VwGH 95/20/0659

VwGH95/20/065910.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1995, Zl. 4.346.202/1-III/13/95, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung und Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchteil I wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, der am 13. Februar 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat am 14. Februar 1995 einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Februar 1995 abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer vor Rechtskraft dieses Bescheides jedoch keine Berufung. Den am 9. März 1995 erhobenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 24. März 1995 gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab (Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides), und die Berufung des Beschwerdeführers gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes infolge Verspätung zurück (Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides).

Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres Bescheides im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe sich an einen Flüchtlingsberater - M vom Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer - gewandt, damit dieser eine Berufung verfasse. Der Genannte habe am letzten Tage der Berufungsfrist (Freitag, 3. März 1995) die Berufungsschrift erstellt. Durch einen akuten Schmerz- und Schwindelanfall in Verbindung mit Sehstörungen, welche die Dispositionsfähigkeit des Vertreters stark eingeschränkt hätten, sei der Brief mit der verfahrensgegenständlichen Berufung jedoch übersehen und nicht mehr zur Post gebracht worden. Der Flüchtlingsberater habe sich zwar trotz seiner Schmerzen auf das Postamt begeben, um dort alle anderen Poststücke aufzugeben. Lediglich die Berufung des Beschwerdeführers sei dabei übersehen worden. Es sei auch ein ärztliches Attest vorgelegt worden, das bestätige, daß der Flüchtlingsberater am 3. März 1995 infolge einer Erkrankung seine Termine nicht ordnungsgemäß hätte wahrnehmen können. An diesem Freitagnachmittag sei mit Ausnahme von M niemand im Büro gewesen, sodaß der Flüchtlingsberater erst am Montag den liegengebliebenen Brief bemerkt und daher in weiterer Folge einen Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand gestellt habe.

Die belangte Behörde ging auf Grund des dargestellten Sachverhaltes davon aus, daß es keinen bloß minderen Grad des Versehens und auch kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis darstelle, wenn die vom Beschwerdeführer beauftragte Person - wenn auch unter der Wirkung einer akuten Erkrankung stehend - aus Versehen die Berufungsschrift des Beschwerdeführers nicht zur Aufgabe gebracht habe, wo dieser doch noch in der Lage gewesen sei, alle anderen Poststücke zur Beförderung zu bringen, sodaß in diesem Zusammenhang nicht von einer die Dispositionsfähigkeit ausschließenden Krankheit im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gesprochen werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Hiebei ist grundsätzlich das Verschulden des Parteienvertreters der Partei zuzurechnen, wobei jedoch ein geradezu weisungswidriges Verhalten des Kanzleiangestellten das Verschulden des Vertreters ausschließt, sofern kein Verschulden des Bevollmächtigten selbst hinzutritt (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 658, angeführte Judikatur). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer einen Flüchtlingsberater damit beauftragt und bevollmächtigt, eine Berufung gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes zu verfassen.

In der Regel kann Krankheit nicht von vornherein als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1992, Zl. 91/05/0118), vielmehr begründet - nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nur eine die Dispositionsfähigkeit des Vertreters AUSSCHLIESSENDE Erkrankung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. den hg. Beschluß vom 9. Mai 1949, Zl. 1411/48, Slg. N. F. Nr. 811/A, u.v.a.). Dies trifft bei einer Erkrankung dann zu, wenn sie einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge hat und so plötzlich und so schwer auftritt, daß der Erkrankte nicht mehr in der Lage ist, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, S. 625 f zitierte Judikatur). Die belangte Behörde hat die Behauptung des Beschwerdeführers, daß bei Mag. S. eine derartige Krankheit vorgelegen sei, nicht als unglaubwürdig erachtet. Der belangten Behörde ist in diesem Zusammenhang zwar zuzugestehen, daß derjenige, der - wenn auch ehrenamtlich - professionelle Vertretungshandlungen übernimmt, innerhalb seines Bereiches grundsätzlich dafür zu sorgen hat, daß in plötzlich auftretenden Behinderungsfällen dennoch der reibungslose Ablauf der Büroorganisation gegeben ist. Dies kann aber nur für vorhersehbare, im alltäglichen Büroablauf üblicherweise auftretende Umstände gelten, nicht jedoch für den unerwartet und plötzlich auftretenden Zustand der Dispositionsunfähgikeit des bevollmächtigten Vertreters selbst.

Da die belangte Behörde das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der Berufungsschrift als zur Begründung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht geeignet ansah, war der bekämpfte Bescheid in seinem Spruchteil 1 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Im übrigen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, weil über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage entschieden werden kann (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251).

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich auf den Umstand, daß Umsatzsteuer bereits in dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand enthalten ist und nicht ein weiteres Mal zuerkannt werden kann.

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