VwGH 95/04/0176

VwGH95/04/017628.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 14. Juli 1995, Zl. 91508/7005-III/7/95, betreffend Verweigerung der Standesbezeichnung "Ingenieur", zu Recht erkannt:

Normen

IngG 1990 §4 Abs1 Z1 lita;
IngG 1990 §4 Abs1 Z1 litb;
IngG 1990 §4 Abs1 Z1 lita;
IngG 1990 §4 Abs1 Z1 litb;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid vom 14. Juli 1995 gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten dem Ansuchen des Beschwerdeführers um die Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Z. 1 des Ingenieurgesetzes 1990 nicht statt. Zur Begründung führte der Bundesminister aus, der Beschwerdeführer habe am 1. Juni 1995 die Reifeprüfung an der Höheren Lehranstalt für Berufstätige - "Maschinenbau" (richtig: "Elektrotechnik") abgelegt. Aus dem Zwischenzeugnis der E-AG vom 6. Juli 1995 sei ersichtlich, daß er am 28. Februar 1990 die Ausbildung im Lehrberuf "Elektromechaniker" durch Ablegung der Lehrabschlußprüfung abgeschlossen habe. Seither sei er im Berechnungsbüro für Transformatoren tätig. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beendigung der HTL-Ausbildung und der Reifeprüfung könne er noch keine mindestens dreijährige "ingenieurmäßige" Berufspraxis nachweisen, da als derartige Praxis nur eine solche in Betracht komme, die höhere Fachkenntnisse voraussetze, sodaß nur jene praktischen Betätigungen berücksichtigt werden könnten, die der Bewerber um die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" in einem Zeitraum absolviert habe, in welchem er bereits über diese höheren Fachkenntnisse verfügt habe. Der Beschwerdeführer habe außer der Lehrlingsausbildung keine weitere, vor der HTL-Ausbildung liegende theoretische Weiterbildung nachgewiesen, sodaß er jedenfalls drei Jahre vor der Reifeprüfung keine höheren HTL-Fachkenntnisse habe anwenden können. Es widerspreche nämlich der Lebenserfahrung, eine Person könne ohne entsprechende schulische Ausbildung oder eine sehr lange qualifizierte Berufsausbildung mit theoretischer Weiterbildung Tätigkeiten verrichten, für die vom Gesetz zwingend höhere Fachkenntnisse der fünfjährigen HTL-Ausbildung vorgeschrieben seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes macht er geltend, gemäß § 3 der Durchführungsverordnung zum Ingenieurgesetz 1990 sei als Berufspraxis eine berufliche Tätigkeit anzurechnen, wenn sie erlaubt und selbständig oder in einem Dienstverhältnis ausgeübt worden sei und im überwiegenden Maße höhere Fachkenntnisse des Fachgebietes voraussetze. Die im dritten Absatz des § 2 leg. cit. angeführte Umschreibung der gleichzuhaltenden Tätigkeiten lasse bei einem genauen Vergleich mit den von ihm seit 1. März 1990 bis heute verrichteten Tätigkeiten, wie sie in dem Zwischenzeugnis aufgezählt seien, nur den Schluß zu, daß diese sehr wohl im überwiegenden Maße höhere Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Elektrotechnik vorausgesetzt hätten und daher von der belangten Behörde anzurechnen gewesen wären. Die seit 1990 ausgeübte Tätigkeit gehe nämlich der Qualifikation nach weit über das Maß hinaus, das im Rahmen der Ausübung des Lehrberufes als Elektromechaniker überlicherweise erworben werde. Damit habe der Beschwerdeführer aber schon vor Beginn des fachlichen Praxiszeitraumes bei seiner ausgeübten Tätigkeit ein Niveau an fachlicher Qualifikation erlangt, das mit dem Abschluß der Reifeprüfung an der Höheren Lehranstalt für Berufstätige - Elektrotechnik verbunden sei. Das ergebe sich nicht zuletzt daraus, daß sich an Art und Umfang seiner Tätigkeit bei seinem derzeitigen Dienstgeber durch die Ablegung der Reifeprüfung nichts geändert habe und die an ihn gestellten fachlichen Qualifikationen, die er seit 1990 zu erfüllen habe, dieselben geblieben seien. Er habe niemals behauptet, daß seine bisher ausgeübte Tätigkeit im Bereich des Maschinenbaus gelegen sei. Die belangte Behörde übersehe auch, daß höhere Fachkenntnisse nicht zwingend nur durch theoretische Weiterbildung erlangt werden könnten. Die im Ingenieurgesetz 1990 und in der dazu ergangenen Durchführungsverordnung enthaltenen Ausdrücke "höhere Fachkenntnisse", "in überwiegendem Maße höhere Fachkenntnisse des Fachgebietes" und "ihnen gleichzuhaltende Tätigkeiten" seien unbestimmte Gesetzesbegriffe. Bisher sei die Verwaltungspraxis der belangten Behörde dergestalt gewesen, daß sie in einer Reihe von Anträgen der Arbeitskollegen des Beschwerdeführers, die genau die gleichen Tätigkeiten ausgeübt und die gleichen Bestätigungen vorgelegt hätten, diesen Anträgen auch stattgegeben habe. Unbestimmte Gesetzesbegriffe seien aber wie Ermessen zu behandeln. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stelle ein willkürliches, sachlich nicht begründbares Abweichen von einer ständigen Verwaltungsübung einen Verstoß gegen den auch den Gleichheitsgrundsatz miteinschließenden Sinn des Gesetzes dar. Die belangte Behörde habe durch Abweichung von ihrer ständigen Übung von dem ihr eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht. Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde sei auf das von ihm vorgelegte Zwischenzeugnis überhaupt nicht eingegangen und habe dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt, der Beschwerdeführer habe die Reifeprüfung an einer Höheren Lehranstalt für Berufstätige - Maschinenbau abgelegt. Darüber hinaus habe die belangte Behörde das Parteiengehör verletzt, weil sie dem Beschwerdeführer keine ausdrückliche Gelegenheit gegeben habe, zu den von ihr aus den, wie sich nun herausstelle, falschen Ermittlungsergebnissen geschlossenen Rechtsfolgerungen Stellung zu nehmen. Hätte sie dies nämlich getan, so wäre es ihm ermöglicht worden, darauf hinzuweisen, daß er die Reifeprüfung nicht auf dem Gebiet des Maschinenbaues, sondern auf dem Gebiet der Elektrotechnik abgelegt habe. Weiters hätte er die aus seiner Sicht bereits hinreichenden Unterlagen noch ergänzen und die Einvernahme eines namhaft zu machenden Zeugen sowie die Einholung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Berufskunde zum Beweis der Qualifikation seiner Tätigkeit beantragen können.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 Ingenieurgesetz 1990 ist die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" Personen zu verleihen, die

a) die Reifeprüfung nach dem Lehrplan inländischer Höherer technischer oder Höherer land- und forstwirtschaftlicher Lehranstalten erfolgreich abgelegt und

b) eine mindestens dreijährige Berufspraxis absolviert haben, die höhere Fachkenntnisse auf dem Fachgebiet voraussetzt, auf dem die Reifeprüfung abgelegt wurde.

Als Praxis, die höhere Fachkenntnisse voraussetzt, kann nur jene praktische Betätigung berücksichtigt werden, die der Bewerber um die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" in einem Zeitraum absolvierte, in welchem er bereits über diese höheren Fachkenntnisse verfügte. Auch kann es, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang ergibt, keinem Zweifel unterliegen, daß als höhere Fachkentnnisse im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. b Ingenieurgesetz 1990 nur solche Kenntnisse verstanden werden können, über die Absolventen der in lit. a dieser Gesetzesstelle genannten Lehranstalten regelmäßig verfügen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 1994, Zl. 94/04/0210, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis dargelegt hat, ist im Hinblick auf den systematischen Aufbau der der Berufsausbildung in Österreich in der Annahme der belangten Behörde, die durch den Abschluß einer Lehre erworbenen Fachkenntnisse reichten nicht an jene heran, die durch die Absolvierung einer der im § 4 Abs. 1 lit. a Ingenieurgesetz 1990 genannten Lehranstalten vermittelt werden, eine Rechtswidrigkeit nicht zu erblicken. Es bildet daher im Lichte dieser Rechtslage keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, wenn die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer nach Erlernung des einschlägigen Lehrberufes als Elektromechaniker ausgeübten Tätigkeiten grundsätzlich nicht als solche im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. b leg. cit. anerkannte. Daß aber die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner geltend gemachten Praxiszeiten ausgeübten Tätigkeiten ihrer Qualifikation nach über das Maß hinausgingen, das im Rahmen der Ausübung dieses Lehrberufes üblicherweise erworben wird, insbesondere, daß er durch besondere Akte der Weiterbildung noch vor Beginn des fraglichen Praxiszeitraumes ein Niveau an fachlicher Qualifikation erlangt hätte, das dem mit dem Abschluß der Reifeprüfung in einer einschlägigen Höheren technischen Lehranstalt verbundenen mindestens gleichwertig war, wurde vom Beschwerdeführer im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht vorgebracht. Auf das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde kann aber vom Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot nicht eingegangen werden.

Bei diesem Ergebnis vermag der Umstand, daß die belangte Behörde - offenbar infolge einer Flüchtigkeit bei Abfassung der Bescheidbegründung - im Rahmen der Darstellung des ermittelten Sachverhaltes ausführte, der Beschwerdeführer habe die Reifeprüfung an einer Höheren Lehranstalt für Berufstätige - "Maschinenbau" abgelegt, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides schon deshalb nicht zu begründen, weil die oben dargelegten Überlegungen unabhängig davon gelten, in welchem Fachgebiet die Reifeprüfung abgelegt wurde.

Mit dem eine Verletzung des Parteiengehörs behauptenden Beschwerdevorbringen vermag der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun, weil Gegenstand des Parteiengehörs nur der durch die Behörde als erwiesen angenommene Sachverhalt, nicht aber dessen rechtliche Beurteilung sein kann (vgl. z.B. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, S. 329 unter Nr. 7 abgedruckte hg. Judikatur).

Bei diesem Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, ob den Behörden bei Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe tatsächlich ein Spielraum eingeräumt ist, der wie Ermessen zu behandeln ist (vgl. die in Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes, 7. Auflage, RZ. 958, hiezu referierte Judikatur und Literatur), weil die belangte Behörde bei der von ihr gewählten Auslegung dieser Begriffe keinesfalls den Rahmen eines ihr allenfalls eingeräumten Ermessensspielraumes überschritten hat. Es ist daher auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles bedeutungslos, ob die belangte Behörde in anderen, ähnlich gelagerten Fällen zu einer anderen Entscheidung gekommen ist.

Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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