VwGH 96/02/0313

VwGH96/02/031327.4.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (nunmehr Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 22. April 1996, Zl. VwSen-102562/51/Bi/Fb, wegen Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: T in G, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in Mattighofen, Stadtplatz 6), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 11. Jänner 1995 wurde der Mitbeteiligte u.a. schuldig erkannt, er habe am 19. Juni 1994 um 2 Uhr 30 einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW an näher bezeichneten Orten gelenkt und sich hiebei in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand befunden; über ihn wurde wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 5 Abs. 1 in Verbindung mit 99 Abs. 1 lit. a StVO eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. April 1996 Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsverfahren eingestellt. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, sie sei auf der Grundlage eines umfangreichen Beweisverfahrens in freier Beweiswürdigung zur Auffassung gelangt, dass eine Alkoholbeeinträchtigung des Mitbeteiligten für die Lenkzeit von 2 Uhr 30 nicht zweifelsfrei erweisbar sei. Zum einen stehe es dem Beschuldigten in einem Verwaltungsstrafverfahren frei, sich in jeder ihm günstig erscheinenden Richtung zu verantworten und diese Verantwortung entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten zu "dosieren", d.h. es stehe ihm auch frei, essentielle Beweisanträge erst im Rechtsmittelverfahren zu stellen, wenn die Verfolgungsverjährungsfrist bereits abgelaufen und Verjährung eingetreten sei. Im gegenständlichen Fall sei das Verwaltungsstrafverfahren ausschließlich auf der Grundlage der Beschuldigtenverantwortung durchgeführt worden, wobei auch hier Ungereimtheiten hinsichtlich der Trinkverantwortung aufgetaucht seien. In objektiver Hinsicht stehe nur fest, dass der Mitbeteiligte um 9.03 Uhr einen Atemalkoholgehalt von 0,48 mg/l aufgewiesen habe und auf der Grundlage des Beweisverfahrens sei nicht auszuschließen, dass er sich nach dem Unfall tatsächlich in der Diskothek "La Vie" aufgehalten und dort Bier konsumiert habe. Auch wenn sich die Zeugin L. (Kellnerin in der Diskothek) bedingt durch die inzwischen verstrichene Zeit und ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr daran erinnern könne, ob der Mitbeteiligte am 19. Juni 1994 tatsächlich die Diskothek besucht habe und auch wenn die belangte Behörde erhebliche Zweifel daran hege, ob die Angaben des Mitbeteiligten im Rahmen des vor der belangten Behörde durchgeführten Beweisverfahrens der Wahrheit entsprächen - auch hier ergäben sich zahlreiche Ungereimtheiten - so reiche dies nicht aus, um konkrete Aussagen über eine Alkoholbeeinträchtigung zum Unfallszeitpunkt treffen zu können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen hat:

Die mitbeteiligte Partei führt zur Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde in ihrer Gegenschrift zunächst aus, einer Amtsbeschwerde könne lediglich in Fällen der objektiven Rechtsverletzung Berechtigung zukommen. Rechtswidrig sei ein Bescheid, wenn er gegen materielles und formelles Recht verstoße, nicht aber dann, wenn die belangte Behörde in der Beweiswürdigung des mit Beschwerde bekämpften Bescheides von ihrem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes, das heißt ohne Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch Gebrauch gemacht habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass bei einer so genannten "Amtsbeschwerde" im Grunde des Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B VG nicht ein Eingriff in subjektive Rechte, sondern die objektive Rechtswidrigkeit eines verwaltungsbehördlichen Bescheides behauptet wird (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 68). Bei einer solchen Beschwerde kommt die Verletzung eines Rechtes des Beschwerdeführers (und auch die Behauptung einer solchen, vgl. § 28 Abs. 2 VwGG) nicht in Betracht; es handelt sich vielmehr bei einer Amtsbeschwerde um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzlichkeit der Vollziehung, welches losgelöst vom individuellen Parteiinteresse als so genannte objektive Beschwerde wegen jeder unterlaufenen Rechtsverletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes eingesetzt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1997, Zl. 94/13/0002, uva).

Die Beschwerde ist daher zulässig. Sie ist auch begründet:

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung des verwaltungsbehördlichen Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Da der Verwaltungsgerichtshof im Fall einer Bescheidbeschwerde nur eine nachprüfende Tätigkeit auszuüben, keinesfalls aber eine Sachentscheidung zu treffen hat, kann die Beweiswürdigung daher nur insoweit überprüft werden, als es sich um die Feststellung handelt, ob der Sachverhalt genügend erhoben wurde und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 548 f, angeführte Judikatur).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. Jänner 1996, Zl. 95/02/0289, mwN) im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit eines behaupteten Nachtrunkes dem Umstand Bedeutung beigemessen, zu welchem Zeitpunkt der Lenker diese Behauptung aufgestellt hat. In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Umstandes ist davon auszugehen, dass auf einen allfälligen Nachtrunk bei erster sich bietender Gelegenheit - von sich aus - hingewiesen wird. Im vorliegenden Beschwerdefall hat der Mitbeteiligte allerdings trotz gebotener Gelegenheit die Behauptung eines Nachtrunkes erst in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis erhoben. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung darauf verwiesen, dass bei der ersten Befragung in der Regel am ehesten richtige Angaben gemacht werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. März 1994, Zl. 92/11/0278). Weiters entspricht es der hg. Rechtsprechung (vgl. das soeben zitierte Erkenntnis), dass derjenige, der sich auf einen Nachtrunk beruft, die Menge des solcherart konsumierten Alkohols konkret zu behaupten und zu beweisen hat.

Mit dieser Rechtsprechung hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinander gesetzt, sie hat sich in ihrer Beweiswürdigung vielmehr auf die Aussagen beschränkt, dass im Verwaltungsstrafverfahren "Ungereimtheiten hinsichtlich der Trinkverantwortung" aufgetaucht seien und sie auch erhebliche Zweifel daran hege, ob die Angaben des Mitbeteiligten vor der belangten Behörde der Wahrheit entsprächen; "auf der Grundlage des Beweisverfahrens" sei jedoch nicht auszuschließen, dass der Mitbeteiligte nach dem Unfall in einer Diskothek Bier konsumiert habe. Eine (schlüssige) Begründung dafür, auf welche Beweisergebnisse diese allseitigen "Zweifel und Ungereimtheiten" zu gründen sind, lässt der angefochtene Bescheid vermissen.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift schließlich auf den Grundsatz "in dubio pro reo" verweist, ist ihr zu entgegnen, dass diese Regel nur für jene Fälle gilt, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte; nur wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. November 1991, Zl. 91/02/0077, mwN). Ob ein solcher Fall vorliegt, wird die belangte Behörde jedoch erst nach Durchführung einer den Anforderungen an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung entsprechenden Begründung zu bewerten haben.

Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 27. April 2000

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