VwGH 96/08/0260

VwGH96/08/026010.3.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde des MS in Wien, vertreten durch Dr. Hans Lesigang, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 36, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 17. Jänner 1996, Zl. MA 12 - 14063/91, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Sozialhilfeangelegenheit sowie Neubemessung und Rückforderung von Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurden im Zeitraum August 1988 bis 11. Jänner 1992 mit Unterbrechungen jeweils einzeln beantragte Geldaushilfen als Leistungen nach dem Wiener Sozialhilfegesetz ausbezahlt.

Der Magistrat der Stadt Wien, MA 12 - Sozialreferat für den

20. Bezirk, richtete in der Folge an den Beschwerdeführer den mit 8. Mai 1992 datierten Bescheid des Inhaltes:

"Gemäß § 69 Abs. 1 lit. 1-3 und Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsgesetz 1991 - AVG, werden sämtliche Verfahren zur Gewährung von Geldaushilfen für die Zeit vom 20. August 1991 bis 11. Jänner 1992 an Herrn (Beschwerdeführer), wohnhaft in ... wieder aufgenommen.

Es wird festgestellt, daß kein Anspruch auf Geldaushilfen gemäß §§ 8, 10, 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung, im Zusammenhalt mit den §§ 1 und 5 der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 27. Februar 1973, LGBl. für Wien Nr. 11/1973, in der geltenden Fassung der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 11. Dezember 1990, LGBl. für Wien Nr. 57/1990, für die Zeit vom 20. August 1991 bis 30. September 1991 bestand. Jedoch bestand ein Anspruch auf Geldaushilfen als Richtsatzergänzungen zur Notstandshilfe (Tagsatz S 166,80), von insgesamt S 2.090,-- für die Zeit vom 1. Oktober 1991 bis 11. Jänner 1992.

Es wird festgehalten, daß durch das Verschweigen von Tatsachen, die für die Bemessung der Höhe der Geldaushilfen von Bedeutung sind, ein Überbezug in der Höhe von S 23.519,-- auflief. Gemäß § 26 Abs. 1 WSHG ist dieser Betrag zurückzuerstatten. Über die Hereinbringung des Überbezuges wird gesondert entschieden."

In der Begründung dieses Bescheides führte die (erstinstanzliche) Behörde aus, der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der Notstandshilfe sei mit Bescheid des Arbeitsamtes-Versicherungsdienste vom 19. August 1991 abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe dagegen Berufung erhoben, ohne das Sozialreferat für den

20. Bezirk hievon in Kenntnis zu setzen. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1992 habe der Beschwerdeführer vom 14. Mai 1991 bis 10. Februar 1992 Notstandshilfe von täglich S 166,80 zuerkannt erhalten. Der Beschwerdeführer sei seiner Meldepflicht nicht nachgekommen; das Sozialreferat für den

20. Bezirk habe aufgrund einer Ausfertigung eines Einkommensnachweises zur Erlangung von Begünstigungen am 23. Jänner 1992 davon Kenntnis erlangt. Aufgrund der Zuerkennung der Notstandshilfe sei der Anspruch auf Sozialhilfeleistung ab 20. August 1991 neu zu berechnen.

Vom 20. August 1991 bis 30. September 1991 stehe dem Richtsatz eines Alleinunterstützten zuzüglich Miete für September 1991 von S 6.505,-- ein Einkommen von S 7.172,-- gegenüber. Daraus ergebe sich eine Rückforderung von S 6.505,--.

Ab 1. Oktober 1991 betrage der Anspruch des Beschwerdeführers auf Richtsatz für Alleinunterstützte zuzüglich Mietbelastung und Heizbeihilfe S 5.532,-- und ab 1. Jänner 1992 S 5.727,--. Von diesem Betrag sei jeweils die monatliche Leistung des Arbeitsamtes (Notstandshilfe, Tagsatz S 166,80) in Abzug zu bringen. Die Richtsatzergänzung vom 1. bis 31. Oktober 1991 betrage S 528,--, vom 1. bis 30. November 1991 S 361,--, vom 1. bis 31. Dezember 1991 S 528,-- und vom 1. bis 11. Jänner 1992 S 673,--. Im Zeitraum vom 1. Oktober 1991 bis 11. Jänner 1992 seien jedoch insgesamt S 19.104,-- an Sozialhilfeleistungen gewährt worden. Daraus ergebe sich ab 20. August 1991 bis 11. Jänner 1992 ein Gesamtüberzug von S 23.519,--, der zurückzuzahlen sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung (der die Berufung zunächst als verspätet zurückweisende Bescheid der belangten Behörde vom 8. April 1994 wurde mit hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0152, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben). Darin führte er im wesentlichen aus, er ersuche um eine nochmalige Überprüfung seiner Angelegenheit, die die Rückzahlung der Sozialhilfe betreffe. Es sei ein Mißverständnis und es bestehe keine Schuld von seiner Seite. Am 19. August 1991 habe er sich beim Arbeitsamt erkundigt und zuerst eine mündliche, dann auch eine schriftliche negative Antwort erhalten. Mit Unterstützung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien habe er am 15. Dezember 1991 die Nachricht bekommen, daß ihm die Notstandshilfe zustehe und sei sie bis Ende Dezember 1991 ausbezahlt worden. In der Zeit vom 20. August 1991 bis Ende Dezember habe er Sozialhilfe bezogen. Als ihm die Notstandshilfe ausbezahlt worden sei, habe er dies der MA 12 - SR 20 bekanntgegeben. Er möchte deutlich darauf hinweisen, daß er kein Geld vom Sozialreferat und Arbeitsamt gleichzeitig bezogen habe.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde aufgrund dieser Berufung der bekämpfte erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und zur Durchführung einer neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, daß nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für einen Feststellungsbescheid dort kein Raum sei, wo ein Leistungsbescheid möglich sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1984, Zl. 83/01/0334). Da die erstinstanzliche Behörde nach Wiederaufnahme jener bescheidmäßig abgeschlossenen Verfahren, die den im Spruch angeführten Zeitraum betreffen, nicht mit einem Leistungsbescheid neuerlich über die Anträge des Beschwerdeführers abgesprochen habe, sondern einen Feststellungsbescheid erlassen habe, habe sie insofern die falsche Verfahrensart gewählt. Es sei daher die Durchführung eines Leistungsverfahrens bzw. einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Bescheid sei rechtswidrig, weil die belangte Behörde meritorisch die "Feststellungen" der erstinstanzlichen Behörde hätte behandeln müssen. Die bloße Behebung des Bescheides und der Auftrag zur Neudurchführung des Verfahrens sei rechtlich verfehlt. Der Beschwerdeführer sei auch dadurch in seinen Rechten verletzt, weil nicht ausgesprochen worden sei, daß er keinen Überbezug aus Geldaushilfen in den Zeiten vom 20. August 1991 bis 30. September 1991 und vom 1. Oktober 1991 bis 11. Jänner 1992 erhalten habe und daher keine Rückzahlungsverpflichtung bestehe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 66 Abs. 2 AVG. Ein auf dieser Bestimmung gegründeter letztinstanzlicher Bescheid ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid, der durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann. Eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers durch einen solchen aufhebenden Bescheid kann unter anderem darin gelegen sein, daß die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung erlassen hat. Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtigt die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben läßt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn von der Vorinstanz kein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 leg. cit. muß entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 18. November 1997, Zl. 97/08/0460).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist die Beschwerde

berechtigt:

Im Absatz 1 des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides wurden sämtliche Verfahren zur Gewährung von Geldaushilfen für die Zeit vom 20. August 1991 bis 11. Jänner 1992 an den Beschwerdeführer gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 bis 3 und Abs. 3 AVG wiederaufgenommen.

Im Absatz 2 wurden Feststellungen über die Ansprüche des Beschwerdeführers auf Geldaushilfen nach dem Wiener Sozialhilfegesetz im genannten Zeitraum getroffen. Mit dem ersten Satz des dritten Absatzes wurden Feststellungen über die Höhe des Überbezuges und dessen Ursache getroffen. Mit dem zweiten Satz dieses Absatzes wurde der Ersatz des Überbezuges gemäß § 26 Abs. 1 WSHG durch den Beschwerdeführer angeordnet und schließlich im letzten Satz ausgesprochen, daß über die Hereinbringung des Überbezuges gesondert entschieden wird. Damit enthält der erstinstanzliche Bescheid vier trennbare Absprüche, nämlich die Wiederaufnahme sämtlicher Verfahren zur Gewährung von Geldaushilfen in einem bestimmten Zeitraum, die Neufeststellung der Leistung, die Ersatzleistung des Beschwerdeführers für den entstandenen Überbezug gemäß § 26 Wiener Sozialhilfegesetz und den Vorbehalt der Art der Vollstreckung der ausgesprochenen Ersatzleistung.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung nicht explizit die trennbaren Absprüche des bekämpften Bescheides genannt, jedoch der Sache nach den gesamten Bescheid bekämpft.

Der Berufungsbescheid behandelt indes nur die ausgesprochene Ersatzleistung gemäß § 26 WSHG, ohne ausdrücklich darzutun, daß und warum die übrigen Absprüche von der Berufung nicht erfaßt seien. Die von der belangten Behörde zur ausgesprochenen Ersatzleistung dargelegte Rechtsmeinung, daß ein bloßer Feststellungsbescheid nach dem Wiener Sozialhilfegesetz nicht zu erlassen ist, trifft zwar zu, weil § 26 Abs. 1 ausdrücklich anordnet, daß der Empfänger der Hilfe zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen verpflichtet ist. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde entspricht aber der erstinstanzliche Bescheid diesem Erfordernis, wurde doch unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 26 Abs. 1 WSHG ausgesprochen, daß der berechnete ziffernmäßig genannte Überbezug zurückzuerstatten ist. Der Umstand, daß die erstinstanzliche Behörde Feststellungen über die Ansprüche des Beschwerdeführers in einem bestimmten Zeitraum auf Geldaushilfen nach dem Wiener Sozialhilfegesetz sowie über die Höhe und Ursache des Überbezuges in den Spruch aufgenommen hat, vermag daran nichts zu ändern. Von einer verfehlten "Verfahrensart" kann daher nicht gesprochen werden. Die belangte Behörde hätte daher - wie auch der Beschwerdeführer richtig aufzeigt - meritorisch über die Berufung und zwar in bezug auf alle Absprüche des erstinstanzlichen Bescheides entscheiden müssen. Hiezu wird sie im fortgesetzten Verfahren zur Frage der Wiederaufnahme insbesonders zu klären haben, ob der Beschwerdeführer schon während des Sozialhilfebezuges über Geldmittel aus Leistungen des Arbeitsamtes tatsächlich verfügte.

Aus diesen Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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