Normen
DBAbk UdSSR 1982 Art11 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er über die Haftung für Lohnsteuer für den Zeitraum vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1991 abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im Gefolge einer Lohnsteuerprüfung für den Zeitraum vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1991 kam es mit Bescheid vom 11. November 1992 zu einer Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführerin gemäß § 82 EStG wegen nicht entrichteter Lohnsteuer für einen in Österreich ansässigen Dienstnehmer, der allerdings im Prüfungszeitraum auch für eine Tätigkeit "in der ehemaligen Sowjetunion" ein (zusätzliches) Gehalt bezog. Diese
Bezüge hatte die Beschwerdeführerin nicht als in Österreich lohnsteuerpflichtig angesehen.
Im Berufungsverfahren vertrat die Beschwerdeführerin im wesentlichen den Standpunkt, aufgrund des maßgebenden Doppelbesteuerungsabkommens Österreich-UdSSR (DBA-UdSSR) unterlägen die an den aufgrund des Dienstvertrages vom 7. April 1986 für einen Zeitraum von fünf Jahren als Direktor einer russischen Repräsentanz in der Sowjetunion entsandten Arbeitnehmer für die dort ausgeübte Tätigkeit bezahlten Bezüge deshalb nicht der inländischen Lohnbesteuerung, weil die "183-Tage-Frist" des Art. 11 Abs. 1 DBA-UdSSR überschritten sei. Dazu brachte die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 24. Mai 1993 auch vor, die 183-Tage-Regel des Art. 11 Abs. 1 DBA-UdSSR sei nicht kalenderjahresbezogen konzipiert, was zur Folge habe, daß die Tageszählung bei einer als Einheit zu wertenden Auslandstätigkeit unbefristet weiterlaufe.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung in der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren strittigen Frage der Haftung für Lohnsteuer keine Folge. Sie führte aus, daß die im Art. 11 Z. 1 des DBA-UdSSR enthaltene 183-Tage-Frist anhand der physischen Anwesenheit des Arbeitnehmers im Tätigkeitsstaat zu prüfen sei. Demgemäß gelange die belangte Behörde bei Durchführung einer kalenderjahresbezogenen Betrachtungsweise zu dem Ergebnis, daß der entsandte Arbeitnehmer sich in den einzelnen Jahren 1987 bis 1991 jeweils nicht 183 Tage in der Sowjetunion aufgehalten habe (1987 155, 1988 145, 1989 145, 1990 88 und 1991 87 Tage). Bei dieser Berechnung ging die belangte Behörde von den von der Beschwerdeführerin (im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz) gemachten Angaben über die Aufenthaltstage in der Sowjetunion aus, verminderte diese aber um die Tage für sogenannte "Opinion-Leader-Programme", während derer sich der Arbeitnehmer etwa mit russischen Geschäftsfreunden außerhalb der Sowjetunion aufgehalten habe (die von der Beschwerdeführerin beigebrachte Aufstellung der Aufenthaltstage weist im übrigen - ohne Berücksichtigung der "Opinion-Leader-Programme" - für die Jahre 1987 bis 1991 Aufenthaltstage in der Sowjetunion von insgesamt 620 aus). Da somit der Aufenthalt des Arbeitnehmers in der Sowjetunion in "keinem der berufungsgegenständlichen Jahre den Zeitraum von 183 Tagen überschritten hat, ist hinsichtlich jener Bezüge, die die Tätigkeit des besagten Arbeitnehmers in der Sowjetunion betreffen, das Besteuerungsrecht der Republik Österreich gegeben".
In der Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach Art. 11 Z. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens, BGBl. Nr. 411/1982, dürfen Arbeitslöhne und andere Einkünfte, die eine in einem der Vertragsstaaten ansässige natürliche Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte Tätigkeit bezieht, in diesem anderen Staat nur dann besteuert werden, wenn sich die Person dort länger als insgesamt 183 Tage aufgehalten hat.
Die Beschwerdeführerin ist darin im Recht, wenn sie insbesondere in der Beschwerde darauf hinweist, daß die im Art. 11 Z. 1 DBA-UdSSR enthaltene 183-Tage-Frist nicht auf das Kalenderjahr bezogen ist, sondern auf die Zeitperiode der (einheitlichen) Entsendung, sonach unabhängig vom Kalenderjahr, abstellt (vgl. dazu etwa Loukota, Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der UdSSR und das OECD-Musterabkommen, in: Finanzjournal 1982, 143).
Die belangte Behörde tritt diesem gegen die kalenderjahresbezogene Berechnung der Aufenthaltstage gerichteten Beschwerdevorbringen in der Gegenschrift im Grunde nicht entgegen, vermeint aber, daß dieses Beschwerdevorbringen wegen des nach § 41 VwGG geltenden Neuerungsverbotes, unbeachtlich sei. Abgesehen davon, daß - wie oben wiedergegeben - die Beschwerdeführerin bereits im Antrag auf Vorlage ihrer Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz ein nicht kalenderjahresbezogenes Konzept des Art. 11 Abs. 1 DBA-UdSSR ansprach, kann die belangte Behörde aus dieser Ansicht nichts für sich gewinnen, weil die Auslegung anzuwendender Rechtsnormen (hier: Art. 11 Abs. 1 DBA-UdSSR) keine Sachverhalts- sondern eine Rechtsfrage ist. Wenn damit die belangte Behörde ausgehend von einer unrichtigen Rechtsauffassung ihre Entscheidung getroffen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, daß Aufenthalte außerhalb der Sowjetunion während der (einheitlichen) Entsendedauer (so im Zuge der sog. "Opinion-Leader-Programme") die Fristenberechnung nur hemmen
(vgl. auch ... "insgesamt" ... im Art. 11 Z. 1 DBA-UdSSR),
diese aber nicht (mit der Folge des jeweiligen Beginns eines neuen Fristenlaufs) unterbrechen.
Der angefochtene Bescheid war damit (soweit er über die Haftung betreffend Lohnsteuer für den Zeitraum vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1991 abspricht) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren in Höhe von S 120,--, weil der angefochtene Bescheid nur in einfacher Ausfertigung der Beschwerde anzuschließen war (vgl. § 28 Abs. 5 VwGG).
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