VwGH 95/20/0028

VwGH95/20/002826.7.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Oktober 1994, Zl. 4.320.766/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Oktober 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesh, der am 4. Juli 1991 in das Bundesgebiet eingereist war und am 18. Juli 1991 den Asylantrag gestellt hatte, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 21. August 1991, mit dem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre ihm kein Asyl.

Die belangte Behörde ging in der Begründung ihres Bescheides von den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 21. August 1991 aus, anläßlich derer er angegeben hatte, er gehöre seit 1988 der NP (Nationale Partei) an und habe sich an einigen Demonstrationen beteiligt und auch Flugzettel verteilt. Die Nationale Partei sei Gegenpartei der Regierungspartei BNP und es komme bei den Demonstrationen immer zu Auseinandersetzungen. Er sei auch schon mehrmals von Leuten der Regierung bedroht worden, aus der NP auszutreten, ansonsten er "mit Schwierigkeiten rechnen müßte". Er habe sich vorerst jedoch davon nicht beeindrucken lassen und sei weiterhin Mitglied der NP geblieben. Am 30. März 1991 habe er wieder an einer Demonstration in F teilgenommen, wo es erneut zu schweren Ausschreitungen mit den Leuten der BNP gekommen sei. Dabei sei eine Angehörige der BNP erschossen und die Schuld daran ihm und noch einigen anderen Leuten der NP in die Schuhe geschoben worden. Er sei jedoch unschuldig und wisse auch nicht, wer die Frau erschossen habe. Er werde seither zum Zwecke der Inhaftierung von der Polizei gesucht. Er sei jedoch unschuldig, könne dies aber nicht beweisen und sei auch seither von der BNP mit dem Umbringen bedroht worden, weshalb er seine Heimat verlassen habe. Im Falle seiner Rückkehr würde er wahrscheinlich umgebracht.

In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid gerichteten Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer im wesentlichen diese Angaben und ergänzte, die Nationale Partei NP sei bis 1990 neun Jahre Regierungspartei in Bangladesh gewesen, sei jedoch danach infolge einer Revolution und Wahlen von der BNP abgelöst worden. Seit diesem Zeitpunkt seien viele der Parteiführer der NP verhaftet worden, bei Demonstrationen sei es immer wieder zu Ausschreitungen gekommen. Seit der Erschießung eines Mitgliedes der BNP am 30. März 1991 anläßlich einer Demonstration werde er von der Polizei gesucht, weil ihm diese Tat angelastet werde. Es sei ihm nicht möglich zu beweisen, daß er an dieser Tat nicht beteiligt gewesen sei, da die staatlichen Organe weder fähig noch willens gewesen seien, Mitgliedern der NP Glauben zu schenken. Auch von Seiten der BNP werde er seit diesem Tag bedroht und verfolgt. Da man gedroht habe, ihn umbringen zu lassen, habe er keine Chance auf ein sicheres Leben in seiner Heimat. Sollte er in seine Heimat zurückkehren müssen, würde er wahrscheinlich umgebracht werden. Solange die BNP an der Macht sei, sei es ihm nicht möglich, seine Unschuld am Tod des Parteimitglieds am 30. März 1991 zu beweisen, daher bleibe auch die Gefahr für sein Leben solange aufrecht.

Rechtlich kam die belangte Behörde zu dem Schluß, der Beschwerdeführer habe damit das Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Behördliche Ermittlungen seines Heimatstaates wegen strafbarer Verhaltensweisen sei keinesfalls als "Verfolgung" im Sinne des Asylgesetzes anzusehen, da es ja die Aufgabe der Polizeibehörden jedes Landes sei, Straftaten aufzuklären. Daß sich die Ermittlungen auch auf die Person des Beschwerdeführers als zur Tatzeit und am Tatort Anwesenden hätten erstrecken müssen, erscheine plausibel. Sollte er tatsächlich zu Unrecht belastet worden sein, so wäre es dem Beschwerdeführer jedenfalls zuzumuten, sich "wie jeder andere Staatsbürger in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften". Daß er dies jedoch nicht getan, sondern sich vielmehr durch Flucht jeder polizeilichen Ermittlung entzogen habe, müsse den Verdacht gegen seine Person noch verstärken. Der Beschwerdeführer unterstelle ferner den staatlichen Organen seines Heimatlandes Parteilichkeit, "ohne diese Behauptung zu begründen oder zu konkretisieren". Tatsache sei, daß der Beschwerdeführer durch seine Flucht den Behörden jede Möglichkeit genommen habe, seine Rechtfertigung anzuhören und sich damit auseinanderzusetzen; der Beschwerdeführer habe vielmehr dadurch unterlassen, "durch eine Zeugenaussage womöglich zur Aufklärung des Mordes beizutragen". Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer bereits am Tag der besagten Demonstration die Stadt verlassen und sich bis zu seiner Ausreise verborgen gehalten habe, sei seine Behauptung, während dieser Zeit von Angehörigen der Gegenpartei bedroht worden zu sein, wenig glaubhaft.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer tritt den Schlüssigkeitserwägungen der belangten Behörde insbesondere mit dem Argument entgegen, daß die Ermittlungen der Polizeibehörden seines Heimatlandes, welche von der BNP geleitet würden, nicht nach sachlichen und objektiven Gesichtspunkten durchgeführt würden, sondern ausschließlich gegen die und zum Nachteil der Mitglieder der früheren Regierungspartei. Auf Grund der bereits zuvor ausgesprochenen Drohungen sei gewiß, daß die nunmehrige Regierungspartei den Todesfall zum Anlaß nehme, sämtliche aktive Mitglieder der früheren Regierungspartei zu liquidieren. Es dürfe als amtsbekannt angenommen werden, daß Strafverfahren samt Vorverfahren auf Grund von Willkür, Folter, etc. nicht dem Grundsatz des fairen Verfahrens gerecht würden. Aus diesem Grunde sei es dem Beschwerdeführer keinesfalls zuzumuten gewesen, sich - "wie jeder andere Staatsbürger" - dem Gericht zu stellen, vielmehr sei evident, daß Beweismittel einseitig und lediglich zum Nachteil der Mitglieder der früheren Regierungspartei aufgenommen würden. Der Vorwurf der Parteilichkeit der staatlichen Organe von Bangladesh sei begründet, sofern nicht angenommen werde, daß Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen kein Glauben geschenkt werden dürfe.

Dieses Vorbringen ist beachtlich. Insoweit nämlich die belangte Behörde das Vorgehen der nach den Behauptungen des Beschwerdeführers der BNP nahestehenden staatlichen Stellen gegen ihn und andere Oppositionelle lediglich als asylrechtlich unerhebliche strafrechtliche Verfolgung im Zusammenhang mit der Ermordung eines BNP-Mitgliedes gewertet hat, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland strafrechtlichen Verfolgungen ausgesetzt bzw. mit dem (ungerechtfertigten?) Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung konfrontiert war, schließt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus, weil damit noch nicht gesagt ist, daß die allenfalls vom Beschwerdeführer zu erwartenden Sanktionen ihre Grundlage allein in strafrechtlichen Belangen, nicht aber auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten sind, hätten. Einer strafrechtlichen Verfolgung wäre der Charakter einer asylrelevanten Verfolgung aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) nur dann genommen, wenn die Durchführung des Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet wäre, weil erst dadurch der Aspekt einer mit Konventionsgründen im Zusammenhang stehenden Verfolgung derart in den Hintergrund treten würde, daß von asylrelevanter Verfolgung nicht mehr die Rede sein könnte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0986 und vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0291). Der Beschwerdeführer hat in seinem erstinstanzlichen Vorbringen, insbesondere aber auch in seiner Berufung in Abrede gestellt, in seinem Heimatland die Gewähr für ein faires Verfahren zu haben, weil sämtliche Beweismittel stets zum Nachteil der Oppositionellen verwendet würden, und die Strafverfolgung Teil einer aus politischen Motiven durchgeführten systematischen Liquidierung aller politischen Gegner sei. In diesem Falle aber wäre es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar gewesen, sich einem von vornherein als zu politischen Zwecken mißbrauchten parteilichen Verfahren zu stellen. Insbesondere der Hinweis der belangten Behörde auf die von den Behörden des Heimatstaates des Beschwerdeführers beobachteten rechtsstaatlichen Grundsätze erweist sich zumindest ebenso begründungs- und konkretisierungslos wie die Behauptung des Beschwerdeführers über die den staatlichen Organen seines Heimatlandes zu unterstellende Parteilichkeit, die durch Berichte internationaler Organisationen zumindest glaubhaft gemacht werden. Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der diesbezüglichen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers, insbesondere aber auch mit den politischen Gegebenheiten auseinanderzusetzen haben, wobei insbesondere Art und Zielsetzung der angeblichen Oppositionspartei, der der Beschwerdeführer angehört, Augenmerk zu schenken wäre.

Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers erweist sich daher als mit Verfahrens- und Begründungsmängeln behaftet, weshalb der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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