VwGH 95/20/0477

VwGH95/20/04775.6.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerden 1. des R M , 2. der I S , und 3. des mj. Y M , alle wohnhaft in S, alle vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 1995, gemeinsame Zl. 4.325.260/16-III/13/95, betreffend Asylgewährung zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin, ein Ehepaar iranischer Staatsangehörigkeit, reisten am 20. Oktober 1991 in das Bundesgebiet ein und stellten am 23. Oktober 1991 den Antrag, ihnen Asyl zu gewähren. Der mj. Drittbeschwerdeführer wurde bereits in Österreich geboren. Anläßlich der am 28. Oktober 1991 erfolgten niederschriftlichen Befragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gaben beide im wesentlichen gleichlautend an, sie seien weder Mitglieder einer politischen Partei noch einer solchen Organisation gewesen, sie seien jedoch Angehörige der armenischen christlichen Minderheit, die seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 ständig diskriminiert und in der Gesellschaft benachteiligt würde. Christliche Armenier dürften ihre Religion nicht uneingeschränkt ausüben. Des weiteren gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe nun eine Familie gegründet, und seine Frau erwarte ein Kind, daher wolle er, daß dieses Kind eine armenische Erziehung habe, was jedoch im Iran unmöglich sei. Vor einem Jahr (offenbar gerechnet vom Datum seiner niederschriftlichen Befragung) habe er sich mit einigen Freunden unterhalten; dabei sei Alkohol getrunken worden. Sie seien von Revolutionswächtern überrascht und festgenommen worden. Man habe ihn mit 80 Peitschenhieben bestrafen wollen, doch habe er mit Zahlung eines Betrages von 500.000 Rial Strafe die körperliche Mißhandlung abwehren können. Da sich seine Eltern und Geschwister bereits seit Jahren in den USA aufhielten, habe er sich entschlossen, ebenfalls in die USA auszuwandern. Er wolle deshalb in sein Heimatland keinesfalls zurückkehren, da er dort niemanden mehr habe. "Passieren" würde ihm bei seiner Rückkehr vermutlich nichts, da er einen Reisepaß bei der Ausreise gehabt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin ergänzte ihre Fluchtgründe in bezug auf ihre Person dahingehend, etwa vor 2 Monaten (offenbar ebenfalls gerechnet ab dem Datum der Einvernahme) habe sie sich bezüglich der Essensmarken anstellen müssen und sei dabei mit einer Moslemin in Streit geraten, weil diese sie (die Beschwerdeführerin) als Christin und als "unreine Frau" beschimpft habe. Im nachhinein habe sie dann erfahren, daß der Ehemann und der Sohn der Frau beim Revolutionskommitee seien und habe Angst bekommen, daß ihr deswegen etwas passieren könne. Da sie beide immer derartigen Schwierigkeiten ausgesetzt gewesen seien, hätten sie sich in der Folge entschlossen, zur Verwandtschaft des Erstbeschwerdeführers in die USA zu flüchten. Sie wolle auf keinen Fall in ihr Heimatland zurückkehren. Bezüglich des mj. Drittbeschwerdeführers wurde bei der Erstbehörde für diesen durch seinen gesetzlichen Vertreter, den Erstbeschwerdeführer, "unter Berufung auf die Bestimmungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge die Asylgewährung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft" beantragt. Eine Einvernahme des mj. Drittbeschwerdeführer erfolgte (naturgemäß) nicht.

Mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 28. (Erstbeschwerdeführer) bzw. 29. (Zweitbeschwerdeführerin) Oktober 1991, sowie hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers vom 15. April 1992 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllten.

Infolge der dagegen erhobenen Berufungen erließ die belangte Behörde ihre Bescheide vom 9. Februar 1994, die infolge Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnissen, jeweils vom 20. Dezember 1994, Zlen. 94/20/0570 und 0571 (betreffend den Erst- und Drittbeschwerdeführer) und 94/20/0553 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben wurden (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94), sodaß die Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurden.

Über diesbezügliche Aufforderung der belangten Behörde erstatteten alle drei Beschwerdeführer Berufungsergänzungen, jeweils mit Datum 24. Mai 1995, wobei der Erstbeschwerdeführer "nochmals" geltend machte, während seiner Inhaftierung geschlagen und mit Stromstößen mißhandelt worden zu sein, und daß er eine nicht unberechtigte (gemeint offenbar: nicht unerhebliche) Strafe habe zahlen müssen, um weiteren Verfolgungshandlungen - 80 Peitschenhieben - zu entgehen. Hintergrund des Ganzen bilde sein christliches Glaubensbekenntnis. Die gesamte Glaubensübung habe sich in den Grenzen des Islam zu bewegen, dabei bleibe nur ein kleiner Spielraum offen. Art. 13 der iranischen Verfassung stelle lediglich eine programmatische Formel ohne jegliche konkrete Ausformung dar. Im übrigen beantragte der Erstbeschwerdeführer die Einholung eines Gutachtens bzw. von Länderberichten von Amnesty International. Die Zweitbeschwerdeführerin verwies nochmals auf die katastrophale menschenrechtliche Situation der christlich-gregorianischen Minderheit im Iran, beantragte zur genauen Ermittlung der Sach- und Rechtslage in ihrem Heimatland die Einholung eines "umfassenden Gutachtens" und verwies ebenfalls auf die Länderberichte von Amnesty International. Ihre Verfolgungssituation habe sich infolge des Streites mit der Gattin eines Repräsentanten des Revolutionskommitees so zugespitzt, daß sie in der Folge ständigen Repressalien ausgesetzt gewesen wäre. Im übrigen habe sich am bisherigen System im Iran nichts geändert, vielmehr nähmen die Einschränkungen, die die gregorianisch-christliche Minderheit tagtäglich erfahre, ständig zu. Für den Drittbeschwerdeführer verwies der Erstbeschwerdeführer lediglich auf seine Angaben und die sich daraus ergebende Verfolgungssituation und folgerte, dadurch sei selbstverständlich auch sein Sohn in großer Gefahr.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer (neuerlich) gemäß § 66 Abs.4 AVG ab und beurteilte den sich aus den Angaben der Beschwerdeführer in erster Instanz ergebenden Sachverhalt rechtlich hinsichtlich Erst- und Zweitbeschwerdeführer(in) nahezu wortgleich dahingehend, daß allgemeine Beeinträchtigungen, denen armenische Christen wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt seien, asylrechtlich nicht beachtliche Diskriminierungen seien, die sowohl für sich als auch in der Gesamtschau gesehen mangels Intensität des Verfolgungseingriffes nicht den Tatbestand einer Verfolgung (gemeint im Sinne der Genfer Konvention) erfüllten. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (auch religiösen) Minderheit allein sei noch kein Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Damit wohlbegründete Furcht vor Verfolgung angenommen werden könne, müßten die Zustände im Heimatland eines Asylwerbers auch aus objektiver Sicht betrachtet so sein, daß ein weiterer Verbleib des Asylwerbers dort unerträglich wäre. Die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden innen- und außenpolitischen System bilde ebenfalls für sich allein noch keinen Grund, ihn als Flüchtling anzuerkennen. Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers führte die belangte Behörde weiters aus, auch der Konsum von Alkohol und allfällig daraus resultierende Bestrafungen seien keine Fluchtgründe nach der Genfer Konvention, da derartige Maßnahmen lediglich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral dienten. Ebensowenig sei der Wunsch nach Emigration ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling. Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin führte die belangte Behörde darüber hinaus aus, auch der Umstand eines behaupteten Streites mit einer Moslemin (bzw. die daran geknüpften Befürchtungen) vermöchten keine politisch oder religiös indizierte Verfolgung darzustellen. Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers führte die belangte Behörde "im Rahmen der Beweiswürdigung" lediglich aus:

"Wenn Sie sich auf die Verfolgung Ihrer Eltern beziehen, wird bemerkt, daß im Falle Ihrer Eltern eine Verfolgung nicht festgestellt werden konnte, weshalb die Gewährung von Asyl bereits aus diesem Grunde nicht zulässig ist. Eine konkret gegen Ihre Person gerichtete Verfolgung haben Sie nicht glaubhaft gemacht."

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende gemeinsame Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften machen die Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, die belangte Behörde hätte die von ihnen beantragten Beweise aufnehmen müssen, die unbedingt dafür erforderlich gewesen wären, die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben im Hinblick auf die allgemeine politische Situation im Iran zu bekräftigen und damit den Asylantrag zu stützen. Des weiteren hätte die belangte Behörde in der Begründung nachvollziehbar darzulegen gehabt, weshalb sie trotz des Umstandes, daß ihr Beeinträchtigungen armenischer Christen im Iran bekannt seien, diese Kenntnis bei Beurteilung ihrer Asylanträge unter Hinweis auf die Verfassungsrechtssituation im Iran nicht berücksichtigt habe. Sie habe auch keine Grundlagen für die Annahme gehabt, es bestehe Religionsfreiheit, wie sie in der Verfassung verankert sei. Vielmehr hätte die belangte Behörde festzustellen gehabt, daß die Praxis der iranischen Behörden von dieser rechtlichen Grundlage abweiche.

Die behaupteten Verfahrensmängel liegen jedoch nicht vor. Die Vermutung der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe die von ihnen dargelegten Gründe nicht als "glaubwürdig" erkannt, trifft nicht zu, unterzieht doch die belangte Behörde gerade diese Angaben ihrer rechtlichen Beurteilung, woraus sich bereits entnehmen läßt, daß sie sie zu Feststellungen erhoben, damit aber auch ihre Wahrhaftigkeit zugestanden hat. Eines weiteren Nachweises für die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer war daher nicht vonnöten. (Daß die Beschwerdeführer die von ihnen behauptete Verfolgungsgefahr nicht "GLAUBHAFT" machen konnten, beruht auf den

- nachfolgenden - rechtlichen Überlegungen). Auch der behauptete Begründungswiderspruch liegt nicht vor, da die Feststellung, nach der iranischen Verfassung herrsche Religionsfreiheit, keineswegs der Feststellung von Beeinträchtigungen der armenischen Christen im Iran , die die belangte Behörde in ihrem Bescheid ohnedies als gegeben ansieht, widerspricht. Mit diesem angeblichen Begründungswiderspruch stellt die belangte Behörde hier überdies gerade fest, was die Beschwerdeführer in Punkt 3 ihrer diesbezüglichen Beschwerdeausführungen festgestellt haben wollen, nämlich die Abweichung der Praxis von der Verfassungsrechtslage. Darüber hinausgehende Ermittlungen erweisen sich aber aus anderen rechtlichen Erwägungen nicht mehr als entscheidungsrelevant.

Den unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemachten Rechtsausführungen ist nämlich insgesamt zu entgegnen, daß die Beschwerdeführer verkennen, daß sie im gesamten Verwaltungsverfahren konkrete, individuell gegen sie selbst gerichtete Verfolgungshandlungen von jener von der Genfer Konvention geforderten INTENSITÄT, die nach objektiven Kriterien gemessen den Weiterverbleib in der Heimat UNERTRÄGLICH machen müßte, nicht behauptet haben (vgl. die bereits von der belangten Behörde zutreffend zitierte Verwaltungsgerichtshof-Judikatur).

Weder eine Bestrafung wegen unzulässigen Alkoholkonsums noch auch mögliche Reaktionen repressiven Charakters auf einen Streit unter Frauen, weisen auch vor dem Hintergrund der von allen Angehörigen einer christlich-armenischen Minderheit zu erduldenden Beeinträchtigungen diese Intensität auf. Überdies kann die Bestrafung des Erstbeschwerdeführers wegen Alkoholkonsums nicht mehr in einen zeitlichen Zusammenhang mit seiner Ausreise aus seinem Heimatland gebracht werden, weshalb auch die angeblichen Mißhandlungen und Folterungen anläßlich der daraus resultierenden Inhaftierung asylrechtlich nicht mehr relevant sind.

Insgesamt erweisen sich daher die den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Bescheide als nicht rechtswidrig.

Was den Drittbeschwerdeführer anlangt, ist lediglich aus dem Inhalt des ihn betreffenden erstinstanzlichen Bescheides ableitbar, daß die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG über seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne der §§ 1 Z. 1, 3 AsylG 1991 entschieden hat, obwohl diesbezügliche Sachverhaltsgrundlagen dem Akt und entsprechende Feststellungen dem Bescheid nicht zu entnehmen sind. Die betreffenden Beschwerdeausführungen erschöpfen sich lediglich in einem generellen Verweis auf die seine Eltern betreffenden Ausführungen, sodaß in concreto eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides in der Beschwerde nicht zur Darstellung gelangte und vom Verwaltungsgerichtshof daher auch nicht aufzugreifen war. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob Gegenstand des in erster Instanz gestellten Antrages nicht vielmehr eine Ausdehnung des Asyls gemäß § 4 AsylG 1991 gewesen ist (der jedoch im Hinblick auf die Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens der Eltern abzuweisen gewesen wäre).

Aus diesen Gründen erweisen sich die gemeinsam erhobenen Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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