Behörde erster Instanz wertete diese Angaben mit der Begründung als unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer im fremdenpolizeilichen Verfahren zunächst bloß angegeben habe, dass sein Onkel im Jahr 1987 im Irak ermordet worden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer es gewagt hätte, sich noch mehrere Jahre im Zugriffsbereich der Sicherheitskräfte seines Heimatlandes aufzuhalten. Weiters hätte er, wenn tatsächlich sein Bruder statt ihm inhaftiert worden wäre, diesen Umstand bereits bei der fremdenpolizeilichen Vernehmung angegeben.

Im angefochtenen Bescheid verwies die belangte Behörde ausdrücklich auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und meinte, den Angaben des Beschwerdeführers sei jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Sie verwies diesbezüglich insbesondere auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid "betreffend das Schicksal Ihres Bruders und den gegen Sie gerichteten Haftbefehl" sowie darauf, dass der Beschwerdeführer gravierende Umstände erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgebracht habe.

Die Beschwerde nimmt Bezug auf das in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erstattete Vorbringen. In dieser Berufung hatte der Beschwerdeführer ausdrücklich als Ergänzung seines bisherigen Vorbringens vorgebracht, er sei durch seine unerlaubte Ausreise aus dem Irak, seinen unerlaubten Aufenthalt im Ausland sowie seine Asylantragstellung im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG gefährdet und bedroht. Bereits eine zum Ausdruck gebrachte ablehnende Haltung gegenüber dem Regime des Staatspräsidenten Saddam Hussein werde zum Anlass schwerer Verfolgungsmaßnahmen genommen. Es sei allgemein anerkannt, dass die Asylantragstellung im Ausland den irakischen Behörden bekannt werde und zu beachtlichen Verfolgungsmaßnahmen führe. Demnach habe der Beschwerdeführer durch seine unerlaubte Ausreise, die den politischen Zielsetzungen des irakischen Regimes zuwiderlaufe, und durch seine Asylantragstellung einen vom irakischen Regime als oppositionell eingestuften und mit Verrat auf eine Stufe zu stellenden Verstoß begangen, und es drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung auf Grund seiner politischen Gesinnung, die durch Ausreise und Asylantragstellung zum Ausdruck gebracht worden sei. Er habe im Fall seiner Rückkehr mit massiven Verfolgungsmaßnahmen, mit Haft, Folter und der Todesstrafe zu rechnen. Abgesehen von seinem persönlichen Vorbringen sei objektivierbar, dass er durch seine Ausreise aus dem Irak verbunden mit der Asylantragstellung in Österreich einen die Verfolgung und unmenschliche Behandlung, Strafe oder Todesstrafe bedingenden Tatbestand gesetzt habe, weil diese Handlungen vom irakischen Regime als staatsfeindlicher Akt gewertet würden.

Zu dieser Behauptung traf die belangte Behörde keine Feststellungen. Sie würdigte erkennbar lediglich die Angaben des Beschwerdeführers über die behauptete Verfolgungssituation vor seiner Ausreise. Dies ergibt sich einerseits aus der ausdrücklichen Übernahme der im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen und andererseits aus dem mit dem Vorwurf der mangelnden Glaubwürdigkeit verbundenen Hinweis auf das Vorbringen betreffend das Schicksal seines Bruders und den gegen ihn gerichteten Haftbefehl.

Da von diesem Verweis auf die Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens das über die Tatsachengrundlage des erstinstanzlichen Verfahrens hinausgehende Berufungsvorbringen nicht umfasst sein kann und die belangte Behörde eigene Feststellungen über diese neuen Behauptungen unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, denn ausgehend von den dargelegten, in der Berufung erhobenen Behauptungen kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in den Irak aus Gründen des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG gefährdet und/oder bedroht sein könnte. Selbst wenn die belangte Behörde zum Ausdruck bringen wollte, dass auch die Behauptungen des Beschwerdeführers über das Schicksal abgelehnter Asylwerber im Fall von deren Abschiebung in den Irak unglaubwürdig seien, änderte dies nichts an der Mangelhaftigkeit des Bescheides, weil die Verneinung einer derartigen Gefährdung ohne Vornahme entsprechender Ermittlungen, etwa durch eine Anfrage an die österreichische Vertretungsbehörde, rechtswidrig wäre.

Der angefochtene Bescheid vom 24. Juni 1996 war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere 52 Abs. 1 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Vorlageaufwand und der Schriftsatzaufwand für die Gegenschrift waren auf die beiden Beschwerdefälle aufzuteilen und somit nur zur Hälfte zuzusprechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 97/03/0353).

Wien, am 7. April 2000

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