VwGH 96/08/0128

VwGH96/08/012822.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek sowie den Senatspräsidenten Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den auf Grund eines Beschlusses des zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 22. Juni 1994, Zl. IVb/7022/7100B, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4 idF 1993/817;
AlVG 1977 §79 Abs7 idF 1993/817;
VwRallg;
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4 idF 1993/817;
AlVG 1977 §79 Abs7 idF 1993/817;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der seit 1976 an der Veterinärmedizinischen Universität Wien als ordentlicher Hörer inskribiert ist, bezog auf Grund seines am 22. Oktober 1987 beim Arbeitsamt Angestellte (Wien) gestellten Antrages, in dem er auf sein Studium hinwies, Arbeitslosengeld vom 29. Oktober 1987 bis 20. Jänner 1988 und in der Folge - auf Grund wiederholter Anträge (mit eben demselben Hinweis) - mit Unterbrechungen Notstandshilfe, zuletzt auf Grund seines Antrages vom 28. Juni 1993 ab 15. Juli 1993. In einem mit "Entscheidung des Arbeitsamtes Versicherungsdienste" überschriebenen und mit 12. Juli 1993 datierten Aktenstück heißt es: "Ausnahmegenehmigung wird erteilt."

Mit Bescheid vom 7. Februar 1994 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste (Wien) aus, daß gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. den §§ 38, 7 Abs. 1 Z. 1, 12 Abs. 3 lit. f i.V.m. § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung der Bezug der Notstandshilfe mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit ab 1. Jänner 1994 eingestellt werde. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer vom 2. Juni 1987 bis 28. Oktober 1987 bei der Firma A beschäftigt gewesen sei und seit 1976 laufend als ordentlicher Hörer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien studiere. Auf Grund des § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung könne ab diesem Tag keine Ausnahmegenehmigung mehr erteilt werden und gelte der Beschwerdeführer daher nicht mehr als arbeitslos. Da somit eine der Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sei, sei der Bezug der Notstandshilfe einzustellen gewesen.

In der dagegen erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, er habe seine Beschäftigung bei der Firma A nicht zwecks Fortsetzung seines Studiums und nicht freiwillig gelöst, es sei vielmehr sein Arbeitsvertrag ausgelaufen. Er habe auf Wiederaufnahme gehofft. Diese Erwartung habe sich aber nicht erfüllt. Er habe seine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe nicht auf Grund von Ferialjobs erzielt, sondern habe das Studium und die Berufstätigkeit gleichzeitig betrieben. Seine Arbeitswilligkeit sei gegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid "betreffend Einstellung der Notstandshilfe vom 1.1.1994 mangels Arbeitslosigkeit gemäß § 12 i.V.m. den §§ 24 Abs. 1 und 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 in geltender Fassung" keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid.

Nach der Bescheidbegründung sei der Beschwerdeführer seit 1976 ordentlicher Hörer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Als solcher sei er nicht arbeitslos gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG. Hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung sei festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer seit 29. Oktober 1987 arbeitslos sei und seit 21. Jänner 1988 Notstandshilfe beziehe. Zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 4 AlVG sei u.a. erforderlich, daß der Arbeitslose sowohl dem Studium als auch dem Dienstverhältnis, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen sei, für längere Zeit oblegen sei. Zu dem vom Gesetzgeber unbestimmt gelassenen Begriff der "längeren Zeit" vertrete die belangte Behörde die Ansicht, daß hier eine Parallelität von Beschäftigung und Studium von zumindest einem halben Jahr gegeben sein sollte, weil erst dann realistisch absehbar sei, ob ein Studium und der damit verbundene zeitliche Aufwand einer Beschäftigung als Dienstnehmer nicht entgegenstehe. Das letzte der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangene Dienstverhältnis des Beschwerdeführers habe vom 2. Juni 1987 bis 28. Oktober 1987 gewährt. Dies seien 149 Tage und damit weniger als ein halbes Jahr. Da somit der Beschwerdeführer die seit 1. Jänner 1994 geltenden neuen Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 4 AlVG nicht mehr erfülle, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. in diesem Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 25. April 1995, Zl. A 18/95, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, näher angeführte Satzteile des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG in der Stammfassung, BGBl. Nr. 609/1977, und des § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 817/1993 - aus den im Beschluß vom selben Tag, Zl. A 19/95 (94/08/0259), ausführlich dargelegten Gründen - als verfassungswidrig aufzuheben bzw. auszusprechen, daß die angeführten Satzteile des § 12 Abs. 4 AlVG verfassungswidrig waren.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 7. März 1996, G 72/95 und andere, diesen Bedenken nicht angeschlossen und demgemäß u.a. den gegenständlichen Antrag abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 1 erster Fall i.V.m. § 38 AlVG ist die Notstandshilfe einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf sie wegfällt. Die (materiell-rechtlichen) "Voraussetzungen des Anspruches" auf Notstandshilfe sind in den §§ 7 ff, 33 ff, 38 geregelt. Sofern sämtliche Voraussetzungen für diesen Anspruch erfüllt sind, gebührt nach den §§ 17 Abs. 1, 38 AlVG (vom Fall des Ruhens abgesehen) die Notstandshilfe ab dem Tag der Geltendmachung (§ 46 AlVG). Sie wird nach § 35 Abs. 1 AlVG jeweils für einen bestimmten, jedoch 52 Wochen nicht übersteigenden Zeitraum gewährt. Die "Gewährung" erfolgt, sofern der Anspruch auf Notstandshilfe anerkannt wird, nach den §§ 47 Abs. 1 erster Satz, 59 AlVG ohne Bescheid; es ist dem Leistungsbezieher vielmehr nur "eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen".

Die Arbeitslosigkeit ist nach den §§ 7 Abs. 1 Z. 1, 33, 38 AlVG eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Notstandshilfe. Nach § 12 Abs. 3 lit. f AlVG (in der durch die Novelle BGBl. Nr. 817/1993 nicht geänderten Fassung) gilt u.a. ein ordentlicher Hörer einer Hochschule (Universität) nicht als arbeitslos. § 12 Abs. 4 in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 817/1993 bestimmte:

"Von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f kann das Arbeitsamt in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausnahmen zulassen, insbesondere, wenn der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, oblag."

Durch die Novelle BGBl. Nr. 817/1993 erhielt diese Bestimmung mit Wirkung ab 1. Jänner 1994 folgende Fassung:

"Von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f kann das Arbeitsamt Ausnahmen zulassen, sofern der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, durch längere Zeit hindurch oblag und die Beschäftigung nicht vom Arbeitslosen selbst zwecks Fortsetzung des Studiums oder der praktischen Ausbildung freiwillig gelöst wurde."

Das Arbeitsamt hatte daher (entsprechend den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 1985, Zl. 85/08/0058, und vom 8. Mai 1990, Zl. 90/08/0066) auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers vom 28. Juni 1993, in dem er auf sein Studium hinwies, zu beurteilen, ob für den Beschwerdeführer - ungeachtet der Tatbestandsmäßigkeit nach § 12 Abs. 3 lit. f AlVG - eine Ausnahme von dieser Bestimmung entsprechend dem § 12 Abs. 4 AlVG mit der Rechtsfolge zugelassen werden könne, daß die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit erfüllt sei. Dem ist - nach der obigen Sachverhaltsdarstellung - das Arbeitsamt auch nachgekommen und hat dem Beschwerdeführer (unbestritten) demnach für einen über den 1. Jänner 1994 hinausreichenden Zeitraum Notstandshilfe gewährt.

Vor diesem Hintergrund ist im Beschwerdefall die Frage zu lösen, ob schon die bloße Änderung des § 12 Abs. 4 AlVG durch die Novelle BGBl. Nr. 817/1993 (d.h. der abstrakten Voraussetzung über die Zulassung einer Ausnahme von der unveränderten Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG) einen "Wegfall" der seinerzeit gegebenen Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit (in der spezifischen Form des § 12 Abs. 3 lit. f i.V.m. § 12 Abs. 4 AlVG) im Sinne der §§ 24 Abs. 1 erster Fall, 38 AlVG bewirken konnte, das heißt, ob diese Gesetzesänderung allein das Arbeitsamt berechtigte und verpflichtete, die seinerzeit (wenn auch ohne Bescheid) bei der Gewährung der Notstandshilfe für den gesamten Anspruchszeitraum nach der damaligen Rechtslage erteilte Zulassung unter Zugrundelegung der neuen Rechtslage zu überprüfen und die Notstandshilfe bei einem für den Beschwerdeführer negativen Ergebnis dieser Überprüfung im Sinne der zuletzt genannten Bestimmungen wegen eines darin zu erblickenden "Wegfalls" der Voraussetzung der Arbeitslosigkeit einzustellen.

Dies ist aus nachstehenden Gründen zu verneinen: Eine diesbezügliche "Übergangsbestimmung" enthält die mehrfach genannte Novelle nicht. § 79 Abs. 7 AlVG in der Fassung dieser Novelle bestimmt insofern nur, daß u.a. § 12 Abs. 4 AlVG am 1. Jänner 1994 in Kraft tritt. Das Inkrafttreten schließt aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht (jedenfalls nicht zweifelsfrei) die Berechtigung und Verpflichtung des Arbeitsamtes zur neuerlichen Prüfung der im Zeitpunkt der Zuerkennung der Notstandshilfe bereits für den gesamten Anspruchszeitraum erteilten Ausnahmebewilligung ein. Dies hätte der Gesetzgeber vielmehr (etwa durch eine Übergangsbestimmung dieses Inhaltes oder durch die Normierung eines Wegfalls bereits erteilter Ausnahmebewilligungen) ausdrücklich anordnen müssen.

Da die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung von einer solchen Berechtigung und Verpflichtung des Arbeitsamtes ausgegangen ist und allein auf dieser Grundlage zu einer Einstellung der dem Beschwerdeführer gewährten Notstandshilfe ab 1. Jänner 1994 gelangt ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, allerdings begrenzt durch das niedrigere Kostenbegehren des Beschwerdeführers.

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