VwGH 96/19/2193

VwGH96/19/219319.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde des 1977 geborenen VT in W, vertreten durch Dr. Marcella Zauner-Grois und Dr. Christof Dunst, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Mai 1996, Zl. 306.091/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 idF 1995/351 §2 Abs3 Z4;
AufG 1992 idF 1995/351 §5 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AufG Anzahl der Bewilligungen 1996 §4 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §142;
StGB §143;
AufG 1992 idF 1995/351 §2 Abs3 Z4;
AufG 1992 idF 1995/351 §5 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AufG Anzahl der Bewilligungen 1996 §4 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §142;
StGB §143;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage u.a. über Wiedereinreisesichtvermerke mit Geltungsdauer vom 10. Juni 1992 bis 15. Juni 1993 und vom 15. Juni 1993 bis 7. Juni 1995 sowie (zuletzt) über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 8. Juni 1995 bis 8. Dezember 1995. Er beantragte am 23. November 1995 die Verlängerung dieser Bewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. Februar 1996, dem Beschwerdeführer zugestellt am 2. März 1996, gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) i. V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 5. Juli 1995 wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142, 143 StGB verurteilt worden. Sein dieser Verurteilung zugrundeliegendes Fehlverhalten rechtfertige die Annahme, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Sicherheit gefährden. Der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG liege daher vor. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen. Die öffentlichen Interessen an der Versagung der Bewilligung überwögen die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 13. März 1996 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich beim Landeshauptmann von Wien die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Aus den Antragsbeilagen ging hervor, daß für ihn am 24. Februar 1993 ein Befreiungsschein mit Geltungsdauer vom 5. Juli 1993 bis 4. Juli 1998 ausgestellt wurde. Die erstinstanzliche Behörde wies auch diesen Antrag im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er zu seinen persönlichen Verhältnissen insbesondere folgendes aus:

"Der Berufungswerber wurde in Österreich geboren, ist hier aufgewachsen und hat hier seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Derzeit ist er als Einzelhandelskaufmannlehrling bei der Firma Merkur im 3. Lehrjahr beschäftigt.

Die Eltern des Berufungswerbers sind seit 1974 bzw. 1973 in Österreich aufhältig, verfügen beide über ordentliche Papiere. Ebenso leben die Schwestern Dina und Daniela T. in Österreich. Eine engere Bindung an das österreichische Bundesgebiet als die des Berufungswerbers ist wohl kaum mehr denkbar."

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Mai 1996 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 5. Juli 1995 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 und 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei. Aufgrund dieser Verurteilung sei auch sein Verlängerungsantrag vom 23. November 1995 abgewiesen worden. Gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes vom 22. Februar 1996 habe der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel erhoben. Er sei in Rechtskraft erwachsen. Ungeachtet der Rechtskraft dieser Abweisung habe der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt im Bundesgebiet fortgesetzt, ohne im Besitz einer entsprechenden Bewilligung zu sein. Dieses Verhalten stelle eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, zumal es durchaus Beispielswirkung auf andere Fremde haben könnte. Im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen sowie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit überwögen die öffentlichen Interessen die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 MRK.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 AufG lauten (auszugsweise):

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 6. (1) ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ... Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: ...; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältige Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z 4 festgelegt ist. ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautet:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (10. Juni 1996) war für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995, maßgebend. § 4 Z. 4 dieser Verordnung lautete:

"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:

...

4. Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des § 3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten."

Die Auffassung der belangten Behörde, das der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142, 143 StGB zugrundeliegende Fehlverhalten rechtfertige die Annahme, sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet werde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht für rechtswidrig zu erkennen.

Mit dem Hinweis der Beschwerde auf die oben wiedergegebenen Berufungsausführungen gelingt es dem Beschwerdeführer jedoch, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hat die Behörde nämlich auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0232).

Nach seinen Berufungsbehauptungen ist der Beschwerdeführer in Österreich geboren, hier aufgewachsen und hat hier seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Er verfüge über intensive private und familiäre Beziehungen in Österreich, weil sowohl seine Eltern als auch seine beiden Schwestern im Bundesgebiet aufhältig seien. Auch gehe er als Einzelhandelskaufmannlehrling in Österreich einer geregelten Beschäftigung nach.

Bei Zutreffen dieser Berufungsbehauptungen wäre der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Versagung der gegenständlichen Bewilligung nicht schon aufgrund des seiner Verurteilung zugrundeliegenden, durchaus gravierenden Fehlverhaltens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt (vgl. das zu einem vergleichbaren Fall einer Verurteilung wegen §§ 142 Abs. 1, 127, 129 Z. 1, 15 sowie 12 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten ergangene hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1996, Zl. 94/18/1098).

Die belangte Behörde hat ihre Gefährdungsprognose aber nicht ausschließlich auf das gerichtlich strafbare Verhalten des Beschwerdeführers, sondern auch auf die rechtswidrige Fortsetzung seines Inlandsaufenthaltes nach rechtskräftiger Abweisung seines Verlängerungsantrages gestützt.

Sie unterließ es jedoch, in diesem Zusammenhang festzustellen, daß dem Beschwerdeführer am 24. Februar 1993, also zu einem Zeitpunkt, in dem er in Österreich zum Aufenthalt berechtigt war, ein Befreiungsschein mit Geltungsdauer vom 5. Juli 1993 bis 4. Juli 1998 ausgestellt wurde. Dieser Feststellungsmangel betrifft aus folgenden Gründen einen wesentlichen Punkt im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG:

Wie der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 1997, Zl. 95/19/0867) ausgesprochen hat, rechtfertigt ein länger dauernder Aufenthalt eines Fremden im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung seines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages grundsätzlich die Annahme, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat jedoch dann Platz zu greifen, wenn der sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Fremde zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt ist. Durch die in § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG enthaltene (und auch voll ausgeschöpfte) Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung, näher umschriebenen Gruppen von Fremden, die sich nach dem Ende ihrer Aufenthaltsbewilligung weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die Möglichkeit zur Antragstellung im Inland einzuräumen, gab der Gesetzgeber zu erkennen, daß er die vom unrechtmäßigen Aufenthalt solcher zur Antragstellung im Inland berechtigter Fremder ausgehende Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens nicht für so gravierend erachtet, daß daraus die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG maßgebliche Prognose abzuleiten wäre, auch der weitere Aufenthalt des Fremden aufgrund einer zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ordnung (auf diesem Gebiet) gefährden. Ein solches Verhalten eines Fremden kann daher für sich allein genommen den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 96/19/2066).

Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß für ihn ein Befreiungsschein ausgestellt wurde, wäre aber der Beschwerdeführer, der eine Aufenthaltsbewilligung hatte, gemäß § 4 Z. 4 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt. Die von seinem unrechtmäßigen Aufenthalt in der Dauer von etwa drei Monaten ausgehende Ordnungsstörung wäre diesfalls eine minder gravierende, sodaß auch ihr Hinzutreten zum gerichtlich strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers den Eingriff in seine gemäß Art. 8 MRK geschützten Rechte durch die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK rechtfertigen würde.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht zuerkannt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 1985, Zl. 83/01/0314). An Stempelgebühren waren lediglich S 240,-- für die Einbringung der Beschwerde in zweifacher Ausfertigung und S 30,-- für die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung beizubringen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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